Bald neuer Staat Bougainville?
Die Bewohner der Pazifikinsel stimmten nach einem Bürgerkrieg mit bis zu 20.000 Toten zu 97,7 Prozent für die Unabhängigkeit von Papua-Neuguinea
Dem gestern verkündeten amtlichen Endergebnis nach haben sich die Bewohner der zu Papua-Neuguinea gehörigen autonomen Region Bougainville mit 97,7 Prozent für eine vollständige Unabhängigkeit entschieden. Dem ehemaligen irischen Ministerpräsidenten Bertie Ahern nach, der die Referendumskommission leitet, war die Abstimmung "frei, fair und glaubhaft" und sollte nun von "allen Beteiligten" anerkannt werden, um der Insel "den Weg in eine friedlichen Zukunft" zu öffnen.
Das richtet sich vor allem an das Parlament in Port Moresby, der Hauptstadt von Papua-Neuguinea, das nun am Zug ist. Dessen Vertreter und Vertreter der Zentralregierung werden nun mit der Regionalregierung der autonomen Region über diese vollständige Unabhängigkeit verhandeln, was der Einschätzung des Infrastrukturminister Puka Temu nach Jahre dauern könnte. Man wolle dabei nämlich unbedingt vermeiden, einen Präzedenzfall für die Abspaltung weiterer Regionen des Landes zu schaffen, in dem über 800 verschiedene Sprachen gesprochen werden.
Ehemaliges "Schutzgebiet" der Hohenzollern
30 davon spricht man in Bougainville, das geographisch und kulturell eigentlich zu den Salomonen gehört. Diese Inselgruppe wurde 1886 ein deutsches "Schutzgebiet". Dreizehn Jahre später tauschte der Hohenzollernkaiser Wilhelm II. den östlichen Teil dieses Schutzgebiets mit der britischen Königin Victoria gegen Westsamoa. Bougainville behielt er - aber nur bis zum Ersten Weltkrieg. Danach schlug der völkerbundsbeauftragte Treuhänder Australien die Insel entgegen des Willens der dortigen Häuptlinge nicht ihren Salomonen zu, sondern dem vom Deutschen Reich übernommenen Papua-Neuguinea.
Dieses Papua-Neuguinea wurde 1975 unabhängig, wobei man Forderungen der Bougainviller Häuptlinge nach einer Abtrennung ihrer Insel ignorierte. Anschließend deckte Papua-Neuguinea mit den Einnahmen aus der großen Panguna-Kupfermine in Bougainwille zweitweise bis zu 20 Prozent seines Staatshaushalts. Zu den Exporten Papua-Neuguineas trug diese Mine damals sogar bis zu 45 Prozent bei. Das hatte 1988 ein Ende, als die Clans in der Nähe dieser Mine mit Angriffen und Anschlägen ihre Stilllegung erzwangen, wobei auch negative Auswirkung des Abbaus auf die land-, jagd- und fischereiwirtschaftliche Nutzbarkeit der Umgebung eine Rolle spielten.
Die etwa 250.000 Bewohner pflegen auch untereinander Gegensätze, die als Anlässe für gewalttätige Auseinandersetzungen taugen
Der Bürgerkrieg, der damit eingeläutet wurde, dauerte zehn Jahre und kostete mit 15.000 bis 20.000 Toten bis zu einem Zehntel der Bevölkerung Bougainvilles das Leben. Der Frieden, auf den man sich Ende Neunziger- und Anfang der Nullerjahre einigte, sah neben einer 2005 gewährten Autonomie auch die Volksabstimmung über die Unabhängigkeit vor, die nun vom 23. November bis zum 7. Dezember 2019 lief.
Erklärt sich das Parlament in Port Moresby nach Verhandlungen bereit, das Ergebnis dieses Referendums anzuerkennen, muss das nicht zwangsläufig heißen, dass Bougainville damit dauerhaft befriedet ist. Bereits während des zeitweisen Abzug der Papua-Armee zwischen 1990 und 1992 zeigte sich, dass seine etwa 250.000 Bewohner auch untereinander Gegensätze pflegen, die als Anlässe für gewalttätige Auseinandersetzungen taugen. Das fängt bei den Sprachen an:
Auf Buka und im Norden der Hauptinsel spricht man meso-melanesische Buka-Sprachen aus der Nehan-Gruppe wie Nehan, Halia, Hakö, Petats, Solos, Saposa, Hahon, Teop, Tinputz und Papapana, im Süden und an den mittleren Küsten meso-melanesische Buka-Sprachen aus den Gruppen Piva-Bannoni und Mono-Uruavan, im Inselinneren Papuasprachen wie Rotokas, Askopan (Eivo), Rapoisi (Konua), Ramopa, Nsasioi (Kieta), Koromira, Oune, Simeku, Lantanai (Daantanai’), Nagovisi (Sibe), Siwai (Motuna), Terei und Uisai, und auf umliegenden Atollen die polynesischen Sprachen Takuu, Nukumanu und Nukuria.
Hinzu kommen Interessengegensätze, die sich unter anderem in unterschiedlichen Positionen zu den Bedingungen einer Wiedereröffnung der Panguna-Kupfermine manifestieren. Vertreter der Volksgruppen, die weiter von ihr entfernt leben, hoffen dabei häufig auf die Finanzierung eines Wohlfahrtsstaates, während es den nahe der Mine lebenden Clans vor allem um Kompensationszahlungen für (tatsächliche oder behauptete) Gesundheitsschäden geht. Das ist einer der Gründe dafür, warum bereits 2006 aufgenommenen Verhandlungen mit den Minenbetreibern bislang ergebnislos verliefen.
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