BND-Verbindung im Lernout & Hauspie-Skandal

Laut Enthüllungen einer belgischen Zeitung wollte der Nachrichtendienst über Tarnfirmen an fortgeschrittene Technologien herankommen

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Was zuerst nach einem ganz gewöhnlichem Fall aussah, bei dem es um kreative Buchhaltung, Spekulation und geldgierige Manager ging, verwandelte sich nun in einen Enthüllungsskandal über ein geheimes Projekt deutscher Nachrichtenkreise, an fortgeschrittene Technologien für Abhörzwecke heranzukommen. Das belgische Unternehmen Lernout & Hauspie ist der Hauptakteur in einem europäischem Spionageskandal, wie die belgische Zeitung De Standaard letzte Woche enthüllte.

Lernout & Hauspie (L&H) ist bekanntermaßen ein belgisches Unternehmen, das sich auf alle Arten von Sprachtechnologie spezialisiert hatte. L&H war ein florierendes Unternehmen vor allem deshalb, weil es großartige Geschäfte mit ca. 30 kleineren Firmen abschließen konnte. Diese sogenannten Sprach-Entwicklungs-Firmen bezahlten hohe Beträge für Lizenzen zur Benutzung von Technologien, die L&H entwickelt hatte. Diese Verträge ließen den Börsenkurs von L&H in die Höhe schnellen, was ihnen die Möglichkeit gab, einige der führenden Mitbewerber auf dem Sektor aufzukaufen, insbesondere Dictaphone und Dragon.

Doch die amerikanische Zeitung Wall Street Journal fand heraus, dass diese Kleinunternehmen, mit denen L&H so gute Geschäfte machte, von engen Geschäftspartnern von L&H gegründet worden waren und das WSJ beschuldigte L&H deshalb des Betrugs. Die amerikanische Börsenaufsichtsbehörde SEC begann auf Basis dieser Vorwürfe eine Untersuchung.

Weiterer investigativer Journalismus der belgischen Zeitung De Standaard führte zur Aufdeckung einer Geheimdienst-Verbindung im Betrugsskandal. Die Zeitung versuchte herauszufinden, warum die Sprach-Entwicklungs-Firmen sich darauf spezialisierten, Sprachtechnologien für kommerziell irrelevante Sprachen wie Hindi, Farsi und Türkisch zu entwickeln. Die Antwort war einfach: diese Sprachen sind für Geheimdienste sehr interessant, um abgehörte Kommunikation analysieren zu können.

De Standaard fand heraus, dass sich einer der Gründer der Entwicklungsfirmen Stephan Bodenkamp nannte, dessen richtiger Name Christoph Kionowski ist. Bodenkamp/Kionowski ist ein Agent des deutschen Nachrichtendienstes BND. Eine Zelle des BND ist auf Sprachtechnologie spezialisiert. Stephan Bodenkamp ist "technischer Direktor" dieser Abteilung und beobachtete jahrelang den internationalen Markt für Sprachtechnologien. Offiziell arbeitet Bodenkamp für das Amt für Auslandfragen (AFA) in München, das laut De Standaard zur Tarnung des BND dient.

Bodenkamp arbeitete eng mit einem belgischen Bankier, Frans van Deun, zusammen. Van Deun benutzte seine Firma, Radial Belgium, um den Aufbau der Sprachentwicklungsfirmen zu unterstützen. Radial Belgium wiederum ist mit der deutschen Firma Radial Sprachtechnologie GmbH in München verbunden. Laut De Standaard war der deutsche Zweig von Radial und deren Netz von Unternehmen 1997 von Bodenkamp und anderen hochrangigen Mitarbeitern des BND gegründet worden. Das Ziel des Radial-Netzwerks sei es, geheime Brücken zwischen Polizei und Nachrichtendiensten, Entwicklern von strategisch relevanten Technologien und Investoren herzustellen.

Das Konzept ist einfach: Die Tarnfirmen des Nachrichtendienstes versprachen den Entwicklungsfirmen finanzielle Unterstützung, Märkte für ihre Technologien und eine helfende Hand bei der Auftragserteilung von anderen Regierungsstellen. Die Annahme war, dass jeder profitieren würde. Der BND bekam erstklassige Technologie, die er nicht selbst entwickeln konnte, weil das viel zu teuer gekommen wäre. Die Entwicklungsfirmen bekamen Geld, um ihre Technologien weiterzuentwickeln. Und L&H konnte die Lizenzverträge als Einnahmen verbuchen, was ihren Aktienpreis in die Höhe trieb.

Doch schlampige Buchhaltung einiger Entwicklungsfirmen und investigativer Journalismus des Wall Street Journal und von De Standaard bereiteten dem Märchen ein Ende. Die Spionage-Connection flog auf, als Bodenkamp vor einigen Wochen von einem deutschen Gericht wegen der Fälschung eines Vertrags mit einer deutschen Firma namens Polygenesys, die Technologien zur Analyse großer Informationsmengen herstellt, verurteilt wurde. Durch das Verfahren wurden der wirkliche Name und die Funktion Bodenkamps bekannt.

Bodenkamp wurde inzwischen vom BND suspendiert. Doch er ist nicht der Einzige, der unter dem Skandal nun zu leiden hat. L&H steht vor dem Bankrott. Die Europäische Kommission hingegen hat ein interessantes Problem, da Bodenkamp auch der Koordinator des Projekts Sensus war. Dieses von der Europäischen Kommission finanzierte Projekt hat zum Ziel, Sprachtechnologien zu entwickeln, die von europäischen Strafverfolgungsbehörden und Geheimdiensten benutzt werden können, um die Kooperation und den Informationsaustausch zwischen ihnen zu verbessern. Das Hauptquartier des Sensus-Projekts hat die selbe Adresse wie die Radial Sprachtechnologie GmbH. Ein weiteres Spin-off-Unternehmen von L&H namens Sail Labs ist einer der führenden Partner in dem Forschungsprojekt.