Auswendig gelernte Textbausteine
Die Debatte zwischen Sarah Palin und Joseph Biden brachte deutsches Niveau im amerikanischen Fernsehen
Auf das Duell zwischen den beiden Vizepräsidentschaftskandidaten richteten sich im Präsidentschaftswahlkampf 2008 mehr Augen als jemals zuvor. Das lag nicht nur an der gestiegenen Einwohnerzahl der USA, am stärkeren internationalen Interesse oder daran, dass Dick Cheney gezeigt hatte, wie stark ein Vizepräsident die Politik einer Administration bestimmen kann, sondern vor allem an Sarah Palin.
Sie hatte mit ihrem Auftreten, ihren in großen Teilen der republikanischen Wählerschaft beliebten religiös geprägten Positionen und ihrem Ruf als frische, unverdorbene Kraft, die Washington aufräumen könnte, kurz nach der Bekanntgabe ihrer Nominierung für einen Meinungsumschwung gesorgt, der John McCain in den Umfragen kurzzeitig nach vorne brachte. Geschichten über die Schwangerschaft ihrer unverheirateten Tochter und über ihr bildungsfernes Umfeld förderten ihre Beliebtheit bei amerikanischen Wählern eher, als ihr zu schaden.
Dann kamen einige Dokumente ans Licht, die belegten, dass ihre Selbstdarstellung als "Reformerin" nicht mit der Realität übereinstimmte. So erwies unter anderem ihre Behauptung, sie habe als Bürgermeisterin von Wasilla ihr Gehalt gekürzt, zwar als formal richtig – aber ein Blick auf die komplette Gehaltsentwicklung erbrachte trotzdem ein völlig anderes Bild: Als die Vizepräsidentschaftskandidatin im Oktober 1996 Bürgermeisterin von Wasilla wurde, betrug ihr Gehalt 64.200 Dollar.
Das kürzte sie zwar tatsächlich erst auf 61.200 Dollar, erhöhte es aber anschließend auf 68.000 Dollar. Vor Ablauf ihrer ersten Amtszeit nahm sie erneut eine Kürzung vor – diesmal auf 66.000 Dollar – um kurz nach ihrer Wiederwahl wieder auf 68.000 Dollar aufzustocken. Im Blog Political Carnival zeigte man sich zudem der Auffassung, dass man zu ihrem Gehalt noch das eines für 50.000 Dollar neu eingestellten Stellvertreters rechnen müsse, der angeblich 80 Prozent ihrer Arbeit erledigte.
Möglicherweise ebenso sehr schadeten ihr Fernsehinterviews, die Zweifel an ihrem Urteilsvermögen weckten. Die dort von ihr gegebenen teilweise bizarren, teilweise unkohärenten Antworten lieferten nicht nur der SNL-Komikerin Tina Fey Material, das sie kaum verändern musste, sondern führten auch dazu, dass im Web ein Interview Generator auftauchte, der mittels Markov-Ketten Antworten erzeugte, die sich in ihrer Wirkung bemerkenswert wenig von den von ihr tatsächlich gegebenen unterschieden.
Sogar prominente Republikaner taten nach den Auftritten ihr Entsetzen über die Kandidatin kund. David Frum, der ehemalige Redenschreiber George W. Bushs, sprach ihr in der New York Times öffentlich die Befähigung für das Präsidentenamt ab und Kathleen Parker riet ihr im National Review zum Rücktritt.
Die sich plötzlich verschärfende Finanzkrise und die Debatte um George W. Bushs "Rettungsplan" wendeten die Stimmung schließlich komplett zu Ungunsten der Republikaner und lösten Palin als Lieblingsthema in den amerikanischen Mainstream-Medien ab. Diese Gelegenheit nutzte John McCains Wahlkampfteam, um die Kandidatin auf seiner Ranch in Arizona einem Training zu unterziehen, dass, wie die Debatte jetzt zeigte, im Rahmen des Möglichen bemerkenswerte Erfolge zeitigte.
Wie eine Avon-Beraterin
Da die Fragen in Präsidentschaftsdebatten von den Erwartungen des Publikums bestimmt und deshalb relativ berechenbar sind, war es für das Team um McCains Wahlkampfmanager Rick Davis und dessen Chefstrategen Steve Schmid ein leichtes, eine größere Anzahl von Kurzreden zusammenzustellen, die Palin offenbar auswendig lernen musste. Das hatte allerdings vor allem zu Anfang der Debatte die Nebenwirkung, dass man den Antworten sehr stark ansah, dass es sich um auswendig gelernte Textbausteine handelte, die sie mehr oder weniger zur Frage passend aus ihrer inneren Datenbank hervorholte wie eine Avon-Beraterin.
Auch diese Textbausteine waren mit Buzzwords und patriotisch-gefühligen Bildern gespickt, wirkten aber doch weitaus kohärenter als die Aussagen in ihren Fernsehinterviews. Den großen Widerspruch, mit dem auch andere republikanische Kandidaten derzeit kämpfen, konnte oder wollte aber auch McCains Wahlkampfteam nicht beseitigen: Einerseits führt Palin die Finanzkrise auf Korruption an der Wall Street und Betrug an Kreditnehmern zurück, andererseits will sie nicht, dass der Staat hier Schutzvorschriften entwirft und durchsetzt, sondern dass er sich noch stärker heraushält als bisher.
Ihr Kontrahent Joseph Biden hatte sich im Vorfeld der Debatte ebenfalls einige Aussagen geleistet, die durchaus an seinen politischen Kompetenzen zweifeln ließen. Unter anderem hatte er davon gesprochen, dass Franklin Delano Roosevelt während des Börsencrashs 1929 eine Fernsehansprache gehalten hätte – zu einer Zeit, als es dieses Medium noch gar nicht gab und als Herbert Hoover Präsident war. Doch trotz einer von der republikanischen Partei ins Web gestellten Sammlung der Fauxpas interessierten sie niemanden so recht.
Im Vorfeld der Debatte fragten sich Kommentatoren vor allem, ob er in die sich anbietende Falle tappen, Palin zu sehr von oben herab angreifen, und dadurch arrogant wirken würde. Wahrscheinlich auch deshalb, weil diese Möglichkeit oft genug in allen Medien debattiert wurde, begab sich der Demokrat aber nicht einmal in die Nähe solch eines Verhaltens.
Obwohl der Zugriff auf die Textbausteine im Laufe der Debatte etwas flüssiger vonstatten ging und sie an der einen oder anderen Stelle möglicherweise sogar ein klein wenig improvisierte, brachte die Menge an auswendig gelernten Beiträgen in Verbindung mit Bidens Zurückhaltung die gesamte Debatte insgesamt auf deutsches Fernsehniveau. Die hier produzierten Live-Sendungen mit Politikern gelten aufgrund der Unterwürfigkeit vor allem der öffentlich-rechtlichen Reporter und deren Angst vor dem Nachhaken als großartige Gelegenheit für Politiker, nicht auf Fragen einzugehen, sondern stattdessen mehr oder weniger passende Werbetexte abzuspulen.
Nach dem Ende der Debatte führte Biden in den von CNN live ermittelten Zustimmungsraten der Zuschauer. Allerdings sind die Präsidentschaftswahlen erst in einem Monat – und bis dorthin kann noch viel passieren, was die Stimmung erneut zugunsten der Republikaner kippen lassen kann. Derzeit soll McCains Team angeblich an einer "Traumhochzeit" von Palins schwangerer Tochter arbeiten, die das Interesse weg von der Wirtschaft und hin zu Familien- und Wertethemen lenken soll.