Baerbock in Warschau: Abtasten bilateraler Problemzonen
Beim Thema Nord Stream 2 und Russland ist sich die Grüne mit ihrem polnischen Amtskollegen schneller einig, als wenn es um sexuelle Minderheiten geht
Nach Antrittsbesuchen in Paris und Brüssel hat die deutsche Außenministerin ihren polnischen Amtskollegen Zbigniew Rau zum ersten Abtasten der bilateralen Felder von Zusammenarbeit und Kontroversen getroffen. "Freundschaft" war ein Wort, das Annalena Baerbock am Freitag in Warschau oft bemühte.
Rau tat dies ebenso, es wurden jedoch Bedingungen gestellt. In Fragen der Sicherheit Polens habe "Deutschland eine besondere Verantwortung." so der Nationalkonservative.
Der polnische Außenminister sparte nicht an Kritik an der deutschen Vorgängerregierung von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), die die Gaspipeline Nord Stream 2 von Russland über die Ostsee nach Deutschland ermöglicht habe und forderte die Annullierung des Projekts. Auch bei dem zuvor kurzfristig anberaumten Treffen mit Staatspräsident Andrzej Duda ging es um "energiepolitische Themen", so die Kanzlei des Staatsoberhaupts.
Dass die Grünen zu den Russland-Skeptikern und Nord-Stream-2-Gegnern in der deutschen Parteienlandschaft gehören, ist der nationalkonservativen Regierung unter Mateusz Morawiecki bekannt – und auch polnische Rechtspostillen schöpfen daraus Hoffnungen.
Ein jahrzehntealtes Thema
Die Reparationsforderungen Polens für die Kriegsfolgen an Deutschland sprach Rau beim Treffen mit Baerbock ebenfalls an. Der Nationalkonservative sprach jedoch abmildernd von "Entschädigungen", über die Gespräche geführt werden sollten.
Der polnische Außenminister beschränkte sich zudem auf die Kulturgüter, die nicht während Kriegshandlungen zerstört worden seien, sondern als Folge der Bestrebung der deutschen Regierung, "sie aus dem Erbe der Menschheit zu löschen". Eine Anspielung auf die fast vollständige Zerstörung Warschaus nach der Niederschlagung des polnischen Aufstandes im Oktober 1944.
Die Grüne sprach von "Schuld und Verantwortung" der Deutschen, wurde jedoch nicht konkret. Auch zu dem Streit um Rechtsstaatlichkeit zwischen Polen und der EU-Kommission, durch den das Land Milliarden Euro Aufbauhilfe verlieren kann, äußerte sich die Außenministerin diplomatisch.
Sie wünsche sich "auf jeden Fall eine Lösung, die Europa stärker macht". Einen Beitrag könnte die Belebung des Weimarer Dreiecks werden, das 1991 gegründete und derzeit eingeschlafene Gesprächsforum zwischen Berlin, Paris und Warschau.
Baerbock für weitere Sanktionen gegen Belarus
Die Politik der belorussischen Präsidenten Alexander Lukaschenko gegenüber Polen nannte Baerbock deutlich "Erpressung", sprach sich für weitere Sanktionen aus und versprach Polen sowie den baltischen Staaten auf diesem Feld "Solidarität".
Gemeint war die Situation an der polnischen, litauischen und lettischen Grenze, wohin die belorussische Regierung seit Mai Flüchtende und Migranten führen lässt. Nach polnischer Einschätzung sei diese Aktion von Russland gesteuert – das Land stelle durch seine Aktivitäten eine "radikale Bedrohung" für ganz Europa dar, so Rau. Russische Truppen formieren sich derzeit zunehmend an der Grenze zur Ukraine.
Zu einer ganz anderen Unterredung traf die Grüne den Ombudsmann für Menschenrechte, Marcin Wiącek. In Polen gilt die Situation der sexuellen Minderheiten aufgrund von Anfeindungen durch die Regierungspartei "Recht und Gerechtigkeit" (PiS) und regierungsnahen Medien sowie deren Verbindung zum sehr konservativ eingestellten Klerus als bedrückend. Hier klaffen zwischen Grünen und polnischen Nationalkonservativen große Divergenzen.
"Viertes Reich": Wie PiS-Kreise deutsche Dominanz empfinden
Ausgespart blieb bei Baerbocks Antrittsbesuch ein Feindbild, das in den PiS-Kreisen immer mehr forciert wird: PiS-Chef Jaroslaw Kaczynski sah durch das Bestreben der neuen Führung in Berlin, der EU mehr Kompetenzen zu verschaffen, bereits das "Vierte Reich" heraufziehen.
Baerbock nahm bei der Pressekonferenz über die Geschichte ihrer Großeltern mütterlicherseits, die als Spätaussiedler 1958 aus Oberschlesien nach Westdeutschland gekommen waren, auch auf Polen Bezug. Zudem erwähnte die Grüne erneut, dass sie auf der Brücke über die Oder bei Frankfurt den EU-Beitritt Polens erlebt hatte. Ihren Großvater Waldemar, der an dieser Stelle "im Winter 1945" gekämpft hatte, ließ sie jedoch dieses Mal aus.
Zum Abschluss ihres Besuchs legte die deutsche Politikerin einen Kranz am Grab des unbekannten Soldaten nieder – am Sonntag wird ihr dies Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) gleichtun. Nach diesen Gesten folgt dann bald die Realpolitik.
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