Auslaufmodell Wintersport: Wenn der Sommer immer länger wird
Bilanz des Winters 2021/22: Schon wieder zu warm. Ein Tourismusforscher prognostiziert, dass in Mittelgebirgen der alpine Skitourismus in den kommenden Jahren stirbt
"Jetzt ist er da, der Frühling." Andreas Becker ist Leiter der Abteilung Klimaüberwachung beim Deutschen Wetterdienst DWD, also einer der es wissen muss. "Um exakt zu sein: Der Vorfrühling ist da", sagt Becker. Überall in Deutschland stünde der Haselstrauch in Blüte, "ein eindeutiges Zeichen".
"Vorfrühling" ist ein Begriff aus der "Phänologie", der "Lehre von den Erscheinungen": Es geht um den jährlichen Wachstumszyklus von Pflanzen und Tieren: Phänologen interessieren sich beispielsweise für den Beginn der Blattentfaltung, für den Beginn der Blüte, für den Beginn der Blattverfärbung, das Ende des Laubfalls.
Um das besser einordnen zu können, gibt es bei den Phänologen zehn Jahreszeiten: Sie unterteilen Frühling, Sommer und Herbst jeweils in Vor-, Voll- und Spät-. Und dann gibt es natürlich noch den Winter: jene Zeit, in der die Pflanzen ihre Erscheinungsformen nicht ändern, es für Phänologen also nichts zu beobachten gibt.
Beginn der Kirschblüte als sicheres Zeichen
Die älteste phänologische Beobachtungsreihe ist mehr als 1.300 Jahre alt: Seit dem Jahr 705 wird in Japan von Gelehrten des kaiserlichen Hofes "Sakura" dokumentiert, der Tag, an dem die Kirschblüte beginnt. Um einzelne Extremjahre auszugleichen, werden in der Phänologie wie in der Klimaforschung Durchschnittswerte über längere Zeiträume gebildet – wie auch in der Klimaforschung.
Seit Ende des 18. Jahrhunderts begann die durchschnittliche Blüte in der japanischen Kaiserstadt Kyoto immer am 106. Tag des Jahres. Doch Mitte des 20. Jahrhunderts bricht die Linie plötzlich ein: Die Kirschblüte beginnt immer öfter immer früher, im Jahr 2019 entfalteten die Knospen ihre rosa Farbe in der Kaiserstadt bereits am 86. Tag des Jahres. Japans Wetteragentur legte in ihrem "Climate Chance Monitoring Report" 2017 dar, dass die Kirschen in den letzten sechs Jahrzehnten jedes Jahr früher blühten, mit einem Trend von einem Tag früher pro Jahrzehnt.
Natürlich ist das kein exklusiv japanisches Phänomen: Im Mittel der Jahre 1961 bis 1990 war der phänologische Winter in Deutschland 120 Tage lang, im Zeitraum 1991 bis 2018 nur noch durchschnittlich 103 Tage. 2020 begann die Haselblüte und damit der Vorfrühling bereits am 25. Januar, in diesem Jahr stand die Gemeine Hasel Anfang Februar in voller Blüte. Andreas Becker vom Deutschen Wetterdienst sagt: "Der Klimawandel hat den Winter im Schnitt bereits zehn bis 20 Tage kürzer gemacht. In der Folge fangen Frühling, Sommer und Herbst deutlich früher an."
Der Winter wird aber nicht nur immer kürzer, er wird auch immer wärmer: Gegenüber der Referenzperiode von 1961 bis 1990 war der Januar nach Erhebungen des Deutschen Wetterdienstes zum Beispiel 3,3 Grad wärmer. An diesem "zu warm" wird sich auch im Februar nichts mehr ändern.
Zum Ende der Woche wird es beispielsweise wieder "sehr mild": von der Mitte bis in den Süden Deutschlands mit 10 bis 17 Grad. Alle führenden Wettermodelle prognostizieren, dass auch der Februar in diesem Jahr "deutlich zu warm" ausfallen wird.
Das hat auch Folgen für den Wintersport: Je nach Region hat sich die Schneesaison unterhalb von 2.000 Metern in den vergangenen 50 Jahren um bis zu 34 Tage verkürzt. Zu diesem Ergebnis kommt eine Langzeitstudie, die erstmals Daten aller verfügbaren Messstationen in Deutschland, Österreich, der Schweiz, Frankreich, Italien und Slowenien nutzte. Frühere Studien hatten bereits nachgewiesen, dass die Durchschnittstemperatur im Alpenraum ungefähr doppelt so schnell ansteigt wie im globalen Durchschnitt.
Selbst für Kunstschnee zu warm
Viele Skigebiete versuchen, mit millionenschweren Investitionen gegen das Unvermeidliche Zeit zu kaufen. Im Thüringer Wald wurden vor vier Jahren vier Millionen Euro ausgegeben, um die Infrastruktur der "Winterwelt Schmiedefeld" angeblich zukunftssicher auszurüsten. Trotzdem fiel die Skisaison 2019/20 fast komplett ins Wasser, weil es selbst für Kunstschnee zu warm war. Erstmals abfahren konnte man am 29. Februar.
Mehr als 125 Millionen Euro gab die "Wintersport-Arena Sauerland" in den vergangenen 20 Jahren für neue Beschneiungsanlagen, Pistenbullys und Skilifte aus; hier, im höchsten Teil des Rothaargebirges arbeiten jetzt 650 "Schnee-Erzeuger". Bayerns Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger (Freie Wähler) hat gerade einen Zuschuss in Höhe von 5,8 Millionen Euro bewilligt, um ein Skigebiet im Bayrischen Wald auszubauen.
Knapp 500 Skigebiete gibt es in Deutschland. Nur die Zugspitze liegt so hoch, dass sie auf Dauer schneesicher sein könnte. Als "schneesicher" gilt ein Skigebiet, wenn es an mindestens 100 Tagen einer Skisaison eine Schneehöhe von 30 Zentimetern aufweisen kann – und das in wenigstens sieben von zehn Wintern. In den vergangenen 130 Jahren ist zum Beispiel in Bayern die Durchschnittstemperatur bereits um 1,4 Grad Celsius gestiegen, wie der Klimareport der Staatsregierung 2015 ausführt. Bis 2050 werden bis zu zwei Grad erwartet, bis 2100 könnten es gar 4,5 Grad mehr werden.
Der Luxusfaktor nimmt zu, ohne dass Skibegeisterte mehr davon haben
"Das Produkt Skifahren wird immer teurer", sagt Jürgen Schmude, Professor für Tourismusforschung an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Und es ist abzusehen, dass sich der Wettlauf gegen den Klimawandel nicht gewinnen lässt. "Skibegeisterte wollen nicht auf einem weißen Band durch eine grüne Landschaft fahren, das deprimiert mit der Zeit."
Besonders in den Mittelgebirgen sei es deshalb unsinnig, am Skitourismus festhalten zu wollen: "Mittelfristig wird es den nicht mehr geben." Schmude untersuchte bereits vor Jahren die Zukunft des deutschen Skitourismus. Sein Fazit: "Wir werden bis 2050 voraussichtlich noch allenfalls ein bis zwei deutsche Skigebiete haben. Das werden wohl Oberstdorf und Garmisch mit dem Zugspitzgebiet sein."
Wärmere, kürzere Winter mit weniger Schnee – das bedeutet allerdings nicht, dass es nicht auch plötzliche Kälteeinbrüche mit strengem Frost und sehr viel Schnee geben kann. Im Gegenteil: Der Klimawandel macht genau dies möglich, wie unter anderem Wissenschaftler der Universität Oulu in Finnland nachwiesen. Sie untersuchten die Ursachen für den plötzlichen Wintereinbruch Ende Februar 2018 in Europa.
Damals fielen die Temperaturen in Nordrhein-Westfalen auf Minus 18 Grad, in den Schweizer Alpentälern auf Minus 28 Grad, in Norwegen sogar unter die Minus-40-Grad-Marke. Dazu gab es ungewöhnlich viel Schnee, in Kroatien bis gut 1,80 Meter, sogar in Rom fiel Schnee. Ergebnis: Am Nordpol in der Barentssee – also der arktische Ozean nördlich der russischen und norwegischen Nordküste – war es ungewöhnlich warm, weshalb dort die Eisdecke schmolz.
Eis wirkt über dem Ozean wie ein Deckel und verhindert, dass das Wasser darunter in die Atmosphäre verdunstet. Fehlt dieser Deckel, verdunstet mehr Wasser und das kann zu einem extremen Wetterereignis führen: Die Forscher konnten nachweisen, dass ohne die warme Barentssee dieser Wintereinbruch nicht möglich gewesen wäre.
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