Auftakt zum Studiengebühren-Finale
Am 22. Oktober entscheidet der Bayerische Verfassungsgerichtshof über ein geplantes Volksbegehren zur Abschaffung der Studiengebühren
Die Entscheidung, die der Bayerische Verfassungsgerichtshof am 22. Oktober zu treffen hat, klingt wenig spektakulär. Schließlich geht es - anders als beim Verfahren des Bundesverfassungsgerichts im Jahr 2005 - nicht um grundsätzliche Erwägungen, die zu einer Aufhebung des Verbots von Studiengebühren führten. Sondern schlicht darum, ob die 27.048 Unterschriften, die von den Freien Wählern gesammelt wurden, um ein Volksbegehren "Nein zu Studienbeiträgen in Bayern" zu initiieren, nun auch tatsächlich ihrem eigentlichen Zweck zugeführt werden können.
Unabhängig vom Ausgang dürfen sich die Freien Wähler, die derzeit Unterstützer aus den Reihen der CDU finden, bereits als ein politischer Sieger des Verfahrens fühlen. Sie haben Punkte für den nächsten Urnengang gesammelt und den Gebührenbefürwortern in Bayern (und Niedersachsen) vor den Landtagswahlen 2013 ein unpopuläres Thema aufgedrängt.
Fünf Gebührengegner - keine gemeinsame Aktion
Die Freien Wähler waren jedoch nicht die einzigen, die im Süden der Republik gegen Studiengebühren in Höhe von bis zu 500 Euro pro Semester mobil machten. Die SPD sammelte gut 32.000 Stimmen für eine vielleicht etwas vorschnell als "Massen"petition titulierte Aktion "Studiengebühren - Nein Danke!", die im Bayerischen Landtag auf den Widerstand der Mehrheitseigner CSU und FDP stieß.
Die Piraten wählten dagegen den gleichen Weg wie die Freien Wähler, bestanden aber auf Unterschriften für ein eigenes Volksbegehren, auch wenn die Bemühungen der potenziellen Kollegen regelmäßig wohlwollend kommentiert wurden. Die bayerische Linkspartei war dann wieder für die Petition, verzichtete auf das Massenversprechen der SPD, appellierte ansonsten aber ebenfalls an die Einsicht der Landtagsmehrheit.
Auch Bündnis 90/Die Grünen will die Studiengebühren abschaffen, hält die Bemühungen um Volksentscheide jedoch für formal unzulässig. "Die Abstimmung über die Studiengebühren findet dennoch statt: bei der Landtagswahl 2013", so die offizielle Sprachregelung des bayerischen Landesverbandes.
Dass sich fünf Oppositionsparteien in dieser vergleichsweise überschaubaren Frage nur im Grundsatz einigen können, hilft allein der Regierungskoalition und sorgt am Ende dafür, dass die Studierenden der bayerischen Hochschulen keine realistische Chance haben, noch während der laufenden Legislaturperiode von den Gebühren befreit zu werden.
Umso wortreicher und diffiziler sind die Argumente, mit denen Freie Wähler, Sozialdemokraten, Linke, Piraten und Grüne die Unmöglichkeit einer konzertierten Aktion zu begründen versuchen. Den Freien Wählern geht das Volksbegehren der Piraten zu weit, weil es auch die Abschaffung von Verwaltungsgebühren beinhaltet. Die hochschulpolitische Sprecherin der BayernSPD-Landtagsfraktion Isabell Zacharias will derweil festgestellt wissen, dass nur ihre Partei bereit sei, die Summe, die den Hochschulen nach einer Abschaffung der Gebühren fehlen würde, aus Mitteln des Landeshaushaltes zu ersetzen. Ein teures Unterfangen: Allein vom Sommersemester 2007 bis zum Wintersemester 2011 spülte die Campusmaut 801 Millionen Euro in die Kassen der Hochschulen.
Der Staatshaushalt und der Volksentscheid oder: Horst Seehofer findet etwas vor
Um diesen Punkt dreht sich aller Voraussicht nach auch die Entscheidung des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs, der beurteilen muss, ob das geplante Volksbegehren das Budgetrecht des Landtags beeinträchtigt. Beantworten die Richter die Frage positiv, verstößt das Vorhaben der Freien Wähler gegen Artikel 73 der Bayerischen Verfassung, der aus einem einzigen Satz besteht: "Über den Staatshaushalt findet kein Volksentscheid statt."
Für das Innenministerium ist der Fall klar. Weil die Hochschulen durch die Erwartung weiterer Einnahmen aus der Gebührenregelung bereits Ausgabeverpflichtungen eingegangen sind (zum Beispiel mit dem Abschluss von mehr als 1.800 Beschäftigungsverhältnissen), müsste der Landeshaushalt entsprechende Defizite begleichen.
Die Freien Wähler betrachten die Studiengebühren dagegen als "Bestandteil der Körperschaftshaushalte der Hochschulen" und kritisieren das Vorgehen der Landesregierung, die 82 Prozent der Studiengebühren im Staatshaushalt vereinnahmt hat, als grundsätzliches Fehlverhalten.
Das ist ein kritisch zu hinterfragender Aspekt. Denn hier gibt die Staatsregierung zu, dass die Studiengebühren hauptsächlich zur Finanzierung staatlicher Aufgaben, nämlich der Bereitstellung des Hochschulpersonals, verwendet werden. Das war nie die Idee dahinter.
Michael Piazolo, Generalsekretär der FREIEN WÄHLER und hochschulpolitischer Sprecher der Landtagsfraktion
Unter diesen eigentümlichen Gesamtumständen hoffen die Freien Wähler auf eine restriktive Auslegung des umstrittenen Artikels 73.
In nahezu allen juristischen Kommentaren zum Thema Volksbegehren wird angeführt, dass der Artikel 73 (…) restriktiv auszulegen ist. Denn sonst könnte bei Anträgen auf Volksbegehren fast immer der Bayerische Staatshaushalt als Ablehnungsgrund angeführt werden, da mittelbar fast alles Auswirkungen darauf hat.
Michael Piazolo
Und was sagt der bayerische Ministerpräsident, der im vergangenen Jahr bereits öffentlich über Sinn und Unsinn des leidigen Gebühren-Themas nachdachte? Horst Seehofer ist mittlerweile zu der Überzeugung gelangt, dass er persönlich ohnehin nichts mit der Sache zu tun hatte.
Ich habe die Studiengebühren bei meinem Amtsantritt 2008 vorgefunden.
Horst Seehofer, 27. September 2012
Comeback-Prognose: Warum es 2017 bundesweit Studiengebühren geben wird
Niedersachsen ist das zweite (und letzte) Bundesland, in dem derzeit noch Studiengebühren erhoben werden. Das wird sich in absehbarer Zeit ändern, meint Johanna Wanka, Niedersachsens CDU-Ministerin für Wissenschaft und Kultur. Allerdings nicht durch ein Ende der Campus-Maut, sondern durch ihre flächendeckende Wieder-(Einführung).
Schließlich sei die Abschaffung "rein ideologisch" und unter dem "Druck im Zusammenhang mit Wahlen" entstanden, erklärte Wanka, die freilich ihrerseits unter dem Druck ernüchternder Umfrageergebnisse steht.
Rot-Grün geht als Favorit in die nächste Landtagswahl, die am 20. Januar 2013 stattfindet - auch weil sich das Reizthema Studiengebühren als Fundgrube entpuppt, um die Regierung von Wulff-Nachfolger David McAllister in Erklärungsnöte zu bringen.
Im September präsentierte die wissenschaftspolitische Sprecherin der SPD-Landtagsfraktion Gabriele Andretta Zahlen aus Wankas Ministerium. Demnach hatten die niedersächsischen Hochschulen am 31. Dezember 2011 noch 77.348.459 Euro Einnahmen aus Studiengebühren zur Verfügung, die eben nicht umgehend in die Verbesserung von Forschung und Lehre investiert wurden. Die Universitäten in Hannover, Osnabrück und Lüneburg gönnten sich offenbar ein Sparkonto von rund 5 Millionen, die TU Braunschweig legte 6,6 Millionen auf die hohe Kante, die Universität Oldenburg 8,4 Millionen und die Universität Göttingen sogar 13,5 Millionen.
Das politische Versprechen der Landesregierung, mit den Gebühren ausschließlich, zeitnah und zügig die Verbesserung der Lehre zu finanzieren, entpuppt sich einmal mehr als Farce. Hinzu kommt, dass weniger als jeder zweite Euro aus Studiengebühren von den Hochschulen für Personal zur Verbesserung der Lehre ausgegeben wird. (...) Das ist Betrug an den Studierenden.
Gabriele Andretta, SPD, 20. September 2012
SPD-Spitzenkandidat Stephan Weil stolperte allerdings selbst in eine Argumentationsfalle, als der parteieigene Nachwuchs auf der Landeskonferenz der Jusos wissen wollte, wann genau die Gebühren denn nun abgeschafft werden. Weil wollte sich da nicht festlegen. Schließlich gebe es noch andere Aufgaben im Bildungsbereich.
Auch die anderen Gebührengegner, Grüne, Piraten und Freie Wähler, überbieten sich nicht gerade mit Terminvorschlägen. Die Linke hat sich allerdings auf das Sommersemester 2013 festgelegt.
(Inter)nationale Unterschiede und Gerechtigkeitslücken
In 14 deutschen Bundesländern müssen Nachwuchsakademiker derzeit keine Studiengebühren zahlen - sieht man von Verwaltungsbeiträgen, Sanktionen für Langzeitstudenten o.ä. ab. Gleiches gilt für Studierende in Dänemark, Finnland, Griechenland, Malta, Norwegen, Österreich, Schottland, Schweden oder Zypern. England verlangt seinem akademischen Nachwuchs dagegen die höchsten Gebühren in ganz Europa ab und wirbt zum Ausgleich mit einem differenzierten Finanzierungssystem. Seit September gilt auf der Insel ein Grundtarif von 6.000 £, während sich die Höchstgebühren auf 9.000 £ belaufen.
Die ausufernden Unterschiede, die ein neuer Vergleich der Europäischen Kommission offenbart, haben sich in Deutschland durch die regional und zeitlich limitierte Erhebung zu einer veritablen Gerechtigkeitslücke verdichtet. Zwischen dem Wintersemester 2006/2007 und dem Sommersemester 2011 fielen beispielsweise für ein Studium in Nordrhein-Westfalen Studiengebühren in Höhe von mehreren tausend Euro an. Wer seine akademische Ausbildung früher abgeschlossen oder später begonnen hat, blieb von entsprechenden Forderungen verschont.
In Hessen führten die politischen Querelen zu der mutmaßlich absurdesten Situation und bescherten dem Studienbeitragsgesetz den denkwürdigen Artikel 13: "Der Studienbeitrag nach diesem Gesetz wird erstmals für das Wintersemester 2007/2008 und letztmals für das Sommersemester 2008 erhoben."
Der allemal bedauerliche Umstand, dass trotz dieser burlesken Vorgeschichten bis heute keine einheitliche, möglicherweise sogar parteiübergreifende Regelung gefunden oder auch nur angestrebt wurde, stellt dem Bildungsföderalismus ein schlechtes Zeugnis aus. Er zeigt aber auch, dass nicht einmal innerhalb der Länder mit einer nachhaltigen, verlässlichen Bildungspolitik gerechnet werden kann.