Automatisch arbeitslos
Seite 2: Immer mehr Menschen im Niedriglohnbereich, die Arbeitslosen werden durch Abbau des Sozialstaats drangsaliert
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- Immer mehr Menschen im Niedriglohnbereich, die Arbeitslosen werden durch Abbau des Sozialstaats drangsaliert
- Maschinen ersetzen weit mehr Jobs, als zu ihrer Herstellung notwendig sind
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Die Entwicklung jedenfalls ist rasant: Alle anderthalb Jahre verdoppelt sich nach dem Mooreschen Gesetz die Rechenleistung von Computern. Alle drei Jahre verdoppelt sich die Menge der weltweit digital gespeicherten Daten. Und die gegenwärtigen Roboter sind bei weitem nicht mehr so tapsig und schwerfällig wie frühere Generationen.
Ein Viertel aller deutschen Erwerbstätigen verdingt sich mittlerweile im Niedriglohnbereich, das heißt er oder sie verdient weniger als 9,54 Euro brutto die Stunde. Oft arbeiten in diesen Jobs gut ausgebildete Menschen, die keine andere Stelle finden. Ebenso erschreckend ist der Anteil der Leiharbeit: Über ein Drittel aller offenen Stellen in Deutschland werden nach Angaben der Bundesagentur für Arbeit inzwischen als Leiharbeit ausgeschrieben. Bis 1967 war Zeit- bzw. Leiharbeit (die Ausdrücke bezeichnen dasselbe, also die Arbeitnehmerüberlassung) in Deutschland gesetzlich verboten. Heute ist sie der Wirklichkeit gewordene Traum der neoliberalen Hardliner - und sie wird weiter zunehmen. Zwischen 1996 und 2016 hat sich die Zahl der Leiharbeiter mehr als verfünffacht auf mittlerweile fast eine Million Beschäftigte.
Im Grunde arbeiten wir ja nicht mehr, wir "jobben". Sinnbild für das Jobben ist der Zeitarbeiter, der von Arbeitsstätte zu Arbeitsstätte tingeln muss. Die "digitale Bohème" verdingt sich als Crowdworker, und Handwerker versteigern ihre Arbeitskraft auf Internetplattformen wie MyHammer. Hier bekommt derjenige einen Auftrag, der sich für den niedrigsten Stundenlohn verdingt. Das Ergebnis sind grausige Stundensätze von 4,30 Euro, um bei irgendwelchen Yuppies neues Fischgrätparkett oder Marmorfliesen zu verlegen. Der Zeitarbeiter ist der moderne Tagelöhner, ausgebeutet von Mercedes, Amazon und anderen Big Playern. Es ist eine bittere Ironie der Gegenwart, aber manch einer wäre heute schon froh, wenn er in einem Angestelltenverhältnis mit regelmäßigen Arbeitszeiten ausgebeutet würde.
Gleichzeitig verbreiten Lobbyverbände und unkritisch abschreibende Medien die Lüge vom "Fachkräftemangel". Tatsache ist: Einzig bei Pflegerinnen und Pflegern besteht ein Mangel an Bewerbern, aber keineswegs bei den vielbeschworenen Absolventen der sogenannten MINT-Fächer (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft, Technik). Nehmen wir die Ingenieure: Die Bundesagentur für Arbeit spricht hier von einem Fachkräftemangel, wenn auf eine Stelle drei Bewerber kommen; beim Verein Deutscher Ingenieure beträgt die Quote sogar eins zu fünf. Die Wirtschaft will natürlich die Löhne drücken und sich die Rosinen rauspicken, der Rest aber bleibt arbeitslos.
Und die Arbeitslosen werden gnadenlos mit Hartz IV und seinen entwürdigenden Maßnahmen schikaniert. Das 2005 eingeführte Hartz-IV-System verdankt seinen Namen bekanntermaßen Peter Hartz, seinerzeit Personalvorstand bei Volkswagen und Beauftragter der Bundesregierung für neue Arbeitsmarktreformen. Gut möglich, dass er bei der Entwicklung der teuflischen Hartz-IV-Reformen bei seinem Namensvetter gespickt hat. Denn was kaum einer weiß: Schon Ende der 1920er Jahre entwickelte der deutschnationale Reichstagsabgeordnete und Buchautor Gustav Hartz ganz ähnliche Pläne, um den Sozialstaat abzubauen.
Zwar kannte Gustav Hartz den Zusatzbeitrag noch nicht, aber er stellte schon damals Fragen, die neoliberale Hardliner noch heute beklatschen würden: "Geht man nicht bedenkenlos ein dutzendmal zum Arzt, wenn einmal genügte - nur weil es die Kasse bezahlt?" Ein Jahr später schrieb er an anderer Stelle: "Eine soziale Politik darf nicht mit der Sorge um die Kranken, Invaliden, Witwen, Waisen und Arbeitslosen die Förderung der Lebenstüchtigen, Leistungsfähigen und Arbeitenden vergessen." Sozialdarwinismus in Reinform.
Hartz fühlte sich von "Faulenzern und Drückebergern" umringt und setzte alles daran, den "Missbrauch der ungerechten und unnötigen Inanspruchnahme" von Sozialleistungen zu unterbinden und "asoziale Elemente" fernzuhalten. Die Arbeitslosen nannte er schon damals "Kunden", die man zur "eigenverantwortlichen Selbsthilfe" zwingen müsse. So neu sind die Inhalte der Hartz-IV-Reformen also nicht, nur fanden sie im Neoliberalismus einen idealen Nährboden.
Der Kapitalismus sägt sich selbst den Ast ab, auf dem er sitzt
Schon jetzt sind über eine Milliarde Menschen weltweit unterbeschäftigt oder ganz erwerbslos, Tendenz steigend. Die globale Arbeitslosenquote für die Altersgruppe zwischen 15 und 24 Jahren ist dreimal so hoch als bei den Älteren, besonders betroffen sind Frauen. Und über 40 Prozent der Menschheit schuften für weniger als 2 US-Dollar Lohn am Tag. Durch die dritte industrielle Revolution, die digitale Revolution, wird schon bald die billigste menschliche Arbeitskraft teurer sein als eine Maschine. Schon jetzt rechnen Volkswirte vor, dass man 65 Prozent der Lohnkosten spare durch Outsourcing von Jobs aus Industrie- in Entwicklungsländer. Setze man stattdessen Roboter ein, könne man 90 Prozent der Lohnkosten sparen. Das würde die Menschen im globalen Süden von ihrem elenden Sklavendasein ins nächste Elend stürzen: das der Arbeitslosigkeit. Apple baut derzeit eine neue Generation von Robotern, die bald die asiatischen iSlaves ersetzen sollen, die in 16-Stunden-Schichten unsere Smartphones in giftgeschwängerten Fabrikhallen bauen.
Die Finanzblasen sind nur ein Symptom der Dauerkrise. Eine der tieferen Ursachen liegt woanders: Der Kapitalismus sägt sich selbst den Ast ab, auf dem er sitzt, indem er seinen eigenen Markt zerstört: Durch die Automatisierung und Produktivitätssteigerung fallen Millionen Arbeitsplätze weg, und damit potenzielle Konsumenten. Deshalb ist auch zwecklos, die sogenannte Soziale Marktwirtschaft wiederbeleben zu wollen. Der vermeintlichen Finanzkrise liegen knallharte realwirtschaftliche Probleme zugrunde - der Kapitalismus selbst ist die Krise. Die Zeit zwischen 1945 bis 1973 war insofern nicht "normal", sondern eine Ausnahme im dauerhaften kriselnden Kapitalismus.
Vereinfacht gesagt musste das Kapital seit den 1980ern in abstruse Hedgefonds und andere "finanzielle Massenvernichtungswaffen" (Warren Buffett) investieren, um den Laden künstlich am Leben zu halten und abstrakte Profite zu erwirtschaften. Gleiches gilt für den gigantischen Schuldenberg, der ebenfalls dazu dienen soll, den Kollaps hinauszuzögern. Andernfalls wäre das System schon damals implodiert, weil sich in der Realwirtschaft immer weniger Profite machen lassen (der "profit squeeze"). Es gibt eine weltweite Überproduktion von Gütern, für die es kaum noch Absatzmärkte gibt. Aus reiner Arbeitskraft können die Unternehmen kaum noch Gewinne herauspressen. Die Gruppe Krisis um den Philosophen Robert Kurz bemerkte dazu in ihrem Manifest gegen die Arbeit:
Erstmals übersteigt das Tempo der Prozess-Innovation das Tempo der Produkt-Innovation. Erstmals wird mehr Arbeit wegrationalisiert als durch Ausdehnung der Märkte reabsorbiert werden kann. In logischer Fortsetzung der Rationalisierung ersetzt elektronische Robotik menschliche Energie oder die neuen Kommunikationstechnologien machen Arbeit überflüssig. Ganze Sektoren und Ebenen der Konstruktion, der Produktion, des Marketings, der Lagerhaltung, des Vertriebs und selbst des Managements brechen weg. Erstmals setzt der Arbeitsgötze sich unfreiwillig selber auf dauerhafte Hungerration. Damit führt er seinen eigenen Tod herbei. […] Der Verkauf der Ware Arbeitskraft wird im 21. Jahrhundert genauso aussichtsreich sein wie im 20. Jahrhundert der Verkauf von Postkutschen.
Manifest gegen die Arbeit