Ausleihe prügelnder Polizisten bald "gängige Praxis"?
Der Einsatz des französischen Beamten beim Castor-Transport bleibt undurchsichtig - die Bundesregierung wirft neue Nebelkerzen
In ihrer gestrigen Antwort auf schriftliche Fragen des Bundestagsabgeordneten Andrej Hunko erklärt die Bundesregierung, der französische Beamte (Eiertanz nach Castor-Schlappe) sei einer Bundespolizeihundertschaft zugeordnet gewesen. Grundlage des Einsatzes sei der Vertrag von Prüm, weshalb der Flic mit hoheitlichen Befugnissen ausgestattet worden wäre. "Die Beamten der anderen Vertragspartei sind bei der Durchführung von Zwangsmaßnahmen an das innerstaatliche Recht des Gebietsstaates gebunden", schreibt die Bundesregierung weiter.
Gegenseitige Hilfe bei der Handhabung von Massenprotesten oder Sportereignissen wird seit 1995 über das Schengener Durchführungsabkommen (SDÜ) geregelt. Hinzu kommen bilaterale Abkommen, die Deutschland beispielsweise mit allen Nachbarstaaten geschlossen hat. Das besonders weitgehende Abkommen mit der Schweiz 1999 stand Pate für den Vertrag von Prüm, der seit 2005 die polizeiliche Zusammenarbeit von Deutschland, Belgien, Frankreich, Luxemburg, den Niederlanden, Österreich und Spanien regelt.
Demgemäß nimmt es nicht wunder, dass die Aushilfe mit Wasserwerfern, Einsatzhundertschaften und Beweissicherungstrupps an die Schweiz am weitesten fortgeschritten ist. Im deutsch-schweizer Kooperationsvertrag ist der "Austausch von Beamten mit Wahrnehmung hoheitlicher Befugnisse" sowie "Hilfeleistung bei Grossanlässen, Katastrophen und schweren Unglücksfällen" niedergelegt. Laut dem Schweizer Bundesrat haben solche Einsätze Nothilfecharakter. Seit Jahren entsendet die Bundespolizei im Winter Beamte zur Kontrolle der Proteste im Ski-Örtchen Davos anlässlich des World Economic Forums. Die Distanzwaffen zur Bekämpfung von Unruhen waren zusammen mit fünf Hundertschaften auch beim G8-Gipfel 2003 in Genf eingesetzt.
Ein ähnliches Abkommen, befördert durch ein gemeinsames Zentrum zur Zoll- und Polizeizusammenarbeit, hat Deutschland mit Frankreich geschlossen. Der Einsatz der deutschen Wasserwerfer beim NATO-Gipfel in Strasbourg, die dort auch CN-Reizstoff sprühen durften, erfolgte auf Anfrage Frankreichs auf Basis des Vertrags von Prüm.
Während die Ausleihe deutscher Beamter samt schwerem Gerät für "polizeiliche Großlagen" und der ihrer Ausübung von Zwangsmaßnahmen also längst üblich ist, waren bislang keine Bilder prügelnder ausländischer Polizisten in Deutschland bekannt. "Der Einsatz von ausländischen Polizeibeamten in Deutschland ist gängige Praxis", behauptet demgegenüber die Bundesregierung. Von jenem "Instrumentarium" wäre bei der Weltausstellung in Hannover vor zehn Jahren (EXPO 2000) oder bei der Fußballweltmeisterschaft 2006 "in größerem Umfang" Gebrauch gemacht worden.
Bislang ohne Kampfausrüstung
Das stimmt so allerdings nicht: Die zu Hunderten eingesetzten ausländischen Beamten hatten zwar teilweise exekutive Befugnisse im Sinne von Notwehrrechten, waren aber größtenteils als szenekundige Beamte (sogenannte "Spotter"), Ansprechpartner oder Verbindungsbeamte unterwegs. Sie gaben den deutschen Polizisten Hilfestellung für die Überwachung von Fans aus ihren Entsendeländern. Zu den Aufgaben gehörten gemeinsame und gemischte uniformierte Streifen bei Public-Viewings, Fanbeobachtung und die Identifikation Verdächtiger, die Beratung und die Unterstützung deutscher Polizei bei Kontrollen oder die Begleitung von Fan- und Besuchergruppen.
Ein Großteil der Beamten kam aus Frankreich, der Schweiz und den Niederlanden. Die internationalen Verbindungsbeamten waren im Lagezentrum Zentrale Informationsstelle Sport in Neuss eingesetzt. Rechtsgrundlage war 2006 das Schengener Durchführungsübereinkommen, das 1997 mit Frankreich geschlossene Mondorfer Abkommen über die Zusammenarbeit der Polizei- und Zollbehörden in den Grenzgebieten und der deutsch-schweizerische Polizeivertrag. Polen schließt gegenwärtig mit allen Anrainerstaaten Abkommen für die Zusammenarbeit bei der EURO 2010.
Die WM-Polizisten trugen Westen, aber keine Kampfausrüstung. Laut Bundesregierung war der französische Beamte beim Castor allerdings mit "Schutzhelm, Pistole, einem Teleskopschlagstock und Handschuhen mit Protektoren" ausgerüstet. Seine Anwesenheit diente womöglich der Abschreckung: "Der Schulterschluss der Sicherheitsbehörden in Europa hat - davon bin ich fest überzeugt - eine präventiv abschreckende Wirkung auf die internationale Gewalt", erklärt dazu etwa Baden-Württembergs Landespolizeipräsident Erwin Hetger anlässlich der WM.
Normalerweise gehen der grenzüberschreitenden Polizei-Ausleihe also Anfragen voraus, deren Gewährung sich an den bereits bestehenden Regelwerken orientiert. Der Deutsch-Schweizer Kooperationsvertrag fordert etwa, dass eine Zusammenarbeit auf Ersuchen hin erfolgen muss, dem dann formal entsprochen wird. Wie bei Verwaltungsvorgängen üblich, dürfte hierzu ein Schriftwechsel existieren. Von der Existenz eines solchen Papiers ist zum diesjährigen Castor allerdings nichts bekannt geworden.
Keinesfalls können Einsatzleiter, Hundertschaftsführer oder gar einzelne französische Polizeikräfte selbst entscheiden, sich "Schotterern" im Wendland mit auch hierzulande umstrittenem Teleskopschlagstock entgegenzustellen – das Gerät kann schwerste Kopfverletzungen verursachen. Die Bundesregierung droht dennoch, die von ihr suggerierte "gängige Praxis", die anscheinend ohne vorherige Verständigung über Einsatzziel oder -dauer auskommt, soll "auch künftig beibehalten" werden und entspräche "dem Ziel der mit den internationalen Partnern abgeschlossenen Verträge".
Im Zuge dieser Verträge zur grenzüberschreitenden Polizeiaushilfe nehmen europäische Polizeien mehr und mehr an gemeinsamen Trainings zur Aufstandsbekämpfung teil, die seit drei Jahren von der Europäischen Union finanziert werden und unter anderem das Zusammenspiel von Gendarmerien unter militärischem Kommando mit "zivilen" Polizeien üben.
Möglich, dass die Anwesenheit des Franzosen beim Castor beim jüngsten EUPFT-Training auf dem Truppenübungsplatz Lehnin bei Potsdam verabredet wurde. Jene Länder, die Polizeien unter militärischem Kommando unterhalten, hatten mehr Gendarmerien als reguläre Polizeikräfte nach Lehnin entsandt. Beim EUPFT übten Gendarmen und Polizisten gemeinsam die Bekämpfung von Demonstrationen. Eine grenzüberschreitende Entsendung von militarisierten Polizeien anlässlich von politischem Protest hat es indes bislang nicht gegeben. Interessant zu sehen, ob die Bundespolizei das unerwartete Auftauchen eines französischen, italienischen oder niederländischen Gendarmen beim nächsten Castor-Transport ebenso kulant abhandelt wie kürzlich beim Bereitschaftspolizisten unter zivilem Kommando: Die noch vor Ort gestellte Strafanzeige wegen Amtsanmaßung und Verstoß gegen das Waffengesetz ist anscheinend verschwunden.