Avatar: Gesülze mit fliegenden Meereskrokodilen und Riesenwalen mit vier Augen

Bild: © Walt Disney Company

Das Eigenleben emanzipierter Marionetten und US-Imperialismus. James Camerons "Avatar: The Way of Water" bietet spektakuläre Bilder, Weltflucht, verlogenenen Kolonialismus und ein reaktionäres Menschenbild.

The Way of water has no beginning and no end. Sea gives and takes.
Filmzitat "Avatar: The Way of Water"

Seit Jahren wurde er erwartet, jetzt kommt die Fortsetzung von James Cameron's "Avatar" als diesjähriger Weihnachtsblockbuster ins Kino – "endlich!", werden manche Fans jubeln. "Muss das sein?", werden all jene fragen, die vom ersten "Avatar"-Film vor nun schon 13 Jahren weniger begeistert waren.

Begleitet wird dieser Film nicht nur von großen Erwartungen, auch denen der Kinobetreiber, auf ganz großen Profit, sondern zugleich von einer lautstarken, übergroßen Marketingkampagne, die diesen Film schon im Vorfeld unübersehbar machen will, und die wieder einmal, wie fast immer bei solchen Filmen, den "größten und erfolgreichsten Film aller Zeiten" ankündigt.

"Bereite Dich vor zu glauben"

Alles beginnt dann mit einem prägnanten ersten Satz: "Prepare to believe", "Bereite Dich vor, zu glauben" – das steht Hellgrün auf Schwarz vor dem ersten Bild, um uns Zuschauer einzustimmen: Dieser Film ist ein Märchen und auch ein bisschen Diesseitsreligion, er ist Fantasy, die uns von einer besseren Welt erzählt und vor allem von unseren eigenen Möglichkeiten, in unserer Welt besser zu leben, aber dies ist auch auch klassischer Kinoeskapismus.

Überhaupt ist vieles sehr klassisch an diesem Film und es sind vor allem die besseren oder sogar guten Passagen in "Avatar: The Way of Water", in denen sich der Regisseur auf bewährte Erzählformen und Genrebausteine verlässt, in denen er weniger predigt und mehr zeigt, und in denen er mit Motiven aus der Kinogeschichte virtuos spielt.

Avatar: The Way of Water (20 Bilder)

Bild: © Walt Disney Company

Man könnte "Avatar 2", der über drei Stunden lang ist, nämlich auch so erzählen: Dieser Film hat drei Teile. Der erste ist ein Western, der zweite eine Art "Blaue Lagune", die vom verlorenen und wiedergefundenen Paradies und einer Art Neugeburt der Figuren und der Welt erzählt; und der dritte Teil ist dann ein Kriegsfilm.

Winnetou am Baggersee

Am Anfang werden die Figuren eingeführt – "happiness is simple"; dann aber doch nicht. "Sky People" kommen zurück – es folgen ein spektakulärer Zugüberfall, Indianergeheul, Geiselbefreiung durch Tomahawk und Pfeil-und-Bogen. Im zweiten "Kapitel" lernt man die "Sea People" kennen, ein türkisfarbenes Naturvolk, das in Harmonie mit dem Meer und seinen Tieren lebt.

Eine besondere Rolle spielen fliegende Meereskrokodile und Riesenwale mit vier Augen. Die Kernfamilie um Jake und Neytiri muss hierhin fliehen, als die "Himmelsleute", also schwerbewaffnete brutale US-Marines, nach Pandora zurückkehren. Erstmal gibt es Integrationsprobleme, denn die edlen Wilden verlangen von den Flüchtlingen aus dem anderen Stamm komplette Anpassung an ihre Lebensverhältnisse. Gegen "The shame of being useless."

"Politically Correct" ist das nicht. Vielmehr fragt man sich, ob James Cameron eigentlich der Widerspruch bewusst ist, dass er einerseits in beiden "Avatar"-Filmen fortwährend ein Plädoyer für Toleranz, für Neugier und für das Verständnis gegenüber fremden Kulturen hält, und andererseits diese Kulturen als alles andere als tolerant und neugierig zeichnet, sondern im Gegenteil das Klischee von der (als kluge "Vorsicht" verbrämten) Abschottung und Fremdenfeindlichkeit der Naturvölker reproduziert.

Doch gerade die nunmehr jugendlichen Kinder des Paares finden sich schnell zurecht und werden für die Geschichte immer wichtiger. Sie reifen zu den Eltern gleichgestellten eigenständigen Persönlichkeiten. Im Zweitältesten Lo'ak wiederholt sich die Pocahontas-Konstellation des ersten Films, als er mit der Häuplingstochter der "Sea People" anbandelt. Aber auch die beiden Adoptivkinder, die genetisch besondere Kiri, und der adoptierte Menschenjunge Spider spielen bald sehr spezielle Rollen.

In den 90 Minuten des dritten Teils kann Cameron dann seine eigentlichen Fähigkeiten voll ausspielen: Wie in "Titanic" geht ein Riesenschiff spektakulär unter, wie in "Terminator 2" wird mit Metall und Maschinen, Bomben und Bombast gekämpft. Und wer scheinbar tot ist, steht hier (fast) immer wieder auf.

Natur aus der Computerkonserve

Insofern muss man die vermeintliche umweltfreundliche Botschaft dieses Films stark relativieren: Sie befindet sich ungefähr auf dem Niveau des Discovery-Channel: lauter schöne perfekte Tiere und Pflanzen zu ewigem Sonnenschein mit touristischem Blick super fotografiert – Exotismus pur.

Aber es ist natürlich eine Natur, die komplett der Computerkonserve entsprungen ist, eine völlig künstlich phantastische Natur, Pflanzen und Tiere, die es nicht gibt – und überdies wird am Schluss alles Mögliche davon höchst eindrucksvoll kaputt gemacht.

Bild: © Walt Disney Company

Die neugeschaffene Welt, das Umweltengagement und die Verteidigung der Natur sind hier vor allem ein Vorwand, mit dem der Film auf politisch korrekte Weise trotzdem eine große Destruktionsmaschine anwerfen kann.

Greenwashing, dass dazu passt, dass man vor dem Film, in der Berliner Pressevorführung im UCI am "Mercedes-Benz-Platz" nahe der "Mercedes-Benz-Arena", erstmal ein Werbevideo des Autokonzerns zugemutet bekam, in dem eine Nachhaltigkeits-Kommunikatorin von Mercedes-Benz in einem erstaunlich dilettantischen und stilistisch geschmacklosen Setting (aber auch die Autos waren ja schon mal besser), Werber-Gesülze von "Medienkooperation", "Umwelt-Message" und "elektrischer Zukunft" darbot, von EQR SUV (bitte Englisch aussprechen) und der "Vision AVTR", einem Prototyp-Modell, das ein bisschen den Sauriern im Film ähnelt, sich aber jedenfalls irgendwie "autonom und elektrisch" fortbewegt.

Eine Steckdose braucht man wahrscheinlich trotzdem noch. Und ein kurzes Filmchen zeigt dazu den Cameron-Mond "Pandora", aber mit einer zweispurigen Landstraße direkt über dem Strand, auf dem ein Mercedes entlangbrettert... Realsatire pur schon vor dem Film.

Schmierige Männerphantasien

Das Menschen- und Familienbild von "Avatar" stammt aus dem 19. Jahrhundert. Männer entscheiden, alle gehorchen. Von Demokratie und Gleichberechtigung der Geschlechter ist nicht die Rede.

Es ist unfassbar reaktionär, wie hier Frauen selten etwas anderes tun, als zu kochen, zu weinen, und sich dann an den Schultern der Männer zu trösten. Diese entscheiden alles. Auch sehr US-amerikanisch ist, dass wir wieder diesen Söhne begegnen, die mit ihren Vätern Probleme haben, und dass immer wieder Väter gesucht werden, die Mütter hingegen irgendwie nie.

Sex und Liebe gibt es dafür nur in Kleinstdosierung: Eltern streiten sich hier über Erziehung. Aber niemals gibt es auch nur die Andeutung davon, dass ein Elternteil sich möglicherweise in einem anderen Menschen verlieben könnte. Dazu passt, dass die Geburt der einen Tochter als "a mystery" bezeichnet wird. Aber das ist wirklich eine andere Geschichte.

Wenn sich allerdings ein Teenager nackt und allenfalls mit einem Lendenschurz bekleidet in den Algen oder im Waldgras räkelt, dann ist das Ganze überhaupt nur möglich, weil es sich nicht um einen Menschen, sondern um einen Na'vi handelt, und weil die Haut nicht fleischfarben ist, sondern schlumpfblau.

Man darf sich wundern, warum jetzt in den USA so viel über das angebliche "Genie" von James Cameron geschrieben wird, aber nie über seine leicht schmierigen Männerphantasien, die ja mit den Pocahontas-Anleihen im ersten Teil nur begonnen haben und jetzt in der selbstgebastelten Blauen Lagune ihre Fortsetzung finden.

Phantasie-Spektakel in ungesehenen Bildern

James Cameron ist der Donald Trump unter den Regisseuren. Ein Ideologe, ein Prediger. Ein Prediger für 3D-Technik.

Aber auch wenn vieles an diesem Film schonungslos kritisiert werden kann und muss, lohnt es sich unbedingt, ihn anzusehen. Denn immer wieder erlebt man hier "state of the art", Kino im allerbesten Sinn: Erzählen in Bildern, vor allem ungesehenen Bildern, "bigger than life", eskapistisch, ein Spektakel, das die Phantasien und die Gefühle, auch das Unbewusste der Zuschauer berührt und entfesselt.

Die Bilder sind perfekt, was freilich kaum an der 3D-Technik liegt, sondern an der schnelleren Ablaufgeschwindigkeit: 48 statt 24 Bilder pro Sekunde sind enorm flüssig und klar.

3D hingegen führt weiterhin zu einem Eindruck der Entfremdung, der eher aus dem Film herausreißt. Gute Geschichten brauchen solche Gimmicks nicht.

Der Cyberspace, in dem wir leben

Ist es unangemessen, hier kurz über die innere Logik des Geschehens zu schreiben? An der hapert es jedenfalls.

Wie soll das alles eigentlich innerhalb der Gesetzmäßigkeit des Films zusammenpassen? Wer den ersten "Avatar" gesehen hat, wird sich noch daran erinnern, wie immer wieder mal die Avatare in sich zusammenfielen wie Marionetten, denen man die Fäden durchschnitten hat. Dieses prägnante Bild sollte uns Zuschauer regelmäßig daran erinnern, dass den Avataren ein realer Mensch zugrunde liegt, der in einem technischen Schneewittchensarg mit zig Kabeln diesen "Avatar" steuert.

Bild: © Walt Disney Company

"Avatar 2" ist auch hier viele Schritte weiter: Nicht ein einziges Mal mehr sehen wir dieses Bild der plötzlich leblos werdenden Marionette. Und nicht dein einziges Mal sehen wir einen der Marionettenspieler in einem Schneewittchensarg. Die Marionetten haben sich emanzipiert.

Sie haben ein Eigenleben gewonnen – so wie in jenen Märchengeschichten aus dem 19. Jahrhundert, in denen die Puppen plötzlich die Macht übernehmen.

Das ist kein unwichtiger Unterschied, sondern ganz wesentlicher. Denn dieser Film erzählt uns damit, dass er komplett in die virtuelle Welt eintaucht und den Unterschied zwischen der virtuellen und der realen Welt verwischt, auch von uns selbst.

Während "Avatar" 2009 ein Ausflug in einen fernen "Cyberspace" war, ist dieser 13 Jahre später längst zu einem Teil der eigenen Welt geworden – zumindest ist das die unausgesprochene Behauptung dieses Films.

Reaktionärer Modernismus wird magischer Realismus

Das bedeutet übrigens auch die komplette Identifikation mit dem Nichtmenschlichen, mit dem Barbarischen. Die Menschen sind böse. Es geht dem Film nicht um das Nichtidentische, darum, dass es kein richtiges Leben im falschen Menschlichen gibt, aber eben auch keines im genauso falschen des primitiven Naturvolks. Sondern es geht um ein "Zurück zur Natur". Wenn auch im Virtuellen.

Auch hier hilft noch einmal die Erinnerung an den ersten "Avatar"-Film, der allerdings beim Wiedersehen überraschend enttäuschend und einfach nur dumm und schlecht ist.

"Avatar" war eine Geschichte kaputter Männer, über die die Nacht der Schatten des verlorenen Kriegs gegen den Terror im Jahrzehnt zuvor lag. Eine Veteranengeschichte. Alles war als eine Art Tagtraum eingeführt. Es geht um Anerkennung des Fremden. Aber als etwas Fremdes.

Man könnte sagen: Hauptfigur Jake öffnete sich einer fremden Welt, er lernte etwas. Man könnte aber auch sagen: Eine Gehirnwäsche wurde vollzogen. Jake wurde mehr und mehr zum Wilden und Barbaren. Dies war keine Aufklärungsgeschichte, sondern es war die Geschichte einer Retardierung, einer Regression. Diese Regression ist nun im zweiten Teil komplett.

Zugleich war es von Anfang an eine erstes Paradox bei dieser ganzen Verklärung von Natur und Ursprünglichkeit und heiligen Gesetzen, dass es dann doch die schnelle profane Technik, die Rationalität und Aufklärung sind, die den Regenwald von "Avatar" retteten.

Das zweite noch größere Paradox war es, dass diese Rettung immer nur durch die höchst avancierte Technik der Amerikaner ermöglicht wurde, denn es war die Computertechnik die es überhaupt möglich machte, einen solchen Avatar zu konstruieren.

Der erste Avatar war reaktionärer Modernismus. Die Fortsetzung "Avatar the way of water" ist jetzt Esoterik und magischer Realismus pur

Imperialismus des Marketing

Der Film zeigt offen US-Imperialismus. In all seiner Brutalität. Natur wird vernichtet, mit Feuer. Hier sieht man Vietnam-Analogien und Napalm-Anspielungen; Menschen werden auch vernichtet, Kinder werden gefoltert. Sie schrecken vor nichts zurück.

Der Film selbst ist aber auch imperialistisch. Die Art wie er ins Kino gebracht wird, die Art wie er schon in seiner Marketingkampagne den Filmstart vorbereitet, lässt keinerlei Chancen und keinerlei Raum für anderes für Alternativen. Dieser Film will Gefolgschaft. Dieser Film will Unterwerfung.

Das passt super zum Disney-Konzern. Disney ist ja kein sympathisches Unternehmen. Der Disney-Konzern will Geld verdienen. Und zwar in der ganzen Welt. Deswegen darf der Film nicht zu amerikanisch sein. Ein bisschen amerikanisch muss er schon sein, aber wenn es zu amerikanisch ist, dann wird es nicht mehr in China verkauft. So denkt dieser Konzern.

Jeder, der ernsthaft glaubt, dass es sich, wenn man jetzt irgendwo "der größte Film aller Zeiten" liest, dabei um ein unabhängiges Urteil handelt, dem ist nicht zu helfen. Das sind natürlich alles Marketingstrategien. Auch was man jetzt im Netz und in manchen Zeitungen lesen kann: "Die ersten Rückmeldungen nach der US Premiere!", "Was ist auf Twitter los?" – das ist alles gemacht.

Wir kennen das von der politischen Propaganda, dass man solche Urteile auch maschinell erstellen kann. Wir dürfen nicht glauben, dass ein amerikanisches Unternehmen das nicht genauso macht, wenn es dem Verkauf nutzt.

Natürlich gehört zu so einer Marketingkampagne auch, dass in Deutschland – Kinobetreiber sagen dass unter der Hand ganz offen – Kinos gezwungen sind, dass sie diesen Film 3 Monate lang, 12 Wochen am Stück spielen.

Natürlich werden auf diese Weise auch die Zahlen produziert. Wenn vom "erfolgreichsten Film aller Zeiten" die Rede ist, dann ist ja auch die Frage: Meint man jetzt die Zuschauerzahlen? Oder meint man die Einnahmen?

Wenn ein Film über drei Stunden lang ist, dann kostet die einzelne Karte viel viel mehr. Dann ist so ein Film fast automatisch in diesem Sinne erfolgreich.

Infantilismus

Was bleibt unterm Strich? Ein Phänomen, das uns total viel über das Kino verrät. Das hoffentlich den Kinobetreibern ein bisschen Geld in die Kassen spült – denn das haben sie dringend nötig. "Avatar 2" wird nicht das Kino retten, denn das lebt von ernsthaften Geschichten und von Poesie.

Hier erlebt man nur Kindergeschichten und Kinderpoesie, für Erwachsene. Es gibt ja viele Erwachsene, die Harry Potter lesen und man muss ihnen das Vergnügen auch gar nicht nehmen. Aber ein ernsthafter Gegenstand, Kultur oder gar Kunst ist etwas anderes.

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