Ausstieg aus dem Ausstieg

EU-Abgeordnete dürfen weiterhin Familienangehörige für gut 15.000 Euro monatlich auf Kosten der Steuerzahler "anstellen", ohne sie dafür arbeiten zu lassen

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Eigentlich war vom EU-Parlament nach dem Durchsickern von Informationen, dass Abgeordnete im großen Stil Familienmitglieder nur formell als Assistenten beschäftigten, ihnen dafür aber monatlich bis zu 15.496 Euro überwiesen, im Mai beschlossen worden, dass diese Praxis 2009 ein Ende haben sollte. Mit weit weniger öffentlicher Aufmerksamkeit erfolgte nun der "Ausstieg aus dem Ausstieg".

Nach Erkenntnissen der WAZ, die der Zeitung von mehreren Parlamentariern bestätigt worden sein sollen, wurde diese Woche das Verbot der Anstellung naher Verwandter in einem "vertraulichen" Beschluss wieder aufgehoben. Nun gilt eine "Übergangsfrist" bis 2014. Vor allem der SPD-Politiker Martin Schulz, der als einer der möglichen Nachfolger Günther Verheugens als deutscher EU-Kommissar gehandelt wird, hatte auf solch eine Regelung hingearbeitet.

Da es weder für einen Parlamentarier noch für seine Familienangehörigen irgendwelche Schwierigkeiten mit sich bringt, Verträge zum 1. Juli 2008 rückzudatieren, dürfte diese "Altfallregelung" kaum ein Hemmnis für Neuanstellungen sein. Auffallen könnte solch eine Rückdatierung lediglich bei minderjährigen Kindern .

Weil eine Leistungskontrolle der über solche Verträge "angestellten" Familienmitglieder nicht stattfand, galt die Regelung Abgeordneten generell als Gelegenheit zur Aufbesserung des Familieneinkommens. Nachdem schließlich auch Finanzprüfer auf den massenhaften Missbrauch der Regelung aufmerksam gemacht hatten, verkündete Parlamentsvizepräsident Ingo Friedrich (CSU) im Mai mit großem PR-Aufwand, dass die Pro-Forma-Anstellung von Verwandten und Freundinnen in der kommenden Legislaturperiode ein Ende haben werde. Dafür sollte die folgende neue Formulierung sorgen:

Die Abgeordneten dürfen keine vergütete persönliche Unterstützung durch ihren Ehegatten oder festen Partner in einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft gemäß der Definition in Artikel 58 Absatz 2 oder durch Verwandte ersten Grades in aufsteigender und absteigender Linie oder Verwandte zweiten Grades in der Seitenlinie in Anspruch nehmen.

Telepolis richtete Anfragen an Abgeordnete aus allen deutschen und mehreren österreichischen Parteien, die im Europaparlament vertreten sind. Keiner der angesprochen Parlamentarier wollte sich zu dem neuen Beschluss äußern. Gegenüber der WAZ räumte Parlamentssprecher Jean-Yves Loog jedoch ein, dass "ein gewisser Widerspruch zum Parlamentsbeschluss vom Mai" bestehe.

Die Methode, in der Öffentlichkeit gut klingende Formulierungen über versteckte Ausnahmeregelungen in ihr Gegenteil zu verkehren, findet sich bei der EU nicht nur im Kleinen, sondern auch im Großen: In der "Grundrechtecharta" des Lissabon-Vertrages beispielsweise wurde die Todesstrafe in Artikel 2 Absatz 2 verboten, aber in einer versteckten Erklärung dazu wurde dieses Verbot wieder aufgehoben.