Baerbock, die Grünen und zweierlei Immunität
Kurz nach dem Moskau-Besuch der deutschen Außenministerin wurden staatsanwaltschaftliche Ermittlungen gegen sie und den gesamten Parteivorstand der Grünen bekannt
Das Timing könnte schlechter nicht sein: Gerade war die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) noch in Moskau, um nach Lesart der Bild ihren Amtskollegen Sergej Lawrow zu überzeugen, "dass ein russischer Angriff auf die Ukraine sich nicht lohnt" – was er möglicherweise längst wusste.
Baerbocks "Klartext" über russische Truppen in der Nähe der Grenze zur Ukraine lobte das Blatt, gemeint war der Satz: "Es ist schwer, das nicht als Drohung zu verstehen". Nun ja, dabei konnte sie zumindest auf russische Erfahrungswerte mit Nato-Manövern in der Nähe der russischen Grenze bauen.
Der Tagesspiegel nannte es "pure politische, der Lage angemessene Kommunikation" - sie vertrete "deutsche Interessen, ohne große Umschweife, mit europäischen Leitplanken". Sogar Lawrow sei erstaunt gewesen.
Eine Art Jeanne D‘Arc des freien Westens also. Weniger als 24 Stunden später erschien Baerbock dann in den Schlagzeilen als schnöde Verdächtige, gegen die die Staatsanwaltschaft ermittelt, weil sie und ihre Parteivorstandskollegen sich im vorletzten Jahr "Corona-Boni" in Höhe von jeweils 1500 Euro bewilligt hatten.
Recht und Gerechtigkeit
Unabhängig von der strafrechtlichen Relevanz kann ihnen eine gewisse Mitnahme-Mentalität und wenig Fingerspitzengefühl für das Gerechtigkeitsempfinden von Normalsterblichen in der Corona-Krise unterstellt werden. Deshalb wurde das Geld nach innerparteilicher Kritik auch inzwischen längst zurückgezahlt. Ein alter Hut also?
Die Generalstaatsanwaltschaft Berlin sieht in den Sonderzahlungen "den Anfangsverdacht der Untreue", wie deren Sprecher Martin Steltner laut einem Bericht der ARD-tagesschau am Mittwoch sagte. Es gehe dabei um die niedrigste Verdachtsstufe. Anlass seien "mehrere Anzeigen" von Privatleuten. Die "Corona-Boni" stammten aus dem eigenen Parteivermögen und sollten Belastungen ausgleichen, die durch die Arbeit im Homeoffice und etwaige Umbauten entstanden.
Dem sechsköpfigen Bundesvorstand der Grünen, gegen den jetzt ermittelt wird, gehören Baerbock und Wirtschaftsminister Robert Habeck an, die beide zudem noch Parteichefs sind. Weitere Mitglieder sind die stellvertretenden Bundesvorsitzenden Jamila Schäfer und Ricarda Lang, Bundesgeschäftsführer Michael Kellner und Schatzmeister Marc Urbatsch. Sie sollen vollumfänglich mit der Staatsanwaltschaft kooperieren.
Außer Urbatsch gehören alle Betroffenen auch dem Bundestag an, daher muss sich auch der Immunitätsausschuss des Parlaments mit dem Ermittlungsverfahren befassen. Sollte es nicht vorher eingestellt werden, könnte die Staatsanwaltschaft die Aufhebung ihrer Immunität beantragen.
Die Corona-Zulagen waren bereits im vorigen Jahr bekannt geworden. Mitten im Wahlkampf war die Baerbock als Kanzlerkandidatin in die Kritik geraten, weil sie es versäumt hatte, Sonderzahlungen der Partei beim Bundestag als Nebeneinkünfte zu deklarieren. Der Fehler war nach Angaben der Grünen in den eigenen Reihen im März aufgefallen. Habeck erwartet nun keine neuen Erkenntnisse von den Ermittlungen. "Die Corona-Boni sind längst zurückgezahlt", sagte er laut einem Bericht der Zeit online am Donnerstag.
"48 Stunden keine Baerbock-Häme"
"Bitte die nächsten 48 Stunden keine Baerbock-Häme", hatte die sicherheitspolitische Sprecherin der Grünen im Bundestag, Sara Nanni, am Montag anlässlich des Moskau-Besuchs der Außenministerin via Twitter gebeten. "Außer, ihr wollt Putin einen Gefallen tun." Zufall oder nicht, immerhin wurde diese Frist bei der Berichterstattung über das Ermittlungsverfahren in etwa "eingehalten".
Bedenklich ist aber die Schützengraben-Mentalität mancher Abgeordneter der Grünen. Unbestritten gibt es im rechten Lager auch immer wieder "Baerbock-Häme" mit sexistischen Untertönen, denen selbst dann widersprochen werden sollte, wenn man von ihrer Politik aus handfesten Sachgründen nichts hält.
Aber die deutsche Außenministerin während eines Besuchs in Russland quasi für sakrosankt zu erklären, weil alles andere Feindbegünstigung wäre, zeigt, wo die Grünen als ehemalige Friedenspartei inzwischen gelandet sind. Entspannungspolitik geht anders; und nur um Entspannungspolitik kann es bei weltweiten Herausforderungen wie der Umwelt- und Klimakrise sowie den Folgen der Corona-Infektionswellen gehen. Immunität gegen Kritik darf es daher auch und gerade für die Grünen nicht geben.