"Augen zu und durch"

Der Libanon im Visier der USA und unter Aufsicht des großen Bruders Syrien

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Am Freitagabend hätte man in Beirut glauben können, Libanon habe gerade das Finale der Fußballweltmeisterschaft gewonnen: Krachende Feuerwerke, hupende Autokorsos, und jubelnde Menschen auf den Strassen. Gefeiert wurde allerdings nicht das nationale Fußballteam, sondern die Verlängerung der Amtszeit des Staatspräsidenten Emile Lahoud um weitere drei Jahre.

Gemäß der libanesischen Verfassung wäre seine sechsjährige Amtsperiode eigentlich im November zu Ende gegangen. Aber an diesem heißen Sommerabend votierte die erforderliche Zweidrittelmehrheit (96 von 128 Abgeordneten) des Parlaments für einen Ergänzungsantrag des Artikels 49 der Verfassung, der die übliche Regelung außer Kraft setzte. Ein Ergebnis, das ohne den Druck Syriens nicht zustande gekommen wäre. Der Grund für eine von den USA und Frankreich getragene Resolution, die der UN-Sicherheitsrat in New York einen Tag vor der Abstimmung in Beirut verabschiedete. Darin wurden u.a. "freie und faire Wahlen des Präsidenten" und die "Unabhängigkeit und Souveränität des Libanons" gefordert.

Entscheidendes Treffen mit dem syrischen Geheimdienstchef

Einen "schwarzen Tag in der libanesischen Geschichte", nannten es die 29 Parlamentarier, die gegen den Antrag gestimmt hatten. Einige Tage vor der Abstimmung hatten führende Oppositionspolitiker auf einer gemeinsamen Veranstaltung sogar von einer "Transformation des Landes in einen Polizeistaat" gesprochen. Mit einer verblüffenden Schnelligkeit waren alle formalen Schritte zur Änderung der Verfassung von Seiten der Regierung durchgeführt worden. Am Samstag vor einer Woche hatte das Kabinett in einer Eilsitzung den Weg für die Abstimmung im Parlament frei gemacht.

Von den 96 Abgeordneten, die für den Ergänzungsantrag stimmten, kann ich garantieren, dass gerade mal 7 tatsächlich dafür sind.

Nabil de Freije

Er selbst ist einer davon, aber was bleibt Nabil de Freije schon übrig, als zu seinem Parteigenossen und Premierminister, Rafik Hariri, zu stehen. Der Premierminister selbst war seit Jahren ein Gegner von Emile Lahoud. Ständig befanden sie sich im Clinch, was die Arbeit des Kabinetts, besonders in den letzten beiden Jahren, eminent behinderte. Rafik Hariri hatte sich mehrfach öffentlich gegen den Ergänzungsantrag ausgesprochen bis es am vergangenen Wochenende zu einem Treffen mit Rustom Ghazaleh, dem Chef des syrischen Geheimdienstes kam.

Und plötzlich war aus dem Gegner Hariri ein Unterstützer Lahouds geworden. Die Argumente des Geheimdienstlers müssen anscheinend sehr überzeugend gewesen sein. Bei vielen anderen Abgeordneten des Parlaments setzte man weniger auf Gespräche. "Ghattas Koury beispielsweise", so erzählt Nabile de Freije, "hat in den letzen 10 Tagen Drohungen erhalten, um ihn dazu zu bewegen, mit "Ja" zu stimmen".

"Verfassung für jeden Präsidenten zurechtgestutzt"

Im ersten Moment versteht man die ganze Aufregung um die Ergänzungen zum Artikel 49 der Verfassung nicht ganz. Im Libanon ist das ein normales Procedere. Seit dem Ende des Buergerkriegs 1990 hatte man die Verfassung für jeden Präsidenten zurechtgestutzt. 1995 wurde dem damaligen Präsidenten Elias Hrawi drei weitere Jahre zugestanden, obwohl er auch schon sechs hinter sich hatte. 1998 brachte man Emile Lahoud mit einem Ergänzungsartikel ins Amt, obwohl er als amtierender General eigentlich nicht hätte Präsident werden dürfen.

Hintergrund der heutigen Proteste ist wohl die desolate wie ausweglose Situation des Libanons. Gerade während der Amtszeit von Emile Lahoud hat sich wenig getan. Das Staatsdefizit ist auf beinahe 40 Milliarden Dollar angewachsen und 40% Prozent der libanesischen Bevölkerung leben unter der Armutsgrenze. Weitere 40% nahe daran. Hinzu kommen maßlose Korruption, Vetternwirtschaft und Bestechung bei Polizei, in öffentlichen Ämtern, bei Banken und Bauunternehmen.

Für den Rat des Maronitischen Erzbischofs waren die Mauscheleien um den Ergänzungsantrag zur Verfassung offensichtlich das fehlende Pünktchen auf dem i. In einer kritischen 11 Punkte Grundsatzerklärung rechnete man, ohne auch nur ein Blatt vor dem Mund zunehmen, mit der Misswirtschaft und den Versäumnissen der Regierung ab. Besonders kritisiert wurde auch die Rolle der syrischen Regierung im Libanon.

Syrien gibt Befehle, ernennt Führer, organisiert parlamentarische und andere Wahlen, ernennt und entlässt wen und wann immer es will und greift in alle Lebensaspekte ein: In die Verwaltung, Justiz, die Ökonomie und insbesondere in die Politik. Um es einfach auszudrücken, Syrien behandelt den Libanon so, als wäre es eine syrische Provinz

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Großer Bruder Syrien

Ein Statement das realistischer nicht sein könnte, selbst wenn von offizieller Seite stets beteuert wird, dass alles auf gegenseitigem Einverständnis beruht. Seit 1992 besteht mit Syrien ein Freundschafts- und Verteidigungsbündnis. Die Forderung in der UN-Resolution vom Donnerstag nach Abzug aller ausländischer Truppen aus dem Libanon bezeichnete der syrische UN-Botschafter als "lächerlich". "Syrien ist keine ausländische Macht. Sie ist dort auf Wunsch der libanesischen Regierung".

Präsident Lahoud präsentierte Syrien stets als den großen Bruder, mit seinen 20.000 bis 30.000 Mann ein notwendiger Schutz- und Bündnispartner Libanons im Widerstand gegen Israel. Diese Haltung brachte ihm jetzt auch die Stimmen der Hisbollah. "Wir sind für eine Verlängerung der Amtszeit des Präsidenten, weil er immer den Widerstand verteidigt und unterstützt hat". "Außerdem", so hieß es in der Erklärung des 12 Abgeordneten starken "Loyalty to the Restistance Block" weiter, "trägt der simple Austausch von Personen nichts zur Lösung der gegenwärtigen Probleme bei".

Von der vom UN-Sicherheitsrat am Donnerstag verabschiedeten Resolution zeigte sich kaum einer der libanesischen Regierungspolitiker beeindruckt. Die Zielrichtung der Resolution sei auf eine Machtkonsolidierung der USA im Mittleren und Nahen Osten ausgerichtet. "Washington weiß genau", sagte Staatsminister, Bahara Merheij, im Radio "Die Stimme des Libanons", "dass der Schlüssel zur Kontrolle des Libanons, Palästinas und des Iraks in erster Linie Syrien ist. Man will den Druck auf das Zentrum des Widerstands gegen den von den USA unterstützten Zionismus erhöhen". Die Forderungen nach "freien und fairen Wahlen des Präsidenten" seien nur vorgeschobene Gründe. Die entscheidenden Punkte sind jedoch der "Abzug aller ausländischer Truppen" (Syrien) und die "Entwaffnung aller Milizen" (Hisbollah). So würde man am liebsten den Libanon auf einem Silbertablett Israel präsentieren.

Die in der Resolution ebenfalls angekündigten ""zusätzlichen Maßnahmen zur Durchsetzung der Resolution" gibt man wenig Chancen. Laut Abdullah Bouhabib, dem Berater des stellvertretenden Premierministers, Issam Fares, wird diese Resolution das gleiche Schicksal wie die Resolutionen zu Palästina und anderen Ländern haben:

Sobald Präsident Emile Lahoud erneut Rafik Hariri zum Premierminister macht, wird sich Frankreich, das neben den USA die Resolution initiierte, wieder beruhigen.

Druck der USA

Rafik Hariri sei eben ein guter Freund und Verbündeter von Frankreichs Präsidenten Jacques Chirac. Eine für den Libanon typische Denkweise: Freundschafts- und Geschäftsbeziehungen lösen alle Probleme, insbesondere die politischen. Für Frankreich mag das vielleicht zutreffen, aber im Falle der USA helfen kaum persönlichen Beziehungen. Und mit einem "Augen zu, es wird schon alles gut gehen" ist nichts gewonnen.

So könnte man nämlich die Durchsetzung der Verlängerung der Amtszeit von Präsidenten Emile Lahoud deuten, die wenig diplomatischen Weitblick bewies. Für die USA kommt dieser Mann mit seiner Nibelungentreue zu Syrien und seiner Anti-Israel-Haltung inklusive der Unterstützung der Hisbollah ziemlich ungelegen. Die erst kürzlich gegen Syrien verhängten Sanktionen, neben dem Iran der letzte verbliebene "Terrorstaat", waren auch als Warnschuss für die libanesische Regierung gedacht, ihre Freundschaft mit dem großen Nachbarland zu überdenken. Die Resolution vom Donnerstag war nun der zweite Schritt. Als Nächstes werden die USA versuchen, die darin angekündigten Maßnahmen zur Durchsetzung der Resolution in die Tat umzusetzen.

Sanktionen gegen den Libanon würden das kleine krisengeschüttelte Land mit seinen knapp 40 Milliarden Dollar Defizit hart treffen. Knapp 80 % aller Einlagen bei libanesischen Banken und 85 % aller Kredite sind in US-amerikanischer Währung. Obendrein haben viele Banken in den USA investiert, besitzen dort Aktien und Bonds. Aber das sind für den alten und neuen Präsidenten Emile Lahoud bestimmt defätistische Zukunftsprognosen. Jetzt hat man gerade wieder die heimischen Pfründe gesichert, nun wird erst einmal gefeiert.