Bayerns Polizei sucht Nadeln im Heuhaufen
Das Bundesland testet seine Vorhersagesoftware "PreCobs" in einer landesweiten Kontrollaktion. Auch andere Kriminalämter interessieren sich für die Möglichkeit digitaler Prognosen
Seit Oktober testen die Polizeidirektionen München und Mittelfranken die Vorhersagesoftware "PreCobs". Im Rahmen einer Machbarkeitsstudie zu "Predictive Policing" ("vorhersagender Polizeiarbeit") verarbeitet die Software statistische Daten zu Wohnungseinbrüchen. Das Programm einer Firma aus Oberhausen basiert auf der Erfahrung, dass Tatorte bisweilen ein zweites Mal aufgesucht werden (der sogenannte Near Repeat). Ein nur den Herstellern bekannter Algorithmus errechnet die Wahrscheinlichkeit für bestimmte Gegenden, die dann verstärkt von Polizeistreifen aufgesucht werden.
Laut der Pressestelle der bayerischen Polizei kommt die Software "auf mathematisch-kriminologischer Basis" in einer landesweiten Kontrollaktion gegen "Diebesbanden und reisende Straftäter" zum Einsatz. Gemeint ist eine zweiwöchige, großflächige Polizeioperation an der auch die Bereitschaftspolizei teilnimmt. Im "besonderen Visier" stehe die Einbruchskriminalität, aber auch Rauschgiftdelikte, Kfz-Diebstahl und Schleusungskriminalität würden "intensiv verfolgt".
Ob die Software dabei auf das Themenfeld "Einbrüche" beschränkt bleibt, liegt zwar nahe, wird von der Pressestelle aber offen gelassen. Heute will Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) die "bundesweit einmalige Prognosesoftware 'Precobs'" auf einer Pressekonferenz vorstellen.
Software führt zur Vergrößerung polizeilicher Datensammlungen
Ganz so "einmalig" ist die aber nicht mehr - auch Nordrhein-Westfalen testet eine ähnliche Anwendung, das Bundeskriminalamt (BKA) hat sich bereits ein Produkt des Marktführers IBM zeigen lassen (Universität Freiburg forscht mit IBM zur Vorhersage von Straftaten). Zu den aktuellen Tests steht das BKA im Kontakt mit den Landeskriminalämtern Bayern und Nordrhein-Westfalen.
Das "Predictive Policing" macht sich die in allen Bereichen zunehmende Digitalisierung der Polizeiarbeit mit den dadurch verbundenen Möglichkeiten zunutze. Bestände von Datenbanken können miteinander in Beziehung gesetzt werden. Die wissenschaftliche Debatte benutzt hierfür der Begriff "Data Mining". Auch im IT-Bereich zeigt sich damit ein allgemeiner Trend in der Polizeiarbeit, mit immer mehr Kompetenzen zur "Gefahrenabwehr" das Vorfeld von Straftaten zu erkunden. Dies ist nicht zu verwechseln mit Prävention, denn hier geht es um Straftaten die überhaupt nicht erwartet werden, sondern denen man "zuvorkommen" möchte.
Um die Wirksamkeit solcher Verfahren zu erläutern, wird gern der Vergleich mit der Nadel im Heuhaufen bemüht: Die kann umso besser gefunden werden, je mehr Daten angehäuft und verarbeitet werden. Der Heuhaufen wird also vergrößert. So wird die Polizei ermuntert noch mehr Daten zu sammeln. Im Endeffekt könnten Innenministerien die Einführung der Software sogar als Begründung für die Einrichtung weiterer Datenbanken anführen.
"Vorhersagende Polizeiarbeit" fördert vorurteilsbeladene Kontrollen
Wird die Vorhersage von Straftaten Computern überlassen, bekommen Programmierer die Definitionshoheit über das Ranking unliebsamen Verhaltens. Wir kennen von Suchmaschinen wie Google, dass die Reihenfolge der gefundenen Ergebnisse vom Anwender oft nicht infrage gestellt wird. Auch ein Polizist wird also der vorhersagenden Analyse vertrauen, ohne zu wissen wie diese überhaupt zustande kommt. Denn der Quellcode der Software ist gewöhnlich Betriebsgeheimnis der Hersteller, mithin auch Datenschützern unbekannt.
Die Tagesschau hatte vergangenen Sommer über den Einsatz einer Vorhersagesoftware in den USA berichtet. Polizei und Kamerateam legten sich in einem Vorort von Santa Cruz auf die Lauer, weil eine Software gegen Wohnungseinbrüche dies empfahl. Deutlich wurde vor allem der vorurteilsbeladene Charakter und der Alltagsrassismus von Journalisten und Polizei.
Ein computergestütztes Vorhersagesystem liefert keine Anhaltspunkte, wie denn die erwarteten "Verbrecher" auszusehen haben oder zu erkennen wären. Also wurden in Santa Cruz die üblichen Vorurteile bedient: Kontrolliert wurden Menschen mit dunkler Hautfarbe, Kapuzenpullis und andere, offensichtlich unterprivilegierte Personen. Die Bilanz war mager, am Ende wurde nur eine Person festgestellt die ein angeblich gestohlenen Fahrrads geschoben hat.
Software kann nach Belieben erweitert werden
Auch die britische Polizei hat kürzlich ein Pilotprojekt mit einer Software zu "Predicitve Policing" beendet. Ziel war, die Wahrscheinlichkeit der Rückfälligkeit von Gang-Mitgliedern zu bestimmen. Der Versuch dauerte über 20 Wochen und war auf London beschränkt, betrachtete aber alle bekannten Gangs in allen 32 Stadtteilen. Verarbeitet wurden Daten von bereits straffällig gewordenen Personen, die Software griff hierzu auf Polizeidatenbanken und andere Statistiken zu. Auf diese Weise wurden Risikofaktoren bestimmt und gewichtet. Ein Algorithmus berechnete die Wahrscheinlichkeit eines Rückfalls, die dann mit den realen Rückfallquoten verglichen wurden. Allerdings verarbeitete die Software nicht nur Daten der Betroffenen, sondern auch von Kontaktpersonen. Selbst Aktivitäten im Internet wurden ausgeforscht und in Beziehung gesetzt.
Auch das BKA und die Bundespolizei forschen an der automatisierten Überwachung von Diensten wie Facebook oder Twitter (Rasterfahndung im Internet - Der permanente Blick in die Glaskugel). Technisch ist es ein Leichtes, solche Anwendungen in Software zur Fallbearbeitung oder zur Vorhersage zu integrieren. Gegenüber den USA und Großbritannien liegt Deutschland in der Einführung polizeilicher Vorhersagesoftware einige Jahre zurück. Auch dort wurden zunächst anonyme Falldaten verarbeitet. Firmen wie IBM haben den Behörden allerdings Zusatzmodule verkauft, um auch Personendaten einzubinden. Dies ist datenschutzrechtlich und bürgerrechtlich problematisch, denn eigentlich handelt es sich - wenn Personendaten verarbeitet werden - um eine Rasterfahndung.
Die Projekte in Bayern und NRW sind Versuchsballons, deren Auswirkungen noch nicht absehbar sind. Die bundesweiten Tests sind abgesprochen und koordiniert. Die Software hält dadurch Einzug in den Polizeialltag. Die Bundesregierung hat mit dem Gesetz zur Anti-Terror-Datei und zur Rechtsextremismus-Datei versucht, ein "Data Mining" auch gesetzlich zu verankern. Die Rede ist von einer "erweiterten Nutzung" gespeicherter Personendaten. Dadurch soll es erlaubt sein, gleichzeitig in mehreren Datensammlungen zu suchen um Auffälligkeiten oder Verknüpfungen zu finden. Das Bundesverfassungsgericht hatte einige Änderungen an den Gesetzesvorlagen angemahnt, die problematische Regelung zur "erweiterten Nutzung" aber nicht beanstandet. Bundestag und Bundesrat haben die Anti-Terror-Datei mittlerweile durchgewunken.