Automatisch arbeitslos
Seite 3: Maschinen ersetzen weit mehr Jobs, als zu ihrer Herstellung notwendig sind
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- Immer mehr Menschen im Niedriglohnbereich, die Arbeitslosen werden durch Abbau des Sozialstaats drangsaliert
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Arbeit ist das A und O des Kapitalismus. Kommt Sand ins Getriebe, stockt der Motor der Profitmaschinerie: "Das Kapital ist selbst der prozessierende Widerspruch dadurch", schrieb Marx hellsichtig, "dass es die Arbeitszeit auf ein Minimum zu reduzieren strebt, während es andrerseits die Arbeitszeit als einziges Maß und Quelle des Reichtums setzt. […] Nach der einen Seite hin ruft es also alle Mächte der Wissenschaft und der Natur wie der gesellschaftlichen Kombination und des gesellschaftlichen Verkehrs ins Leben, um die Schöpfung des Reichtums (relativ) unabhängig zu machen von der auf sie angewandten Arbeitszeit. Nach der andren Seite will es diese so geschaffnen riesigen Gesellschaftskräfte messen an der Arbeitszeit und sie einbannen in die Grenzen, die erheischt sind, um den schon geschaffnen Wert als Wert zu erhalten."
Die Kapitalakkumulation gerät zwangsläufig ins Stocken, wenn es keine Arbeiter mehr gibt, die Lohn erhalten und dann als Konsumenten das Kapital füttern, wie auch Marx betonte: "Es liegt also in der Anwendung der Maschinerie zur Produktion von Mehrwert ein immanenter Widerspruch, indem sie […] die Arbeiterzahl verkleinert. […] Mit der durch sie selbst produzierten Akkumulation des Kapitals produziert die Arbeiterbevölkerung also in wachsendem Umfang die Mittel ihrer eignen relativen Überzähligmachung."
Ja, Automatisierung gab es schon immer, auch die Webstühle ersetzten massenweise Arbeitsplätze. Historisch einmalig ist an der heutigen Lage aber nicht nur, dass die Automatisierung schneller wächst als die Märkte, sondern auch, dass die Maschinen weit mehr Jobs ersetzen, als zu ihrer Herstellung notwendig sind. Die wenigen Jobs, die in der Computer- und Roboterbranche entstehen, können die gegenwärtige Jobvernichtung keineswegs kompensieren: In den 1980ern waren noch 8,2 Prozent der Arbeitnehmer in denjenigen Technologie-Branchen tätig, die in diesem Zeitraum neu geschaffen wurden. In den 1990ern betrug die Quote 4,2 Prozent und in den 2000ern lediglich 0,5 Prozent. Deshalb hat sich der Industriekapitalismus auch nach und nach zum Finanzkapitalismus orientiert, da sich an den Finanzmärkten noch (abstrakte und der Realwirtschaft völlig entrückte) Profite erwirtschaften lassen.
Doch trotz dieser Entwicklungen palavern Wirtschaft und Politik unermüdlich von Wachstum, Vollbeschäftigung und Arbeitsmoral. Kein Wahlplakat, auf dem nicht mit mehr Jobs geworben wird - obwohl die Jobsuche einem Stuhltanz gleicht. Dabei ist die Sache mit der Arbeit extrem schizophren: Wir streben insgeheim nach Faulheit - und preisen lautstark die Arbeit. Der Ruf nach mehr Arbeit ähnelt dem Stockholm-Syndrom, bei dem die Opfer von Geiselnahmen nach und nach ein positives Verhältnis zu ihren Entführern aufbauen.
Als die Lokführerinnen und Erzieherinnen 2015 streikten, musste man in der FAZ, dem Sprachrohr des Kapitals, folgende Propaganda lesen: "Der Wettstreit um größere Anteile am Wohlstandskuchen führt dann leicht dazu, dass der Kuchen insgesamt nicht mehr wächst, sondern schrumpft." Was für ein Stuss!
Mit dem Gefasel von "Wachstum", "Wettbewerb" und "Standortsicherheit" versucht man uns einzureden, dass wir den "Gürtel enger schnallen" müssten, weil nur so "sichere Arbeitsplätze" möglich seien - und das alles sei auch noch "alternativlos". Eine Lohnerhöhung sei nicht drin, weil sonst die Firma pleitegehe. Wir dürften die Reichen nicht zu stark besteuern, weil sonst die Leistungsträger ins Ausland gingen. All diese Dinge werden Konsens - sogar bei den Lohnsklaven selbst, die sich oft genug voller Inbrunst in die Arbeit stürzen.
[…]
Auch Gewerkschaften, Marxisten und Antikapitalisten gehen diesem Konsens oft genug auf dem Leim, ohne zu merken, dass sie damit blindlings der kapitalistischen Logik folgen. Es ist das Paradox der Gegenwart: Die Arbeitsreligion hat genau zu dem Zeitpunkt den Status einer Staatsreligion erlangt, als die Arbeit abstirbt.
Wenn Menschen ihren Job verlieren und in Armut stürzen, suchen die meisten die Schuld bei sich selbst. Kaum einer gibt dem kapitalistischen System die Schuld. Das ist fatal. Denn Arbeitslosigkeit ist kein individuelles Versagen, sondern ein Systemfehler! Die Arbeit geht uns nicht deshalb aus, weil wir zu blöd sind. Sie geht uns auch deshalb nicht aus, weil die Vermögenden zu viel Steuern blechen, wie uns Neoliberale weismachen wollen. Die meisten Menschen werden über kurz oder lang keine Arbeit finden, weil erstens die Maschinen immer mehr Arbeitsplätze ersetzen und weil zweitens der Kapitalismus aus dem letzten Loch pfeift. Beide Dinge hängen natürlich eng miteinander zusammen.
Maschinensteuer
Vor den Folgen der Automatisierung warnen längst nicht mehr nur linkspolitische Protagonisten, selbst die Apologeten des Kapitalismus erkennen mittlerweile, was sich in der Gegenwart abzeichnet: So warnen die Wirtschaftswissenschaftler Erik Brynjolfsson und Andrew McAfee eindringlich davor, dass wir bis spätestens 2040 eine neue Massenarbeitslosigkeit haben werden.
Der einflussreiche und liberale Ökonom Tyler Cowen geht ebenfalls davon aus, dass zukünftig eine Elite von 10 bis 15 Prozent der Erwerbstätigen alle globalen Produktionsprozesse leiten werde; die Fachkenntnisse dieser Elite reichten aus, um die intelligenten Maschinen und Roboter weiterzuentwickeln und weltweit zu steuern. Und der US-Ökonom Jeremy Rifkin, einflussreicher Berater der US-Regierung und der EU, warnt schon seit Jahren vor den Folgen der Automatisierung: "Wir vollziehen gerade einen Wandel hin zu einem Markt, der zum allergrößten Teil ohne menschliche Arbeitskraft funktioniert."
Okay, und was tun? Kapitalismuskritik ist seit 2008 praktisch salonfähig geworden, sie sollte aber dringend die Arbeitskritik miteinschließen. Wenn eine gute Theorie die beste Praxis ist, dann lasst uns zuerst den Arbeitsfetisch auf der Müllhalde der bürgerlichen Ideengeschichte entsorgen. Das ist schwierig genug.
Auf der einen Seite stehen mögliche Schönheitsreparaturen in den Ruinen des Kapitalismus: Eine 30-Stunden-Woche bei vollem Lohnausgleich wäre hier nur der Anfang. Noch wichtiger wäre eine "Maschinensteuer" oder, wie es Frank Rieger vom Chaos Computer Club bezeichnet, eine Automatisierungsdividende: "Wenn uns Roboter und Algorithmen in der Arbeitswelt ersetzen, sollten sie auch unseren Platz als Steuerzahler einnehmen." Rieger fordert deshalb einen "Umbau der Sozial- und Steuersysteme hin zur indirekten Besteuerung von nichtmenschlicher Arbeit und damit zu einer Vergesellschaftung der Automatisierungsdividende."
Zu diskutieren wäre, ob das Geld nur an diejenigen ausgezahlt werden kann, die innerhalb der betreffenden Volkswirtschaft leben, oder ob es in einem weltweiten Fonds landet. Klar ist hingegen, dass Automaten im großen Stil Schwarzarbeit betreiben: Erst zerstören Zigaretten-, Leergut- und Fahrscheinautomaten sowie unzählige Fertigungsroboter und Computer Millionen von Jobs. Und dann "arbeiten" sie, ohne dafür Steuern zu zahlen. Für jeden Euro, den eine Maschine erwirtschaftet, sollten 10 oder mehr Cent an die Allgemeinheit gehen.
Auf der anderen Seite steht die Abrissbirne für die kapitalistischen Ruinen. Dazu gehört die ebenso bekannte wie notwendige Forderung, dass die Produktionsmittel in die Hände der Allgemeinheit übergehen müssen. Denn wer immer im Besitz dieser Mittel ist, wird zwangsläufig andere Menschen zu Lohnsklaven machen, sie vernutzen und sie dann auf die Straße setzen. Statt Maschinenstürmerei oder Rufen nach "mehr Arbeit für alle" tut es Not, die Eigentumsfrage zu stellen.
Die Automatisierung ist nur dann ein Horrorszenario, wenn man innerhalb der kapitalistischen Logik denkt. Sie könnte ein Paradies sein, wenn nur die paradiesischen Früchte gerecht verteilt wären, sprich, wenn die Maschinen allen gehörten. Maschinenstürmerei ist also keine Lösung. Im Gegenteil: Wir sollten - trotz aller Probleme - auch die Möglichkeiten der Automatisierung erkennen, die darin liegen, dass sich der Kapitalismus den eigenen Ast absägt. Und ja, all das ist leichter geschrieben als getan. Das Ende der Arbeit wird uns wohl noch jede Menge Arbeit machen.