Ausweitung der Kampfzone
Aus der eskalierenden Gewalt in demokratisch regierten Städten wie Portland will Trump Kapital schlagen
Seit rund zwei Monaten dauern in den USA die landesweiten Proteste gegen Rassismus und Polizeigewalt an. Zuletzt waren sie in Portland nicht nur in gewaltsame Ausschreitungen umgeschlagen, sondern wurden auch angeheizt durch ein Vorgehen der anonymer "federal agents", die für alles andere als Deeskalation sorgten. Präsident Donald Trump kündigte am Mittwoch an, dass er nun auch hunderte Sicherheitskräfte des Bundes nach Chicago, Kansas City und Albuquerque entsenden wird. Sie sollen dort die Polizei unterstützen und die steigende Kriminalität bekämpfen.
Trump schob in seiner Rede am Mittwochabend die Schuld für die jüngsten Ausschreitungen und für die seit längerem steigende Kriminalität auf die demokratischen Bürgermeister, die in den jeweiligen Städten regieren. Bei der Eindämmung der Proteste der "extrem radikalen Linken", die Trump für die zunehmende Gewalt verantwortlich macht, seien die Lokalpolitiker überfordert.
Zudem begründete er seine Intervention in Chicago, wohin 200 Einsatzkräfte geschickt werden sollen, vor allem mit einer stark ansteigenden Bandenkriminalität. Dort habe es zuletzt eine "schockierende Explosion an Tötungen" und Gewaltverbrechen mit Schusswaffengebrauch gegeben. "Dieses Blutvergießen muss ein Ende haben", sagte Trump. "Wir haben keine andere Wahl, als uns einzumischen." Die Lage in Chicago hatte Trump letztes Jahr als "schlimmer als Afghanistan" bezeichnet.
Zuvor hatten sich führende Politiker mehrere Städte klar gegen einen solchen Einsatz gestellt und teils mit rechtlichen Schritten gedroht. Auch Chicagos Bürgermeisterin Lori Lightfoot hatte sich schon vor der Ankündigung klar gegen die Entsendung von paramilitärisch anmutenden Bundespolizisten ausgesprochen. Am Mittwoch sagte sie: "Wir brauchen keine Bundestruppen. Wir brauchen keine namenlosen Beamten, die in den Straßen von Chicago umherstreifen, unsere Einwohner ohne Grund aus dem Verkehr ziehen und ihre verfassungsmäßigen Rechte verletzen." Trump wolle nur von seinem Versagen im Kampf gegen die Corona-Pandemie ablenken, sagte Lightfoot. Wenn Trump wirklich etwas tun wollte, um die Gewalt in Städten zu bekämpfen, sollte er sich zum Beispiel auf Bundesebene für ein strengeres Waffenrecht einsetzen, forderte sie.
Die Entsendung von Bundesbeamten zur Unterstützung von lokaler Polizei ist nicht ungewöhnlich. So kündigte der Generalstaatsanwalt William Barr im Dezember eine ähnliche Anstrengung für die "sieben gewalttätigsten Städte Amerikas" an. Im Rahmen der "Operation Relentless Pursuit" sollten die Bundesbeamten "Morde aufklären und gewalttätige Gangs" zerschlagen, sagte Barr. "Das ist klassische Verbrechensbekämpfung."
Neue Wahlkampfstrategie?
Trumps Entsendung weiterer Bundespolizisten sei ein Schritt, der die politische Spaltung des Landes vertieft und wenige Monate vor der Präsidentschaftswahl eine Verfassungskrise heraufbeschwört, kommentiert The Atlantic. Nachdem das Coronavirus die US-Wirtschaft auf den Kopf gestellt mehr als 140.000 Amerikaner getötet und eine historische Arbeitslosigkeit verursacht hat, scheint Trump auf der Suche nach einer Strategie für eine zweite Amtszeit. Die Massendemonstrationen gegen Rassismus und Polizeibrutalität scheint Trump nun für sich nutzen zu wollen.
Trumps Plädoyer für "Recht und Ordnung" könnte seine Wiederwahlkampagne auszeichnen. Trumps Vorstoß könnte gut ankommen bei Wählern aus den Vorstädten und überhaupt älteren Wählern, die durch Gewalteskalationen verunsichert sind. Auch Geschäftsleute unterschiedlicher Schichten aus den Innenstädten, die wegen Plünderungen und Gewaltausschreitungen in Straßenkämpfen um ihre Existenz fürchten, könnten dazuzählen.
Fraglich ist jedoch, ob das brutale Vorgehen der nicht näher identifizierten Spezialeinheiten in Militärmontur, die zum Teil auch unschuldige Menschen ohne Grund festnehmen und in nicht gekennzeichneten Autos wegfahren, nicht weitere Ausschreitungen provoziert. In der Tat eskalierten die jüngsten zivilen Unruhen, nachdem ein solches Vorgehen für Bestürzung gesorgt und die Lage verschärft hatte.
Portlands demokratischer Bürgermeister, Ted Wheeler, der am Mittwochabend selbst Tränengas abbekam, hat mehrfach betont, er habe die Bundeskräfte nicht angefordert. Er wolle sie im Gegenteil gar nicht in seiner Stadt haben. Ihr Einsatz habe zur Eskalation geführt und "das Risiko von Gewalt gegen Zivilisten und Strafverfolgungsbeamte" noch erhöht. Die Justizministerin Oregons, Ellen Rosenblum, wirft beteiligten Bundespolizisten vor, Personen fernab des Protests und ohne hinreichenden Verdacht festgenommen und in unmarkierten Autos weggebracht zu haben.
Trump selbst lobte das Vorgehen der Sicherheitskräfte in Portland. Sie hätten "einen fantastischen Job gemacht". Die Stadt sei "völlig außer Kontrolle" gewesen, die Demonstranten seien "Anarchisten", die dabei seien, "diese Stadt abzureißen, sie zu plündern. Das Ausmaß der Zerstörung und was dort vor sich geht, ist unglaublich. Und der Gouverneur kommt: 'Wir brauchen keine Hilfe'", sagte Trump.
Allmächtiger Heimatschutz?
Das Heimatschutzministerium (DHS) erntete mittlerweile allerhand Kritik für die Aktionen der Bundespolizisten, einige Stimmen fordern die Abschaffung des "massiven föderalen Polizeiapparats". Das Ministerium erhielt seine Befugnisse durch das Homeland Security Act von 2002 während der Präsidentschaft George W. Bushs im Rahmen der Terrorbekämpfung. Über die weitreichende Immunität der Beamtenarbeit im Namen des Heimatschutzes klärt Law and Crime auf:
Während die Beamten ihre "offiziellen Pflichten" erfüllen, haben diese "Offiziere und Agenten" das Recht dazu unter anderem "Bundesgesetze und -vorschriften zum Schutz von Personen und Eigentum durchzusetzen", "Schusswaffen zu tragen", "Festnahmen ohne Haftbefehl wegen eines im Beisein des Beamten oder Agenten begangenen Vergehens gegen die Vereinigten Staaten oder wegen eines nach den Gesetzen der Vereinigten Staaten erkennbaren Verbrechens vorzunehmen, wenn der Beamte oder Agent berechtigten Grund zu der Annahme hat, dass die festzunehmende Person ein Verbrechen begangen hat oder begeht".
Das Ministerium könne jedoch nicht nur einzelne Beamte mit weitreichenden Befugnissen ausstatten, sondern auch die Regelungen schaffen, die diese Beamten durchsetzen dürfen als auch das Strafmaß für Verstöße gegen diese Vorschriften vorgeben.
Die Demokraten haben derweil ein Gesetz vorgeschlagen, das alle Bundesbeamten dazu verpflichten würde, während eines Einsatzes Identifikationsinformationen mit dem Namen, der Behörde und einer individuellen Identifikationsnummer zu tragen. Den Gesetzentwurf wurde von der Abgeordneten Alexandria Ocasio-Cortez vorgebracht.
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