Ausbeutung in der Textilindustrie: Preiskampf auf Kosten der Arbeiterinnen
Weltweit schuften Millionen unter menschenunwürdigen Bedingungen. Ob der "Grüne Knopf" an den ungerechten Verhältnissen prinzipiell etwas ändern wird, ist fraglich
Die kürzlichen Lockerungen der Corona-Beschränkungen haben dem Einzelhandel zu höheren Umsätzen verholfen, meldet das Statistische Bundesamt. Vor allem Geschäfte, die wegen der Corona-Krise lange geschlossen waren, profitieren vom neuen Kundenansturm. So verzeichnete der Handel mit Textilien, Bekleidung, Schuhen und Lederwaren zum Beispiel im Mai ein Plus von 72 Prozent gegenüber dem April.
Der Kaufrausch scheint verständlich, nachdem die Geschäfte monatelang geschlossen hatten. Wer denkt da schon darüber nach, wo und unter welchen Bedingungen die gekaufte Kleidung hergestellt wurde?
In Štip zum Beispiel, einer Stadt im Norden Mazedoniens, arbeiten rund 9.000 Menschen in 60 Textilfabriken - im Sommer bei brütender Hitze, im Winter in nahezu unbeheizten Räumen. Manchmal enthalten die Textilien Säure, die erst nach dem Nähen ausgewaschen wird. Die Zustände in den Umkleideräumen und Toiletten sind katastrophal. Überall liegt Staub, auf den manche Arbeiterinnen allergisch reagieren. Viele von ihnen machen unbezahlte Überstunden und arbeiten auch am Wochenende.
Bereits zu Zeiten des Sozialismus wurden hier, im Zentrum der Textilindustrie, Muster entworfen, Garne und Stoffe gefertigt, Kleidung produziert - 90 Prozent fürs Inland, zehn Prozent für den Export. Die Fabriken gehörten den Arbeiterinnen und Arbeitern. Die Arbeiterfamilien wohnten in bezahlbaren Wohnungen, die Kinder waren in Kindergärten untergebracht.
Der politische Umbruch Anfang der 1990er Jahre bedeutete das Aus. Die Arbeiterinnen wurden entlassen, die Hallen verrotteten. Heute können sich die meisten Mazedonier, die im eigenen Land hergestellte Kleidung nicht mehr leisten. Stattdessen kaufen sie die billigen Klamotten aus Südostasien, die auf den lokalen Märkten verramscht werden.
Wegen der Niedriglöhne finden die Betriebe kaum noch Arbeiterinnen
Der gesetzliche monatliche Mindestlohn in der Textilindustrie liegt bei 200 Euro, weniger als in Bangladesch. Um über die Runden zu kommen, bewirtschaften viele Familien etwas Land oder halten Hühner. Eine vierköpfige Familie mit fünf Hektar Ackerland plus einer Stelle in der Textilindustrie erwirtschaftet monatlich rund 550 Euro. Ihre Lebenshaltungskosten sind fast doppelt so hoch.
Einerseits sind Frauen, die ihre Familien ernähren, gezwungen, Arbeit in der Textilindustrie anzunehmen. Andererseits wird es für die Betriebe wegen der niedrigen Löhne immer schwieriger, überhaupt noch Arbeiterinnen zu finden. Das gilt selbst für Firmen wie Moda, die deutlich mehr zahlen als andere. Zwar verlangen internationale Bekleidungskonzerne immer häufiger die Einhaltung der Sozialstandards, erklärt Angel Dimitrov, Firmeninhaber und Präsident des Arbeitgeberverbandes in Nordmazedonien.
Doch die Kosten für Schulungen, Ausrüstung etc. wollen sie nicht übernehmen. Die sollen die Hersteller selber tragen. Hemden, die bei Moda produziert werden, kosten auf dem heimischen Markt zehn Euro. In Deutschland gehen sie für 60 Euro über den Ladentisch. Drei Euro davon gehen an den Hersteller vor Ort - zu wenig, um gerechte Löhne zu zahlen und bessere Arbeitsbedingungen zu schaffen.
Mazedonische Textilarbeiterinnen kämpfen um ihre Rechte
Die Arbeiterinnen haben kaum Rechte. Auch Kristina Ampeva arbeitete jahrelang in der Textilindustrie, wo sie unter den schlechten Arbeitsbedingungen litt. Als sie sich beschwerte, wurde sie entlassen. Zwar gib es eine Nachfolge-Gewerkschaft aus früheren Zeiten und eine staatliche Arbeitsaufsicht, doch die haben bisher nicht allzu viel bewirkt, nicht zuletzt wegen der Korruption in den Behörden. Häufig werden sogar Kontrolleure von der Arbeitsaufsicht von den Chefs der Fabriken bedroht.
Aus all diesen Gründen nahm Kristina Ampeva die Sache selbst in die Hand. Mit ihrer Selbsthilfeorganisation Glasen textilek (Stimme der Textilarbeiter) kämpft die serbische Aktivistin mit Vertretern einer schwedischen NGO, aber auch mit Arbeitgebern gegen die Ausbeutung in der Textilbranche und für die Rechte der Näherinnen. Von ihrem Büro aus kommuniziert sie mit NGOs und Arbeiterinnen außerhalb des Landes, nimmt Beschwerden entgegen und gibt sie an die staatlichen Behörden weiter.
Ob in Nordmazedonien, Serbien, Kosovo, Rumänien, Bulgarien, Albanien - überall auf dem Balkan werden Textilarbeiterinnen ausgebeutet. Inzwischen erklärte die mazedonische Arbeitsministerin, die Mindestlöhne zu erhöhen und die Korruption bekämpfen zu wollen. Der Mangel an Arbeitskräften könnte dazu führen, dass internationale Textilstandorte noch billigere Standorte aus dem Balkan suchen. Denn der Vorteil von Standorten in Südeuropa gegenüber Asien sind die kurzen Lieferwege: Ein Hemd aus Asien nach Deutschland ist drei Wochen unterwegs, eins aus Südeuropa zwei Tage.
Deutsche Firma kündigt Zusammenarbeit mit Textilfabrik
Die Firma Olymp mit Sitz in Bietigheim klagte wiederholt beim mazedonischen Partnerwerk Stobi Verbesserungen ein. Vergeblich kontrollierte sie die Fabriken vor Ort. Die Arbeiterinnen mussten ständig unbezahlte Überstunden machen, zuletzt wurde nicht mal mehr der Mindestlohn gezahlt, klagt der Unternehmer Mark Bezner.
Den Forderungen nach höheren Sozialstandards und besserer Entlohnung sei man nicht nachgekommen. Auch wenn es ihm um die Arbeiterinnen nun das Nachsehen haben: Anfang 2020 kündigte er die Geschäftsbeziehungen mit Stobi - und setzte damit ein Zeichen.
Die Arbeiterinnen von Stobi springen nun für andere ausländische Firmen ein, wenn diese ihre Auftragslage nicht schaffen. Bis heute wird ihnen kein gesetzlicher Mindestlohn gezahlt. Inzwischen mussten die Frauen für ihre eigenen Entlassungen Blankopapiere unterzeichnen. Somit haben sie keinen Anspruch auf Arbeitslosengeld. Inzwischen wurde den Textilarbeiterinnen in Štip ein Denkmal in Form einer überdimensionierten Nähnadel gesetzt. Dass die Arbeiterinnen hier eine Stimme bekommen, ist vor allem der Verdienst von Kristina Ampeva.
Diverse Siegel für mehr soziale Standards
In Bangladesch produzieren die Arbeiterinnen Hemden, T-Shirts und Hosen für europäische Firmen wie Primark, Benetton, Mango, C&A, KiK und Adler unter menschenunwürdigen Bedingungen. Als am 24. April 2013 die Textilfabrik Rana Plaza einstürzte, wurden mehr als tausend Menschen tot unterm Schutt geborgen, bzw. sie starben an den Folgen des Einsturzes. Mehr als 2.000 Menschen wurden verletzt.
Obwohl man bereits am Vortag Risse am Gebäude entdeckte, wurden die Menschen gezwungen, ihre Arbeit fortzusetzen. Seither haben sich die Sicherheitsstandards nur geringfügig verbessert. Denn der Preiskampf in der Modebranche verhindert weltweite prinzipielle Verbesserungen.
Zum Beispiel das Global Organic Textile Standard-Siegel (GOTS). Es erfüllt einen Mindeststandard für Arbeitsbedingungen mit einem sehr starken Umweltschutz. Die GOTS prüft entlang der gesamten Lieferkette, von welcher Baumwollfarm die Fasern kommen, in welchen Fabriken sie weiterverarbeitet werden und wie daraus ein T-Shirt entsteht.
Am Ende bestehe das Produkt mindestens zu 70 Prozent aus reiner Naturfaser. Im Gegensatz dazu legt der Organic Content Standard (OCS) fest, wieviel reine Naturfaser in der Kleidung sein soll. Doch über die soziale Standards sagt er so gut wie gar nichts aus.
Kritik am Grünen Knopf
Die Katastrophe von Rana Plaza habe ihn dazu angetrieben, etwas an den Zuständen zu ändern, erklärte Bundesentwicklungsminister Gerd Müller, als er im September 2019 in Berlin das staatliche Gütesiegel vorstellte. Erfüllt ein Modeanbieter die Kriterien bestehender Nachhaltigkeitssiegel wie GOTS oder Fair Wear Foundation, kann er sich um den Grünen Knopf bewerben. Für das Label müssen 46 Sozial- und Umweltstandards eingehalten werden.Von Beginn an waren 27 Firmen mit dabei.
Kaum am Markt, rief das Siegel erste Kritiker auf den Plan: Unklar sei, welche Teile der Lieferkette abgedeckt würden und wie die Kontrolle aussehen soll, bemängelt Uwe Kekeritz, Sprecher für Entwicklungspolitik der Grünen. Auch bleiben wichtige Begrifflichkeiten ungeklärt. Statt klare Regeln für Unternehmen zu schaffen, werde die Verantwortung letztlich wieder an die Verbraucher abgegeben.
Die größte Kritik am Grünen Knopf betrifft seine Freiwilligkeit: Mehr als die Hälfte aller Unternehmen kümmert sich weder um Öko- noch um Sozialstandards. Nur etwa ein Fünftel der Baumwolle stammt weltweit aus zertifiziertem nachhaltigem Anbau - mit sparsamem Wasserverbrauch und nachhaltiger Bewirtschaftung der Felder. Nicht einmal ein Prozent der weltweiten Baumwolle stammt aus zertifiziertem Bio-Anbau. Unterm Strich ist der Anteil von Kleidung mit Bio- oder Nachhaltigkeitssiegeln im Verhältnis zur weltweiten Textilindustrie mit ingesamt 200 Millionen Beschäftigten gering.
Öko- und Sozialstandards müssen einforderbar sein
Was unter Nachhaltigkeit zu verstehen ist, davon haben Unternehmen unterschiedliche Vorstellungen. So bestehen bei H&M die unter der Conscious-Linie eingeführten Kleidungsstücke zu mindestens 50 Prozent aus nachhaltigen Materialien wie Baumwolle.
Dafür führe man Audits durch - in der Lieferkette und in den Fabriken vor Ort -, erklärt Mark Jozwik, Verantwortlicher für Nachhaltigkeit bei H&M. An die Lieferanten würden nicht verhandelbare Anforderungen gestellt.
Existenzsichernde Löhne, keine Kinderarbeit, menschenwürdige und sichere Arbeitsbedingungen - diesen Standards hat sich das hessische Unternehmen hessnatur aus Butzbach schon länger verpflichtet. Darüber hinaus sind alle Textilien aus Bio-Materialien und in allen Produktionsschritten ökologisch verträglich.
Cornelia Heydenreich, Teamleiterin Unternehmensverantwortung bei der NGO Germanwatch, fordert verbindliche Regeln: ein Lieferkettengesetz mit weitreichenden Möglichkeiten zu Klagen, berichtete die Tagesschau Anfang des Jahres: "Die Unternehmen sollen mögliche Risiken frühzeitig erkennen und vermeiden. Falls sie ihrer Sorgfaltspflicht nicht nachkommen und es zu einem Schaden kommt, müssen Betroffene aus Bangladesch die Möglichkeit haben, Unternehmen in Deutschland verklagen zu können."
Das neue Lieferkettengesetz lässt dies bislang deutlich vermissen: Wegen einer fehlenden zivilrechtlichen Haftungsregelung haben Betroffene so gut wie keine Chance, deutsche Unternehmen vor dem Zivilgericht zur Verantwortung zu ziehen.
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