Aufstand im Berlin: Was das Wagenknecht-Bündnis verändern kann – und wo seine Probleme liegen
Seite 2: BSW und Wagenknecht: Parteitag ohne Debatten
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Ob sich das Wagenknecht-Bündnis mit linken Inhalten und Personal politisch neu positionieren kann, blieb am Samstag in Berlin offen. Alles war vorbereitet. Forderungen von Gründungsmitgliedern, das Europawahlprogramm noch zu ändern, waren im Vorfeld nicht erfüllt worden. Wer das Programm geschrieben hat, wer überhaupt Verantwortung trägt – vieles davon ist unklar.
Vor allem in der Migrationspolitik könnte es Probleme geben. "Wir wollen die unkontrollierte Migration in die EU stoppen", beginnt die entsprechende Passage im Wahlprogramm. Diese Forderung wurde ohne Not so formuliert, obwohl sie auch von der AfD stammen könnte, weshalb Aktivisten eine Umkehr der Argumentation fordern: Sie wollen die Bekämpfung von Fluchtursachen im Fokus sehen, nicht die Abwehr von Menschen.
Teile der Friedensbewegung etwa verfolgen die Parteigründung mit kritischer Zustimmung und setzen Hoffnungen in sie. Die vorliegende erste Fassung des Parteiprogramms hat aber auch dort für Diskussionen gesorgt. Anlass zur Kritik sind vor allem die Aussagen zur Migrationspolitik. "Asylverfahren und Verfahren zur Prüfung des Schutzstatus sollen (...) an den EU-Außengrenzen oder in Drittstaaten stattfinden", heißt es etwa in der Präambel des Europawahlprogramms.
Migrationspolitisch agiere das BSW "unglücklich", findet daher Christoph Krämer, Mitglied der ärztlichen Friedensorganisation IPPNW: "Auch bei diesem Thema sollte es statt auf die ‚Festung Europa‘ auf die Beendigung von Kriegen und Sanktionen fokussieren – als wirksames und humanes Instrument."
Als IPPNW-Mitglied begrüße er aber die Gründung des BSW "sehr". Mehr als alle anderen Parteien habe das Wagenknecht-Bündnis "das Potenzial, friedenspolitisch zu einem Gamechanger zu werden". Zwar sieht Krämer im Programm auch noch Lücken, etwa in puncto Atomwaffenverbotsvertrag. Doch dies sei "nachbesserbar", meint er.
BSW: Der Burgfrieden wird nicht ewig dauern
Die Diskussionen und Flügelkämpfe werden kommen. Aber das stört die BSWler nicht. Sie wissen, dass ihre Stärke in der Schwäche der etablierten Parteien liegt. Ohne Programm haben sie nicht nur bis zu sieben Prozent Zustimmung auf Bundesebene, sondern 13 Prozent in Brandenburg und 17 Prozent in Thüringen.
Wenn sie jetzt nichts grundlegend falsch machen, wird das BSW die laufende Umwälzung der deutschen Parteienlandschaft weiter forcieren.
Die Protagonisten setzen dabei auf grundsätzliche Kontroversen: Verhandlungsfrieden in der Ukraine, soziale Energiepolitik, Meinungsfreiheit.
Linke Randthemen wie Identitätspolitik, Gendern oder unverständliche Konzepte wie ein "emanzipatorisches Grundeinkommen" spielen hier keine Rolle. Die 36-jährige Benda sagt:
Wer SPD, FDP und Grüne mit der Realität konfrontiert, wird als rechtsoffen oder "Putinknecht" diffamiert. Wirtschaftsminister Habeck bezeichnete die Bauernproteste kürzlich ohne Beleg als "teilweise von Putin bezahlt". Die Herrschenden machen den Meinungskorridor immer enger, weil sie merken: Man kann das Volk nicht für dumm verkaufen. Die Ampel hat ein Problem mit der Demokratie, wir nicht.
So teilt Wagenknecht gegen alle aus, weil sie weiß, dass sie von allen Stimmen bekommen kann. Das ist erfolgversprechend, kommt aber außerhalb der Anhänger- und Protestwählerschaft nicht immer gut an.
Zum "Sound der Wagenknecht-Partei" gehöre leider auch, die Politiker der Gegenwart verächtlich zu machen, ihnen das Ringen um den besten Weg abzusprechen, sie als abgehoben und elitär darzustellen, heißt es im Spiegel.
Das aber trage "dazu bei, den Vertrauensverlust in die Politik im Allgemeinen und in Politiker im Besonderen weiter zu beschleunigen", so der Autor.
Kein Witz: Da fordert ein Journalist allen Ernstes "Vertrauen in die Politik im Allgemeinen und in Politiker im Besonderen". Es gab einmal eine Zeit, und das ist noch gar nicht so lange her, da definierte sich das journalistische Selbstverständnis über ein grundsätzliches Misstrauen gegenüber staatlichen Strukturen, um als Korrektiv zu fungieren. Inzwischen ist aus dem Korrektiv "Correctiv" geworden – mit allen Problemen, die das mit sich bringt.
"Populismus von Wagenknecht und ihren Leuten" sah auch tagesschau.de. Die Behauptung, in Deutschland dürfe man seine Meinung nicht offen sagen: "Oder Corona-Skeptiker würden verunglimpft – das ist so identisch bei der AfD zu finden."
Nun könnte man zu dem Schluss kommen, dass Spiegel und tagesschau.de mit diesen Kommentaren die Kritik aus den Reihen der BSW absurderweise bestätigen. Denn es ist ein feiner Unterschied, ob politische Positionen kritisch beleuchtet oder demokratisch legitime Meinungen diffamierend geframed werden.
Das zeigen die beiden hier angeführten Beispiele. Natürlich kann und muss man sich mit migrationspolitischen und anderen Forderungen einer politischen Partei auseinandersetzen und darüber diskutieren.
Eine Kritik an den politischen und gesellschaftlichen Verhältnissen aber derart abzutun, wirft Fragen nach der Rolle der Medien und dem Selbstverständnis von Journalisten auf. Vor allem angesichts der wiederholten personellen Wechsel von öffentlich-rechtlichen Sendern in Ministerien und den damit über Jahre gewachsenen Strukturen.
Um beim Beispiel der Corona-Pandemie zu bleiben: Da wurde natürlich viel Unsinn erzählt, aber auf beiden Seiten. Und die Kritik an den Maßnahmen, für die man in der panikartigen Aufgeregtheit der Pandemiepolitik teilweise bis zur Gefährdung der sozialen und beruflichen Existenz an den Pranger gestellt wurde, wird heute selbst von den Verantwortlichen dieser restriktiven Linie, Gesundheitsminister Karl Lauterbach etwa, angenommen; freilich ohne die eigene Rolle kritisch zu bewerten.
So belegt die Reaktion auf den Gründungsparteitag des Bündnis Sahra Wagenknecht auf etwas skurrile Weise die von dieser Partei formulierte Notwendigkeit, die Debattenkorridore zu verbreitern, was Wagenknecht in ihrer Rede aufgriff:
Das sind die verrückten Diskussionen, die wir in unserem Land teilweise führen: Das Werben für Frieden: rechts. Die Verteidigung der Bauernhöfe: rechts. Die Kritik an Schulschließungen und Konformitätsdruck in der Corona-Zeit: rechts. Die Forderung nach Begrenzung der Zuwanderung und die Sorge vor islamistischen Parallelgesellschaften: rechts.
Und nachdem man den Leuten jahrelang eingehämmert hat, dass alles Vernünftige rechts sei, ja dann wundert man sich, wenn am Ende eine tatsächlich rechte Partei bei über 20 Prozent steht.
Kann es in der Politik zu viel Kritik und Kontroverse geben? Legendär sind bis heute die Wortgefechte zwischen Franz Josef Strauß und Herbert Wehner, die mitunter persönlich wurden. Diese politische Kultur wird bis heute als Beleg für eine agile Demokratie der Bonner Republik gesehen.
Vielleicht bringt das BSW etwas Kontroverse zurück in die Politik. Auch wenn das nicht allen liegt.
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