Bayern ohne CSU-Regierung
Von 1954 bis 1957 herrschte im Freistaat eine Viererkoalition aus SPD, FDP, Bayernpartei und Heimatvertriebenen
Seit 61 Jahren regiert in Bayern die CSU. Das könnte sich im Oktober ändern: Die Umfragewerte der Partei sind nämlich so schlecht wie seit 1954 nicht mehr. Ein Anlass, einen Blick zurück in die Geschichte zu werfen und sich anzusehen, was im Freistaat passierte, als er von anderen Parteien regiert wurde:
Die SPD, die sich damals noch als Arbeiterpartei begriff (vgl. Von der Arbeiterpartei zur EU-Partei), war bei der Landtagswahl am 28. November 1954 zwar nur auf einen Stimmenanteil von 28,1 Prozent gekommen, konnte aber danach trotzdem den Ministerpräsidenten stellen, weil der bemerkenswert berührungsangstfreie SPD-Landesvorsitzende Waldemar von Knoeringen es verstand, nicht nur die 7,2 Prozent starke (damals noch eher nationalliberale) FDP, sondern auch die bei 13,2 Prozent gelandete separatistische Bayernpartei und den von 10,2 Prozent gewählten Bund der Heimatvertriebenen (GB/BHE) für eine Zusammenarbeit zu gewinnen.
"Widernatürliche Unzucht"
Ministerpräsident dieser Koalition wurde aber nicht von Knoeringen, sondern der nach dem Krieg aus dem schweizerischen Exil zurückgekehrte Schwabe Wilhelm Hoegner, der die bayerische Staaatsregierung bereits unter amerikanischer Regie vom 22. Oktober 1945 bis zum 16. Dezember 1946 geleitet hatte. Darüber hinaus beanspruchte die SPD noch die Ressorts Finanzen und Justiz für sich. Die Bayernpartei besetzte mit dem Rechtsanwalt August Geislhöringer den Posten des Innen- und mit dem aus kleinbäuerlichen Verhältnissen stammenden und in der Nazizeit aufgrund des "Heimtückegesetzes" eingesperrten Joseph Baumgartner (der meinte, der Entnazifizierung müsse eine "Entbazifizierung" folgen) den des Landwirtschaftsministers. Wirtschaftsminister wurde der liberale Franke Otto Bezold, Arbeits- und Sozialminister der Sudetendeutsche Walter Stain, ein ehemals aktiver Nationalsozialist.
Aufgrund der unterschiedlichen Vergangenheit dieser Politiker und aufgrund der unterschiedlichen programmatischen Ausrichtung ihrer vier Parteien kam die Koalition damals nicht nur für viele Medien, sondern auch für die bei 38 Prozent gelandete CSU recht überraschend. Ihr Bundeswirtschaftsminister Ludwig Erhard sprach in diesem Zusammenhang nicht nur von einem "Staatsstreich", sondern von "widernatürlicher Unzucht". Trotz dieser Einschätzung Erhards hatten die vier Parteien einige gemeinsame Ziele: Vor allem die im damaligen religionskritischen SPD-Slogan "Licht übers Land" zusammengefasste Förderung von Bildung und Wissenschaft, der der heute nicht mehr existierende ultramontane Hundhammer-Flügel der CSU sehr skeptisch gegenüberstand.
Kultusminister der Viererkoalition wurde der parteilose Ingenieurbauwesenprofessor August Rucker von der Technischen Universität München. Sein Ruckerplan sollte dem in Zeiten des Wirtschaftswunders und der Kriegsverluste besonders spürbaren Mangel an technisch qualifizierten Arbeitskräften abhelfen und die Zahl der Studierenden an den bayerischen Ingenieurschulen innerhalb von vier Jahren von 5.558 auf mindestens 8.300 steigern. Außerdem schuf er die Grundlagen für den so genannten "Zweiten Bildungsweg", über den Begabte aus der Arbeiterklasse und dem Bauernstand das Abitur nachholen und studieren konnten.
Ihr erklärtes Ziel, das Schulwesen und die Lehrerausbildung aus den Händen der beiden großen Konfessionen zu nehmen, konnte die Viererkoalition zwar nicht umsetzen - aber indirekt trug sie durch ihre Anstrengungen in dieser Frage dazu bei, dass sich in der CSU der weltliche Strauß-Flügel durchsetzte, der diese Reformen später verwirklichte.
Zunehmender Dualismus im Zeichen des Kalten Krieges
Dass die Koalition zerbrach, war eine Folge des Bundestagswahlergebnisses vom 15. September 1957: Bei dieser Wahl, die im Zeichen eines zunehmenden Dualismus zwischen den damals noch recht unterschiedlichen Parteien CDU/CSU und SPD stand, steigerte die CSU ihren Stimmenanteil von 47,8 auf 57,2 Prozent und die SPD verbesserte sich in Bayern von 23,3 auf 26,4 Prozent.
Verlierer waren die kleineren Parteien: Die FDP sackte von 6,2 auf 4,6 Prozent ab, die Heimatvertriebenen verloren von 8,2 auf 6,8 Prozent und die Bayernpartei wurde anstatt von 9,2 von nur mehr 3,2 Prozent der Wähler angekreuzt. Die Ursache dafür sah man in der Bayernpartei damals nicht nur in der Bundes-, sondern auch in der Landespolitik und sandte Signale für einen Partnerwechsel aus. Die CSU, an die diese Signale gingen (und die den beiden Bayernparteiministern in der so genannten Spielbankenaffäre Korruption vorwarf), entschied sich jedoch für die handzahmeren Heimatvertriebenen und Liberalen, die am 16. Oktober 1957 den CSU-Vorsitzenden Hanns Seidel zum neuen bayerischen Ministerpräsidenten wählten.
Bei der Landtagswahl am 23. November 1958 setzte sich der Trend zum Dualismus fort: Die CSU verbesserte ihr Wahlergebnis von 38 auf 45,6, die SPD ihres von 28,1 auf 30,8 Prozent. Verlierer waren erneut die Liberalen (die von ihren vorher 7,2 Prozent 1,6 Punkte abgaben und die Fünf-Prozent-Hürde nur mehr relativ knapp übersprangen), die Heimatvertriebenen (die ebenfalls 1,6 Punkte auf in ihrem Fall 8,6 Prozent abgaben) und die Bayernpartei (die mit einem Verlust von 5,1 Punkten auf 8,1 Prozent die meisten Federn lassen musste).
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