Bauern bekommen keine Kredite mehr, Ernteeinbußen drohen

Auch die Landwirtschaft ist von den Auswirkungen der Finanz- und Wirtschaftskrise betroffen

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Wenn von der Weltwirtschaftskrise der dreißiger Jahre die Rede ist, denken die meisten Europäer wohl an die Schwierigkeiten der Banken, der Industrie und des Handels, an bankrotte Unternehmen und Massenentlassungen. In den USA hingegen erinnert man sich – auch dank der Lieder von Woody Guthrie („Dust Bowl Ballads“) und John Steinbecks Roman "Früchte des Zorns" – heute noch an die große Krise der Landwirtschaft.

Extrem niedrige Preise für Agrarprodukte, allgemeiner Kreditmangel, Zwangsversteigerungen von Bauernhöfen und die durch Bodenerosion begünstigte Häufung schwerer Sandwinde zwischen 1930 und 1936 („dirty thirties“) vertrieben innerhalb eines Jahrzehnts 2,5 Millionen Menschen von ihrem Land. Obwohl die landwirtschaftliche Produktion zurückging und viele Menschen hungerten, fielen die Preise für Agrarprodukte ins Bodenlose. Mais wurde im Winter 1932/33 in einigen Regionen zum Heizen benutzt, da er billiger war als Holz. Zeitzeugen zufolge soll es sogar Händler gegeben haben, bei denen der Preis zeitweise bei minus 3 Cent pro Scheffel lag: Wer Mais lieferte, musste für die „Entsorgung“ bezahlen.

Droht der Landwirtschaft nun eine ähnliche Krise? Noch vor wenigen Monaten schien dies unmöglich. Ob Getreide, Soja oder Mais, es war, als könnten die Preise nur noch steigen. Die Nahrungsmittelbranche galt als konjunkturresistent, denn gegessen werden müsse ja immer, dachte man. Wegen der Biotreibstoffe und der Umstellung der Ernährungsgewohnheiten in Asien könne es mit den Preisen nur bergauf gehen, denn wenn ein stetig wachsender Teil der Ernte nicht mehr der Ernährung von Menschen dient, sondern zu Tierfutter oder Benzin verarbeitet wird, bleibt für die ständig wachsende Weltbevölkerung immer weniger.

Diese Argumentation ist immer noch schlüssig, und die Gefahr einer Verschärfung der globalen Hungerkrise besteht weiterhin, auch aufgrund der in vielen Ländern der Welt rasch zur Neige gehenden Grundwasservorkommen. Im Moment aber sind für viele Länder der Welt nicht zu hohe, sondern zu niedrige Preise an den Agrarmärkten eines der größten wirtschaftlichen und sozialen Probleme.

Seit den Höchstständen Mitte des Jahres haben die Preise der meisten Agrarrohstoffe um mehr als 50 Prozent nachgegeben. Beschleunigt wurde der Verfall von der Stärke des US-Dollars (da die meisten Kredite in Dollar zurückbezahlt werden müssen und in den letzten Monaten sehr viele Schulden zu begleichen waren, war die Nachfrage nach der US-Währung entsprechend groß) und dem Ausstieg der Hedgefonds aus der Agrarspekulation. Besonders während des letzten großen Anstiegs Anfang 2008 waren sie sehr große Engagements an den Terminmärkten eingegangen, die sie auflösen mussten, als ihnen im Zuge der Börsenturbulenzen das Geld ausging. Liquidität benötigen auch krisengeschüttelte Staaten wie etwa Russland, das ein großer Exporteur von Getreide ist und sich derzeit mit Dumpingpreisen um Lieferverträge bewirbt.

Von der Ethanolindustrie kommt ebenfalls starker Druck. Die Verbindung zwischen Nahrungsmittelpreisen und Ölpreis, die sie etabliert hat und die Anfang des Jahres höhere Preise begünstigte, wirkt nun in die entgegengesetzte Richtung. Der Ölpreis (und damit auch der Preis des Ethanols) ist seit Juli um mehr als 60 Prozent gefallen. Damit die Ethanolproduzenten, von denen die meisten auch in der Phase hoher Energiepreise nicht rentabel waren, ihre Verluste nicht noch weiter vergrößern, müssten die Ausgangsstoffe noch deutlich billiger werden. Für Verasun, einen der größten Ethanolhersteller der USA, fielen die Preise von Mais und Getreide indessen nicht schnell genug: Im Oktober meldete Verasun Bankrott an. 16 Produktionsstätten sind von der Schließung bedroht, auch die meisten anderen Unternehmen der Branche kämpfen ums Überleben. Wegen dieses Nachfrageausfalls und angesichts guter Ernten könnten die Preise für Agrargüter noch einige Zeit auf sehr niedrigem Niveau bleiben.

Eine schlechte Nachricht für die Bauern – und auf längere Sicht vielleicht für die ganze Welt. Denn die niedrigen Preise werden in den nächsten Jahren zu geringeren Ernten führen, da viele Bauern Schwierigkeiten haben, die notwendigen Investitionen zu tätigen. Vor einigen Monaten waren es die hohen Preise für Saatgut und Düngemittel, die den Landwirten neben dem hohen Ölpreis zu schaffen machten. Nun sinken zwar die anfallenden Kosten zum Teil beträchtlich, doch die Ernteerlöse sind ebenfalls deutlich geringer.

Bauern in der Kreditklemme

Solche Schwankungen sind die Bauern gewohnt, sie gehören zum Geschäft (freuen kann sich, wer im Sommer einen großen Teil seiner Ernte zu hohen Preisen an der Terminbörse verkauft hat). Nun aber taucht mit der Finanzkrise ein neues und vielleicht noch gravierenderes Problem auf: die Kreditklemme. In den letzten Monaten wurde es vor allem für Farmer in Entwicklungsländern immer schwieriger, Kredit für die nächste Erntesaison zu bekommen. Oft vergeben Banken gar keine Darlehen mehr, oder sie verlangen hohe Zinsen, manchmal über 20 Prozent.

Neben den Banken waren die großen Agrar-Handelshäuser wie Cargill und Archer Daniels Midland (ADM) in der Vergangenheit eine wichtige Finanzquelle der Landwirtschaft: Bauern verpfändeten ihnen einen Teil ihrer Ernte im voraus und bekamen dafür das notwendige Kapital für Saatgut, Dünger und Treibstoff. Doch auch diese Firmen halten sich nun mit der Kreditvergabe sehr zurück. Landwirte, die es im nächsten Jahr schaffen, trotz all dieser Probleme zu säen und zu ernten, könnten anschließend vor der nächsten Schwierigkeit stehen: Ob all diejenigen, die die Ernte kaufen sollen, auch werden zahlen können, ist längst nicht sicher.

Dass die EU ausgerechnet in dieser schwierigen Situation die Agrarsubventionen kürzen will, wird von Bauernverbänden derzeit sehr beklagt. Viel dramatischer ist die Lage allerdings für die Landwirte in Entwicklungsländern. Sie bekommen keine Subventionen, während ihre Produktivität aufgrund eines Mangels an Maschinen und Infrastruktur oft deutlich niedriger ist als etwa in Europa. Besonders düster ist die Lage der Baumwollproduzenten, die in Ländern wie Benin, Burkina Faso, Tschad und Mali einen erheblichen Teil des Exports ausmachen. Auch der Baumwollpreis ist in den letzten Monaten nämlich drastisch gefallen, obwohl er, anders als Weizen oder Mais, in den vergangenen Jahren gar nicht gestiegen war.

Die von der Welthandelsorganisation WTO für wettbewerbswidrig erklärten Baumwollsubventionen in den USA halten die Preise seit Jahren niedrig. „Unsere Landwirtschaft wird sehr geschädigt durch die Subventionen, die die reichen Länder den Produzenten geben, und von den Zöllen, mit denen sie den Export unserer Produkte begrenzen“, kritisierte Burkina Fasos Präsident Blaise Compaore bei der WTO-Konferenz 2003. Nun hofft er, dass die Finanzkrise möglicherweise etwas Gutes hat, indem sie dazu beiträgt, dass diese Hemmnisse beseitigt werden – in der Vergangenheit haben Wirtschaftskrisen allerdings eher zu mehr Protektionismus geführt.