Aus der Retorte: Superfunktionelle Titanlegierungen

Neue Ära der Metallurgie

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Superelastisch, superplastisch und mit ultrahoher Festigkeit brillieren die Legierungen einer japanischen Arbeitsgruppe. Zukunftsträchtig ist nicht nur das Metall, sondern auch die Art der Erforschung.

"Das ist Spitze," könnte man in Anlehnung an eine frühere Fernsehfolge sagen, weil Takashi Saito mit seinen 15 Kollegen aus drei universitären Zentren Tokios neue Metallegierungen entwickelt, denen Titan als Grundelement gemeinsam ist. Mit ihrem Bericht in Science leiten sie eine neue Ära der Metallurgie ein. Sie simulieren die Beimischungen im Computer und prüfen stichprobenartig auf die wirkliche Beschaffenheit. Nicht zufällig, sondern systematisch erstellen sie Profile der physikalischen und mechanischen Eigenschaften und kristallisieren die optimalen Mischungsverhältnisse heraus.

Die Menschheitsgeschichte ist ein Spiegel der Metallurgie, von der Steinzeit über die Bronzezeit bis zum Aufkommen des Stahls und jener Stoffe, die Raumfahrt (und Rückkehr) überhaupt erst möglich machen. Das Schmieden von Schwertern wurde hoch geachtet, weil geheime Legierungen und die Art der Bearbeitung das Mehr an Stabilität boten, um zu überleben. Als vor 100 Jahren die Brüder Wright ihre Flugmaschine in die Lüfte brachten, verdankten sie ihren Erfolg der Leichtigkeit der ersten im Motorenbau verwendeten Aluminiumlegierung. Der Werdegang bis dahin und alle späteren Entwicklungen verliefen mühsam nach dem Prinzip "trial and error", weil das Testen der Molprozente neuer Mischungen bei zwei und mehr Komponenten zur Lebensaufgabe wird. Vieles bleibt bisher der zündenden Idee und dem Zufall überlassen. Die systematische Erforschung mit seltenen Metallen und ungewöhnlichen Kombinationen hat nicht stattgefunden.

Stärker als Stahl sind die neuen Titanlegierungen (Credit Takashi Saito)

Die japanische Arbeitsgruppe zeichnet einen Weg auf, der dank der neuen super multifunktionellen Legierungen zugleich ein mächtiger Stimulus sein wird, weitere bedarfsoptimierte Stoffe zu kreieren. Die Titanlegierungen aus Tokio enthalten Niobium, Tantalum und Zirconium sowie Sauerstoff. Die atomaren Wechselwirkungen sind erwartungsgemäß nicht linear. Folglich verändert sich das Verhalten zueinander in unvorhersehbarer Weise. Das wiederum hat Auswirkungen auf den inneren Zusammenhalt, die Oberflächenstruktur und die allgemeine Materialbeschaffenheit. Mehrphasendiagramme sind nötig, um die Einflüsse und ihre Gesetzmäßigkeiten verständlich zu machen. Flankiert werden die physikalischen Erkenntnisse von aufwendigen Strukturanalysen, weil die funktionelle Beschaffenheit der gewonnenen Stoffe charakterisiert werden muss.

Eine von vielen Besonderheiten ist die fraktale Mikrostruktur (Credit Takashi Saito)

Die geprüften Legierungen warten mit Eigenschaften auf, die Laien und Metallurgen gleichermaßen in den Bann ziehen: Obwohl fester als Stahl, kann das Material bei Zimmertemperatur in Form gebracht werden. Die Ausdehnung unter Wärme bleibt über einen großen Temperaturbereich gering. Im Inneren dominieren nicht Fasern, Bündel oder Netzwerke, sondern fraktale Muster. Dazu kommen Eigenschaften wie sie bisher nur für Kovar und Invar gefunden wurden. Das sind besondere Eisen-Nickel-Legierungen, die als Verbindungsglieder zwischen Metall und Glas eingesetzt werden.

Anwendungsbeispiele gibt es mehr als genug (Credit Takashi Saito)

Das Supermaterial verfügt also über ausgezeichnete universelle Eigenschaften: sei es, um die Wirkung von Sprungfedern zu veredeln, sei es, um Werkzeuge herzustellen, die im Weltraum ihre Funktion unbeeinflusst von den Umgebungsbedingungen beibehalten. Denkbar sind ferner Prothesen und Implantate, die den bisherigen Materialien durch weitaus bessere Beständigkeit überlegen sind und sich dennoch bequem bearbeiten lassen. Es scheint, als könne der Mensch die Natur an die Hand nehmen und ihr zeigen, welches Potential bisher brach lag.