Aufstand im Berlin: Was das Wagenknecht-Bündnis verändern kann – und wo seine Probleme liegen

Parteitag des BSW in Berlin: Wagenknecht redet sich in kontrollierte Rage.

BSW forciert Wandel des Parteisystems. AfD als Herausforderung. Parteitag mit guten Namen und fragwürdigen Positionen – auch in der Berichterstattung.

Wer an diesem Wochenende in Berlin zum Gründungsparteitag des "Bündnis Sahra Wagenknecht" (BSW) wollte, kam an der AfD nicht vorbei. Blaue Plakate säumten den Weg: In Teilen der Hauptstadt muss die Bundestagswahl 2021 wegen eines massiven Behördenversagens wiederholt werden.

"Jetzt AfD", steht da oft bar jedes politischen Inhalts – und das ist systematisch für die Lage der Republik. Das Land steckt in der Krise, die Stimmung ist schlecht, die etablierte Parteienlandschaft zerbricht. Und dafür ist nicht nur der Aufstieg der AfD, ein Symptom, sondern auch dieser Parteitag der Anhänger von Sahra Wagenknecht.

Auch auf dem Parteitag des BSW spielte der Aufstieg der Rechtspopulisten eine Rolle, so wie zuvor schon in der Berichterstattung über die neue Formation.

Ob das BSW "altlinks oder neurechts" sei, fragte die den Grünen nahestehende taz im Vorfeld. Eine "Links-Rechts-Politik für die Mitte" sah die Zeit. Und vor dem ehemaligen DDR-Kino "Kosmos" an der Karl-Marx-Allee protestierte ein halbes Dutzend angetrunken oder anderweitig problembehaftet wirkende Linksradikale, ohne aber wirklich gehört oder gar ernst genommen zu werden.

Hinter all dem steht eine zentrale Frage, die vor allem Wagenknechts Gegner von der Linken bis zur Union umtreibt. Ist das BSW im Kampf gegen Rechts Teil des Problems oder Teil der Lösung? Eine Frage, die sich angesichts der hohen Zustimmungswerte für die AfD und der aktuellen Proteste gegen sie mit neuer Vehemenz stellt.

Wagenknecht griff das Thema in ihrer Rede offensiv auf. Dass die AfD jetzt bei über 20 Prozent stehe und im Osten auf die absolute Mehrheit hoffen dürfe, "ist nicht das Ergebnis einer besonders genialen Politik in der AfD-Zentrale, sondern es ist das Ergebnis der falschen Politik im Berliner Regierungsbezirk".

Natürlich beteiligten sich viele Menschen an den aktuellen Demonstrationen, weil sie Angst hätten vor dem Erstarken der AfD, so Wagenknecht, und weiter:

Und sie haben auch recht damit, diese Angst habe ich auch und ich glaube, wir alle hier, die wir hier im Saal sitzen. Aber wer die AfD wirklich schwächen will, der sollte auch für politische Forderungen wie einen höheren Mindestlohn von mindestens 14 Euro oder für ein besseres Rentensystem demonstrieren.

Sahra Wagenknecht

Ist das Wagenknecht-Bündnis also doch ein Gegenentwurf zur AfD? Eine progressive Protestpartei gar, deren Rolle im bundesrepublikanischen Parteiensystem vakant ist?

Die AfD jedenfalls fiel am Wochenende in einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Insa von 23 auf 21,5 Prozent. Insa-Chef Hermann Binkert sieht einen Grund für diese Momentaufnahme, der Nachhaltigkeit sich erst zeigen muss, in den Anti-Rechts-Protesten.

Das mag sein, die Frage ist, welche Konsequenz heraus erwächst. Die Bundesregierung nämlich profitiert von dem Mini-Einbruch nicht und kommt zusammengenommen gerade mal auf 31 Prozent, die SPD nur noch auf 13,5 Prozent. Zugelegt haben die "sonstigen Parteien", darunter das BSW mit bundesweit aktuell sieben Prozent.

Guter Start für Bündnis Sahra Wagenknecht

Der Parteitag war vor diesem Hintergrund ein guter Start für das Wagenknecht-Lager. Die Umfragewerte deuten auf einen schnellen politischen Erfolg hin. Die erste öffentliche Großveranstaltung verlief reibungslos. Viele Debatten waren im Vorfeld geklärt worden.

So konnten sich die Organisatoren ganz auf die Show konzentrieren. Das war manchmal langweilig: Ein Drittel Get-together vergraulter Linker, ein Drittel Parteitagsbürokratie, ein Drittel Wahlkampfrhetorik. Aber die Botschaft kam an: Diese Partei will etwas bewegen.

Dazu trägt auch das Personal bei. Die Liste zur Europawahl führen der Finanzexperte Fabio De Masi und der ehemalige SPD-Oberbürgermeister von Düsseldorf, Thomas Geisel, an. Auf Platz drei steht der Ex-Diplomat Michael von der Schulenburg, ein parteipolitischer Außenseiter, bei dem man den Eindruck hat, er sei wegen seines Namens und seiner Biografie zum Antritt überredet worden.

Die Strategie ist klar: VIPs und große Namen sind entscheidend für die 54-jährige Wagenknecht, die nach Jahren linker Grabenkämpfe mit dem neuen Projekt durchstarten will.

Auch auf Kosten alter Weggefährten. Telepolis und die Berliner Zeitung hatten über einen Brandbrief des ehemaligen Linken-Bundestagsabgeordneten Diether Dehm und seiner einstigen Fraktionskollegin Pia Zimmermann berichtet, die sich über Ausgrenzung beklagten.

Auch auf dem Parteitag wurden solche Widersprüche deutlich. Die BSW-Bundestagsabgeordnete Sevim Dağdelen wurde am Samstag vom Spiegel zu "Wagenknechts Außenministerin" hochstilisiert. Auf dem Parteitag spielte sie zugleich keine Rolle. Man wolle keine "Linke 2.0" sein, sagte Wagenknecht in ihrer Rede. Das gilt offenbar auch für die Personalpolitik.

Die Auswahl soll zeigen: Hier tritt keine Splitterpartei an, keine neue Linke eben. Und: "Wir sind auch sehr verschieden, viele von uns haben sich über viele Jahre in der Linken engagiert, andere kommen aus anderen Parteien und wieder andere haben sich zum ersten Mal in ihrem Leben entschieden, politisch aktiv zu werden."

Eine merkwürdige Situation. Wer vor wenigen Wochen noch "Genosse" war, ist jetzt "Parteifreund". Namensgeberin Wagenknecht lebt den Wandel vor: Zum ersten Mal seit Langem nahm sie Mitte des Monats nicht am traditionellen Gedenken der Linken an die ermordeten Sozialisten Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht auf dem Friedhof der Sozialisten in Berlin-Friedrichsfelde teil. Ausgerechnet Sahra Wagenknecht, die politisch und stilistisch mehr als einmal mit Rosa Luxemburg verglichen wurde.

Und doch: Im BSW steckt viel Linke. Zum Beispiel in der Eröffnungsrede der Publizistin Daniela Dahn, die, von Wagenknecht eingeladen, sagte:

Von diesem Parteitag geht das unmissverständliche Engagement für Antirassismus und Antifaschismus aus. (…) Angesichts dessen, was Rechtsextremisten in Vorder- und Hinterstuben an faschistoiden Plänen aushecken, geht es um die kollektive Zuständigkeit von uns Nachgeborenen.

Die ehemalige Linke Friederike Benda begrüßte, dass in den vergangenen Wochen Tausende Menschen im ganzen Land gegen Rechtsextremismus demonstriert haben. "Gut so", sagte Benda, sie sei allen dankbar, die sich gegen Faschismus engagierten.

Aber ändert das etwas an der oft völlig berechtigten Wut in der Bevölkerung? Wut über Teuerung und Abstiegsängste, Wut über eine unverantwortliche Außenpolitik, Wut über Bevormundung. Ich glaube, es reicht nicht, einfach Flagge zu zeigen. Vielmehr muss den Rechtsextremen der Nährboden entzogen werden.

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