Bayerischer Innenminister Hermann: Stärker gegen Reichsbürger vorgehen
Nach Schüssen eines "Reichsbürgers" in Georgensgmünd auf Polizisten: "Wenn es zu brutaler Gewalt führt, dann ist es keine Spinnerei mehr"
Der unglückliche, blutige, hoffentlich nicht tragische Vorfall, der sich heute in einer Gemeinde in Mittelfranken ereignet hat, wird ein Umdenken einleiten. Deutlich wurde das an der Aussage des bayerischen Innenministers Hermann bei der eilig anberaumten Pressekonferenz zu dem Fall:
Wenn es zu brutaler Gewalt führt, dann ist es keine Spinnerei mehr.
Mit "es" ist das Phänomen der Reichsbürger gemeint. Hermann gab kurz die Einschätzung wieder, die vermutlich viele teilen, dass es sich bei den Reichsbürgern vor allem um "Spinner" handele. Sie würden sich weigern, staatliche Anweisungen anzunehmen und zu befolgen, weil sie sich nicht als Bürger der Bundesrepublik verstehen, sondern eines deutschen Reiches.
Hermann sprach von "abwegigen rechtstheoretischen Überlegungen" und davon, dass ein Teil der Reichsbürger diese Überlegungen privat hege, sich aber dennoch gesetzeskonform verhalte, ein anderer Teil aber nicht. Der sei nahe dran am Rechtsextremismus und gehöre auch solchen Organisationen an. Aufgrund des dramatischen Vorfalls müsse man jetzt grundlegende Untersuchungen in ganz Bayern anstellen, welcher Personenkreis "als gefährlich eingeschätzt werden muss".
Eine bisher in Bayern nicht gekannte Eskalation
Der Mann, dem die Polizisten heute in Georgensgmünd zur Herausgabe seiner 30 Waffen bewegen wollte, wurde anscheinend in seiner Gefährlichkeit unterschätzt. Das war das erste Unglück für die Polizisten. Zwei wurden leicht verletzt, zwei wurden schwer verletzt, bei einem sind die Verletzungen sogar nach einer Notoperation noch immer lebensbedrohlich. Der Mann hatte sofort geschossen, als die Polizisten an seiner Wohnungstür waren.
Er schoss hinter der geschlossenen Tür. Der Polizeibeamte wurde unglücklich getroffen, dass ihm seine Schutzweste nichts half, der Schuss drang seitlich in den Körper.
"Ich bin entsetzt über den Fall", sagte Herrmann. Das sei eine "bisher so in Bayern nicht gekannte Eskalation".
Der Schütze hatte eine Erlaubnis für mehr als 30 Waffen, er ist Jäger und Sportschütze. Der Landkreis entzog ihm aber aufgrund von "Unzuverlässigkeit" die Erlaubnis. Er hatte sich im Juni bei der Gemeinde abgemeldet und mitgeteilt, dass "er sich nicht an staatliche Maßnahmen halten werde", so die Auskunft des Landrats Herbert Eckstein:
Das Landratsamt bat ihn in einem Anhörungsschreiben um Stellungnahme, nachdem er Mitarbeitern des Landratsamts, die seine Waffen kontrollieren wollten, den Zutritt zu seinem Grundstück verweigerte. In seiner Antwort an Landrat Eckstein schrieb er, er sei Reichsbürger. Seine Waffenbesitzerlaubnis wurde als Konsequenz im August widerrufen.
Die Zeit
Vorhergehende Kontrollen seien erfolglos gewesen, weil der Mann die Polizisten nicht in die Wohnung gelassen habe. Bei der heutigen Polizeiaktion schoss er dann. Er wurde leicht verletzt festgenommen.
Vertreter des "Deutschen Reiches"
Bei einer Zwangsräumung in Sachsen-Anhalt habe Ende August ein Reichbürger um sich geschossen, im selben Monat soll ein der "Reichsbürger"-Szene zugerechneter Mann einen Polizeibeamten in Baden-Württemberg mehrere Meter mit dem Auto mitgeschleift haben, als dieser ihn kontrollieren wollte, berichtet die Welt.
Die Bundesregierung äußerte sich im Dezember 2012 auf Anfrage von Abgeordneten der Linken in einer Antwort zum Phänomen der Reichsbürger. Sie hebt hervor, dass es sich dabei um mehrere Splittergruppen handelt, deren Gemeinsamkeit in der Ablehnung der Bundesrepublik als Staat besteht. Manche berufen sich auf das Deutsche Reich von 1937, manche auf ein früheres Datum, laut Medienberichten wird auch 1914 in Phantasiepapieren erwähnt oder 1871 (unterschiedliche "Reichsregierungen" finden sich in einem zweiseitigen Papier des Verfassungsschutzes in Brandenburg aufgelistet).
Mit absurden Thesen zum "Deutschen Reich" treten seit Jahren verschiedene - teilweise rechtsextremistische - und untereinander konkurrierende Splittergruppen und Einzelpersonen auf. Einige der Protagonisten behaupten mit pseudo-juristisch verbrämten Argumenten, sie selbst seien Vertreter des "Deutschen Reiches". Der Bundesrepublik Deutschland, ihrer Verfassung und ihren demokratisch gewählten Repräsentanten sprechen sie dagegen jegliche Legitimation ab.
In vielen Fällen handeln lediglich Einzelpersonen, die vorgeben, eine oder gar mehrere strukturierte Organisationen zu vertreten und zudem unter wechselnden Namen und mit mehrfachen bzw. wechselnden Internetpräsenzen auftreten.
Angehörige der verschiedenen Kleinstgruppierungen weisen sich teilweise Auch durch Phantasiepapiere wie "Reichsausweise" aus und vergeben Pseudo- ämter wie "Reichskanzler", "Reichsminister" etc.:.Antwort der Deutschen Bundesregierung auf eine Anfrage, 2012
Zwei Absätze folgt eine Einschätzung, wonach bei den genannten Erscheinungsformen "ganz überwiegend erhebliche Zweifel bestehen, dass ernstzunehmende ziel- und zweckgerichtete politische Verhaltensweisen vorliegen".
Wie es aussieht, dürfte diese Bewertung veraltet sein. Nach aktuellen Informationen des Handelsblatts fallen immer mehr Reichsbürger bei Gerichten mit konfrontativen Auftritten auf:
Mehrere Justizministerien haben darauf bereits reagiert und Leitfäden für die Gerichte zum richtigen Umgang mit Reichsbürgern herausgegeben oder angekündigt.
Sven Rebehn, Bundesgeschäftsführer des Deutschen Richterbunds,
Über die Zahlen von Reichsbürgern gibt es nur ungefähre Angaben. Laut bayerischen Verfassungsschutz zählt man im südlichen Bundesland etwa 30 bis 40 Personen aus der Reichsbürgerszene, die dem Rechtsextremismus zuzuordnen sind.
Unsere Beobachtung betrifft insbesondere die Gruppe der Exilregierung Deutsches Reich. Ihre Ideologie ist völkisch und antisemitisch. Das ist klar rechtsextremistisch. Sprecher des bayerischen Landesamts für Verfassungsschutz
Nach Recherchen der Zeit "zählt das Innenministerium in Brandenburg 190 bis 200 Reichsbürger, davon etwa 20 radikale, Thüringen kennt ‚mehrere Hundert‘, Hessen und Schleswig-Holstein meldeten eine Zahl ‚im unteren zweistelligen Bereich‘, Sachsen-Anhalt 60 bis 70, ‚davon weniger als 20 rechtsextremistisch‘. Andere Innenministerien haben gar keine Informationen".