Austreibung des Teufels aus dem Computer
Ein amerikanischer Geistlicher berichtet Erstaunliches von den bösen Geistern, die sich auf Festplatten einnisten und die Menschen vor allem im Internet verführen
Nicht nur Soziologen und Psychologen haben die Computer und das Internet und manche bösen Dinge von computer rage über information overload bis hin zur Internet(sex)sucht entdeckt (Internetmanie), jetzt scheinen offenbar auch die Geistlichen eine Chance zu wittern, vor diesen buchstäblichen Teufelsdingen warnen zu können. Der "Geist in der Maschine", der schon immer a la Golem und Frankenstein für Horrorstories gesorgt hat, befällt die Menschen und verführt sie zu üblen Dingen.
Gestolpert bin ich über den Hinweis auf den Reverend Jim Peasboro, der offenbar aus Savannah stammt, über einen Artikel in The Register. Dort ist man über einen Artikel in der Zeitschrift Weekly World News gestolpert, der wirklich Außergewöhnliches versprach. Allerdings ist diese Zeitschrift überhaupt eine Fundgrube für denjenigen, der sich für Wunderbares interessiert, das den meisten Menschen einfach zu wenig bekannt ist. Da geht es in der aktuellen Ausgabe nicht nur um Computer, die von bösen Geistern besessen sind, sich also auch auf die Höhe der Informationsgesellschaft begeben haben, sondern beispielsweise auch um die Liebesgeheimnisse der Aliens, die von einer von diesen entführten Frau aufgedeckt werden. Sex mit den Aliens sei unübertrefflich, aber schließlich haben sie den irdischen Männern auch Jahrhunderte in den Schlafzimmertechniken voraus. meint die Expertin, die einen "mind-blowing" Sex mit ihnen hatte.
Auch ansonsten gibt es - natürlich exklusive - Nachrichten eines investigativen Journalismus. Leider nicht online zu lesen, wird ein "bombensicherer Beweis" für Leben auf dem Mars angekündigt. Da kann die NASA natürlich einpacken. Was sind mögliche Mikroorganismen oder gar nur ehemalige Flussläufe unter dem Staub schon gegen ein "top secret" Foto einer Weltraumstation auf dem Mars? Und aufgrund der einmaligen Beweise für Leben auf dem Mars - man, wer auch immer, hat Stimmen auf dem Mars gehört - wird endlich auch klar, was mit dem Mars Polar Lander geschehen ist: nicht abgestürzt ist er, die Aliens haben ihn geschnappt! Wenigstens muss sich dann die NASA keine Vorwürfe für technisches Versagen mehr anhören und hat einen Schuldigen gefunden.
Doch jetzt zu dem Geistlichen, von dem anscheinend ein Buch mit dem Titel "Der Teufel in der Maschine" zu erwarten ist. Natürlich ist er nicht gegen alles, was die Computer mit sich gebracht haben, sondern argumentiert, wenn es ihn denn geben sollte und er nicht auch ein Alien ist, ganz ähnlich wie die Sicherheitskräfte der ganzen Welt, wenn sie über das Internet und seine Gefahren sprechen. Das Computerzeitalter hat zu vielen Forschritten geführt, meint er, "aber auch noch eine andere Tür geöffnet, durch die der Teufel und seine Diener eintreten und die Seelen der Menschen verderben können."
Unlängst haben Soziologen aus einer Umfrage abgeleitet, dass das Internet die Menschen vereinsame. Da hätten sie nur mit dem amerikanischen Geistlichen sprechen müssen, denn der weiß, dass Dämonen in alles einfahren können, was ein Gehirn besitzt, gleich ob es sich um ein Hühnchen, einen Menschen oder eben um einen Computer handelt. Man ist also keineswegs einsam, wenn man Zuhause in seinem Zimmer vor seinem Computer sitzt. Ja, der Geistliche ist davon noch überzeugter als alle Propheten der Künstlichen Intelligenz, die wie Hans Moravec oder Raymond Kurzweil schließlich nur ankündigen, dass die künstlichen Geschöpfe bald unsere kognitiven Fähigkeiten haben werden. Für die Teufelsbrut reicht ein ausreichender Platz auf der Festplatte, um sich einzunisten - und den haben sie schon lange gefunden: "Jeder nach 1985 gebaute PC besitzt die Speicherkapazität, um einen bösen Geist beherbergen zu können." Viel brauchen diese Gesellen anscheinend nicht - oder haben Luzifer und sein Gefolge besonders kleine Gehirne? Ein Geheimnis bleibt leider, ob die Teufelsbrut nur dann zum Leben erweckt wird, wenn der Computer angeschaltet oder gar mit dem Internet verbunden ist. Wenn ja, dann könnte man geradezu von einem elektronischen Teufel oder von Internetdämonen sprechen, was doch wesentlich interessanter ist als all das akademische Gerede vom künstlichen Leben oder vom globalen Gehirn.
Wie auch immer, der Artikel erzählt uns, der Reverend sei auf die erstaunliche Entdeckung der besessenen Computer durch Erzählungen seiner Schäfchen gekommen. Sein Computer, wenn er denn einen haben sollte, blieb verschont, jedenfalls hören wir nichts davon, dass auch er in Versuchung geführt worden ist. Peasboro scheint in Savannah schon eine besondere Kirchengemeinde zu leiten, denn viele seien jedes Mal, wenn sie ihren PC benutzt hatten, in Kontakt mit einer "dunklen Macht" getreten: "Anständige, glücklich verheiratete Familienmänner wurden unwiderstehlich zu pornographischen Websites hingezogen und dazu gezwungen, unaussprechliche Abscheulichkeiten zu beobachten." Der Geistliche sollte wohl die Psychologen aufklären, die glauben, alleine in den USA gäbe es mindestens 200000 Cybersexsüchtige, aber wahrscheinlich ist Sucht nur ein moderner Begriff, der zudecken soll, dass der Teufel am Werk ist. Doch wir wollen uns als gute Journalisten nicht für eine Seite der um das Seelenheil der Menschen besorgten Experten entscheiden.
Noch schlimmer freilich ist, dass nicht nur Männer, von denen man ja auch vor dem Computerzeitalter einiges gewöhnt ist, sondern auch biedere Hausfrauen dem Teufelssex anheimfallen: "Hausfrauen, die niemals einen unreinen Gedanken zum Ausdruck gebracht haben, traten in Chat-Räume ein und entdeckten, wie sie eine verderbte und entwürdigende Sprache von sich gaben, die sie normalerweise niemals gebrauchen würden." Die Anonymität im Tollhaus des Internet lässt da einfach Grenzen der "Moral" überschreiten, was frau sonst nicht wagen würde. Eine Frau habe ihm gebeichtet, dass sie sich immer dann, wenn sie am Computer sitzt, wie ein anderer Mensch fühle oder den Eindruck habe, jemand anderer habe die Macht über sie erlangt. Nein, nicht das Unbewusste oder Verdrängte, der Teufel ist es, der aus dem Bildschirm starrt. Auch wenn Bill Clinton ja erst kürzlich für sich selbst das Internet entdeckt haben soll, dann könnte womöglich seine Affäre mit Lewinski und anderen doch auch auf die Teufel in den Computern zurückzuführen sein, die es im Weißen Haus sicherlich auch reichlich gibt.
Immerhin hat der gute Reverend eine Probe aufs Exempel gemacht und nicht nur den Erzählungen vertraut. Aufgeklärt, wie man dennoch ist - und wie es viele Amerikaner sind, die dem Kreationismus anhängen und noch immer der Evolutionstheorie abschwören, deswegen auch offen für Alien-Stories sind -, hat er sich also mit dem Computer eines Gemeindeangehörigen ins Internet eingeloggt. Und dann geschah etwas überaus Merkwürdiges, gegen das wahrscheinlich auch Knoblauch und Kruzifix nicht mehr hilft, denn zu seiner Überraschung sprang ein "KI-Programm" an, ohne dass er etwas getan hatte: "Das Programm sprach direkt zu mir und machte sich offen über mich lustig. Es schrieb: Priester, du bist ein Schwächling und dein Gott ist ein verdammter Lügner." Aber es kam noch schlimmer, denn dann begann der Computer durchzudrehen und druckte etwas aus, das zunächst wie bloßes Gestammel aussah: "Ich ließ später einen Fachmann für ausgestorbene Sprachen den Text überprüfen. Es stellte sich heraus, dass es ein Schwall von Obszönitäten war, die in einem 2800 Jahre alten mesopotamischen Dialekt geschrieben wurden." Da sei doch jeder Hacker vor!
Beeindruckt und alarmiert von seinen Entdeckungen stürzte sich der priesterliche Sherlock Holmes noch tiefer in die Untersuchung und fand alarmierende Tatsachen heraus. Die meisten der Jugendlichen, die Schulmassaker wie das in Columbine ausübten, seien Computerfans gewesen, die von Computerdämonen beeinflusst worden waren. Nach den Forschungen des Priesters ist es wirklich ein Wunder, dass nicht schon viel mehr passiert ist, denn er glaubt, dass bereits in einem Zehntel der amerikanischen Computer ein böser Geist haust. Ob da Microsoft dahinter steckt oder Linux vor Dämonen schützen kann, erfahren wir leider nicht. Doch werden die priesterlichen Teufelsaustreiber in Zukunft viel zu tun haben, denn die soll man um Rat fragen, wenn man fürchtet, dass in den eigenen Computer ein Teufel eingefahren sein könne, die sich möglicherweise wie Viren oder Meme schnell verbreiten.
Ob es aber so ratsam ist, einen Priester ins Büro zu holen, wenn der Arbeitscomputer wieder einmal spinnt oder man während der Arbeitszeit lieber sich in irgendwelchen schlüpfrigen Chat-Räumen oder Websites herumtreibt, Glücksspielen nachgeht und EMail über EMail verfasst, weswegen die Kündigung droht, ist doch zweifelhaft. Der Priester, aufgeschlossen für die moderne technische Welt, in der sich die elektronischen Dämonen herumtreiben, bietet erstaunlicherweise auch etwas anderes an: Anstatt sich an einen Priester zu wenden, könne man den besessenen Computer auch einem Techniker übergeben: "Techniker können die Festplatte austauschen und die Software neu installieren, wodurch man dauerhaft den bösen Geist los wird." So sind also die Computerexperten die neuen Schamanen. Oder sollte der Reverend mit seinem Buch gar nur ein hinterhältiger Agent der Computerbranche sein, der sich auf diesem Weg darum bemüht, dass die Menschen und natürlich vor allem die Internetsüchtigen sich neue Computer und Festplatten kaufen?
Ach, das Internet und die Medien, man weiß nicht mehr, was man glauben soll, was wahr ist und was nicht. Das Problem hatten die Menschen zwar bereits verstärkt im ausgehenden Mittelalter und zu Beginn der Neuzeit, als neues Wissen und neue Technik mit der Religion zu konkurrieren begann. Die religiösen Experten wie Teresa de Avila oder Ignatius von Loyola waren emsig darum bemüht, Kriterien dafür herauszufinden, welchen Vorstellungen man glauben dürfe und welche vom göttlichen Widersacher eingegeben wurden. Ständig war man in Versuchung und irrte in der Welt herum, die zum Labyrinth geworden ist, während das Leben zu einem Traum wurde, bis Descartes in einem Traum eine letzte Gewissheit fand, um Wirklichkeit von Wahn zu unterscheiden. Aber der kannte schließlich nur ein paar armselige Automaten, ansonsten war die Inquisition noch vornehmlich mit den vom Teufel verdorbenen Menschen beschäftigt, bei denen man noch nicht die Festplatte auswechseln konnte, um sie von den Dämonen zu befreien. Wir sind also, mitsamt den bösen Dämonen, auf dem Weg der Aufklärung doch ein paar Schritte vorangekommen: die Technik gebiert Ungeheuer und befreit uns auch wieder von ihnen.