Auto/Aggression

Split/Second

Zwei neue Games von Disney und Activision verbinden Kriegs- und Rennspiel

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Der Tradition des Autorennspiels noch etwas Neues hinzufügen zu wollen bedarf schon einiger Findigkeit. Da bietet es sich eher an, einen Blick über den Rand des Genres zu werfen und wie Split/Second (Disney) und mehr noch Blur (Activision) Kriegsspiel-Elemente auf die Straße zu befördern.

So richtig neu ist es zwar auch nicht, den Krieg in den Straßenverkehr einzuführen, wie wohl jeder Berufsfahrer weiß. Aber auch im Videospiel ist dieses Crossover schon länger bekannt: Von Burnin‘ Rubber oder Spy Hunter bis Ride or Die. Die beiden neuen Rennspiele bieten ihre aggressiven Möglichkeiten jedoch strategisch an und betten sie in ein mediales Rahmensetting oder implementieren sie in eine eSports-Arena. Dass beide Spiele die Autorennstrecke dabei als Kampfarena umdefinieren, verdeutlicht nicht nur die symbolische Bedeutung des Wettkampfes, sondern offenbart – zumindest im Fall von „Split/Second“ - einmal mehr die Bedeutung des Straßenverkehrs für die moderne Gesellschaft und wie durch ihn der urbane Raum ge-/verformt wird.

Sekunden & Bruchteile

Disneys „Split/Second“ hat bereits vor über einem Jahr von sich reden gemacht, seit die ersten Gameplay-Videos auf der E3 aufgetaucht waren. Hinter einem standardisiert aufgebauten Rennspiel, bei dem man im Karriere-Modus neue Strecken und Fahrzeuge freischalten kann, verbirgt sich ein regelrechtes Terra-Forming-Konzept: Gegnerische Fahrzeuge kann man auf die übliche Weise überholen und so versuchen als erster durchs Ziel zu fahren. Man kann jedoch auch durch bestimmte Fahrmanöver, wie dichtes Auffahren, Sprünge oder geschicktes Driften durch Kurven einen Energie-Balken aufladen, der einen dann in die Lage versetzt, kleine bis große Katastrophen auf der Strecke vor einem auszulösen. Ziel ist es, die gegnerischen Fahrzeuge auf diese Weise zu zerstören: Durch Auslösen von Explosionen, Objekte (vom Eisenträger bis zum abstürzenden Flugzeug) auf die Fahrbahn zu bringen und sogar Felsformationen und Gebäude neben der Piste zu sprengen, die dann auf den Weg krachen.

Split/Second

Wenn man Pech hat, erwischen diese Aktionen nicht nur die Gegner, sondern auch das eigene Fahrzeug, was der Aktion ein wenig den Charakter eines Selbstmordattentats verleiht. Große Terroraktionen, für die man vorher mehr Energie sammeln muss, können die Fahrbahn umlenken und neue Wege erschließen. Gerade solche Angriffe werden vom Spiel optisch detailliert und in Zeitlupe ausgekostet, um etwa die erhabene Ästhetik eines riesigen auf die Fahrbahn fallenden Flugzeug-Towers minutiös auskosten zu können. „Split/Second“ situiert solche Ästhetiken jedoch – anders als zum Beispiel Burnout Paradise - innerhalb einer Rahmenhandlung. Denn wir sind die Teilnehmer einer futuristischen TV-Show mit mehreren Milliarden Zuschauern, ganz wie im Film Death Race (das Remake von Paul Bartels „Death Race 2000“). Die Settings, in denen gefahren wird, wurden eigens für die Show konstruiert. Der Vorspann des Spiels zeigt die Arbeiten daran. Alle Zeitlupen und Bildmanipulationen zeigen also, was der TV-Zuschauer sieht.

„The Traffic is Murder!“

„Blur“ von Activision kann weder mit solch einer Rahmenhandlung noch mit einer ähnlichen Ästhetik wie „Split/Second“ aufwarten. Die Arcade-Elemente sind hier viel deutlicher als Computerspiel angelegt. Die Stärken des Spiels liegen daher auch woanders – nämlich im Contest mehrerer menschlicher Spieler. Auch „Blur“ verfügt über Karriere- und Mehrspieler-Modi. Dass das Spiel kein Science Fiction sein möchte, zeigt sich schon an der Auswahl der Fahrzeuge: „50 lizensierte Autos“ - wirbt das Cover. Auf mehreren – ebenso realistischen - Strecken, die gleichermaßen durch ovale Renn-Arenen wie durch Städte führen, verschafft man sich als Fahrer mit dem für das Terrain am besten geeigneten Fahrzeug (das natürlich vorher freigespielt werden muss) entweder durch Geschwindigkeit einen Vorteil, oder durch rohe Gewalt.

Blur

Denn verstreut auf der Fahrbahn liegen acht unterschiedliche so genannte „Powerups“, die das Fahrzeug mit Angriffs-, Verteidigungs- oder Fluchttechniken ausstatten. Drei solcher „Powerups“ lassen sich gleichzeitig einsammeln und können kombiniert gegen die gegnerischen Fahrzeuge eingesetzt werden: etwa Schockwellen, die durch sie hindurchfahrende Autos abbremsen, Minen, die man hinterlegen kann, eine Nitrobeschleunigung, Schutzschilde, ein Reparatur-Tool und anderes. Dass diese „Powerups“ als grafische Elemente über der Fahrbahn schweben, situiert „Blur“ – ähnlich wie Disneys Fuel - stärker im Arcade-Bereich als seinen Konkurrenten „Split/Second“. Und auch die grafische Umsetzung dieser Waffen nimmt dem Spiel das an Realismus, was man ihm durch die authentischen Fahrzeugtypen und die fotorealistische Grafik wohl hinzuzufügen beabsichtigte: Zuckende Blitze, flirrende Druckwellen (von denen das Spiel wohl seinen Titel hat) und ähnliche grafische Effekte.

Blur

„You finish first – or never!“

Beide Spiele verfügen über ähnliche Offline-Modi, zu denen auch Ausscheidungsrennen gehören. Bei „Split/Second“ gibt es einen „Destruction Mode“, in welchem nach Ablauf eines Countdowns der jeweils letzte Fahrer durch Explosion seines Fahrzeugs aus dem Rennen fliegt. Auf ähnliche Weise kann man auch bei „Blur“ in einem Zerstörungsmodus die Gegner allein mit Waffengewalt ausscheiden lassen. „Blur“ bietet zusätzlich ein etwas elaborierteres Karriere-Modell, bei dem durch die Siege Fans akquiriert werden müssen. Ein hoher Fan-Status kann auch durch Einsatz von „Powerups“ erreicht werden, so dass der Acitivision-Titel im Prinzip auf einem ähnlichen, nur eben imaginären Zuschauer-Prinzip basiert wie „Split/Second“: Zeig deinen Fans, dass du über Blech-Leichen fährst und werde berühmt.

Blur

Beide Spiele enthalten ähnliche Online-Funktionalitäten mit Ranglisten und aus anderen Rennspielen bekannten Online-Features. In ihren interaktiven Offline-Modi unterscheiden sie sich deutlicher voneinander: Während „Split/Second“ für zwei Offline-Spieler einen zweigeteilten Bildschirm zur Verfügung stellt, können in „Blur“ gleich bis zu vier Spieler gegeneinander antreten (mit dem entsprechend kleinen Anzeigen-Quadranten auf dem Bildschirm). Darüber hinaus ermöglicht das Spiel bis zu 20 PS3s zu einem LAN zu verbinden, in dem „Blur“ dann gespielt werden kann. Hier wird das Crossover aus Rennspiel und eSport-Game (wie bei etlichen Shootern) im Gegensatz zu „Split/Second“ schon auf der technischen Ebene sehr markant, und „Blur“ könnte sich künftig als ernstzunehmende Plattform für derartige Contests bewähren.

Gefahr und Gefährt

Erstaunlicherweise warnt trotzdem das wesentlich irrealere und weniger auf das Mensch-vs.-Mensch-Spiel angelegte „Split/Second“ in seinem Vorspann mit jenem schon aus Genre-Vertretern wie der „Need for Speed“-Serie bekannten Hinweis man möge sich das Fahrverhalten im Spiel doch bitte im realen Straßenverkehr nicht zu eigen machen. Nun belohnt „Split/Second“ im Gegensatz zu „Blur“ riskantes Fahrverhalten, wie dichtes Auffahren oder mit Höchstgeschwindigkeit in der Kurve auf die Bremse zu treten, damit das Fahrzeugheck ausbricht, zwar direkt. Interessant ist allerdings, dass sich diese Belohnung in der Möglichkeit, weit „gefährlichere Eingriffe in den Straßenverkehr“ durchzuführen niederschlägt: Man wird durch sie zum Terroristen und Road Warrior. Hier werden potenziell tödliche Übergriffe auf Gegner nicht nur geduldet, sondern gefordert. Darauf wird der Warnhinweis Activisions wohl kaum bezogen sein ...

Split/Second

Die Settings von „Split/Second“ ähneln gerade gegen Ende eines Levels dann auch mehr Kriegsszenarien als Rennsport-Arenen. Die wohl kaum vorhersehbare Wirkung eines auf eine Fahrbahn abstürzenden Flugzeugs sind Gang und Gäbe in Kriegsführungsstrategien, die terroristischen Strategien immer ähnlicher werden. Das Autorennen wird damit auch zu einem Rennen ums Überleben. „Anzuhalten ist fast wie Sterben“, hat schon Roland Barthes 1959 in seinem Drehbuch zu Hubert Aquins Sportfilm „Of Sports and Men“ als Philosophie der darin zentral vorkommenden Rennfahrer benannt. In „Split/Second“ kann Anhalten zur Folge haben, dass man beispielsweise von einem ins Taumeln geratenen Schiff zermalmt wird. Es wird spannend sein zu sehen, wohin sich solche Rennspiel-Kriegsspiel-Crossovers entwickeln – gerade angesichts von Games wie Just Cause 2, in denen Kampfeinsätze in fahrenden Autos absolviert werden müssen, nähert sich das Kriegsspiel dem Rennspiel ja bereits von der anderen Seite her an. Es ist vielleicht nur eine Frage der Zeit, bis man in Rennspielen als strategisches Element die Autobombe einsetzen kann.

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