"Beendet die Besatzung des Irak und Manhattans"
Betrachtungen zu den Demonstrationen in New York am 29. August
Der Marsch der Demonstranten durch Manhattan am Sonntag, den 29.August (vgl. das Telepolis-Weblog zum Kongress der Republikaner) war eine willkommene Überraschung. Über 500.000 Menschen kamen, um ihrer Unzufriedenheit mit der Bush-Regierung und der fortwährenden Besatzung im Irak Ausdruck zu verleihen. Die Leute kamen von weither, aus dem ganzen Land. Eine Person, die ich auf dem Weg zur Demonstration traf, sagte mir, dass er aus Crawford, Texas, sei. Er war für den Frieden; somit hatte er niemand für den er in der anstehenden Wahl stimmen könnte, da weder Kerry noch Bush für den Frieden wären. Also kam er mit seinem Schild nach New York City, um Teil dieses Demonstrationsmarsches zu sein.
Der Marsch gab den Leute die Möglichkeit Schilder anzufertigen, die ihre Ansichten ausdrücken. Zahlreiche Schilder kritisierten die Besatzung des Iraks durch US-Truppen, andere waren gegen Angriffe der USA auf Nordkorea und andere Länder gerichtet, es gab Schilder, welche die Palästinenser in ihrem Kampf gegen die Besatzung ihrer Gebiete unterstützten, Schilder, die sich über Bush und seine Minister mokierten und sie mit langen Nasen zeigten - symbolisch für die Lügen, die sie den Amerikanern und der Welt auftischten. Und es waren viele Schilder zum 11.9. zu sehen, die Bush beschuldigten, dass er auf die Informationen, welche die Anschläge auf das WTC verhindern hätten können, nicht reagiert hat. Andere Schilder kritisierten die Republikanische Partei, weil sie nach New York gekommen ist, um politischen Vorteil aus der Tragödie vom 11.9. zu ziehen 1.
Die Demonstration fand an einem heißen Sommertag statt. Viele der Teilnehmer kamen um 10 Uhr vormittags an, um sich am Marsch zu beteiligen. Der ging bis 16 Uhr 30, als wir die Demonstration verließen. Die Leute kamen von Kalifornien, Texas, Michigan und Wisconsin, um nur einige der vertretenen Staaten zu nennen. Es gab sogar Kanadier, die sich beteiligten. Eine Kanadierin sagte, dass es der größte Demonstrationszug war, an dem sie jemals teilgenommen habe. Schilder wie "Briten für den Frieden" zeigten an, dass es auch Teilnehmer aus ganz anderen Ländern gab.
Während es einige Gruppierungen gab, deren Absicht sich darauf konzentrierte, Bush aus dem Weißen Haus zu bekommen, und einige Banner oder Schilder für Kerry und Edwards trugen, war dies nur die Ansicht einer Minderheit unter den Demonstranten. Stattdessen öffnet die Tatsache, dass es keinen demokratischen Kandidaten und auch keine Plattform der Demokraten gibt, der/die gegen den Krieg ist, den Blick auf eine bedeutende Schicht der amerikanischen Öffentlichkeit, die keine Möglichkeit hat, eine Regierung zu wählen, die ihre Ansichten repräsentiert.
Ein Reporter fragte einen Marschierer aus New Jersey, was er über die Medien denke. Der Mann antwortete, dass er hoffe, die Medien würden sich ändern und mehr die Ansichten reflektieren, die sich bei dieser Demonstration aktuell zeigen würden. Andere waren noch deutlicher in ihrer Unzufriedenheit über die US-Medien. Als eine Menge den Fox News-Truck passierte, wurde "Fox News sucks!" gerufen 2.
In den Wochen, die der Demonstration vorausgingen, gab es Debatten in den fortschrittlichen ("progressive") Medien, wie etwa "Democracy Now", ob die Demonstration dem Kampf gegen Bush schaden oder gar in den Hände der Republikanischen Partei spielen würde. Der amerikanische Schriftsteller Norman Mailer wurde mit der Behauptung zitiert, dass die Amerikaner nicht protestieren sollte - es sei den der Protest würde sehr groß ausfallen. Die kanadische Journalistin Naomi Klein bestritt solche Ansichten und sagte, dass es umso wichtiger sei zu protestieren als beide Parteien, Demokraten wie Republikaner, versprechen, die Besatzung des Irak fortzusetzen.
Der Protestmarsch zeigte, dass es in den USA eine Bewegung gibt, die sich nicht auf New York beschränkt, mit dem starken Grundgefühl, das gegen den Krieg, Folterungen und andere Kriegsverbrechen der Bush-Regierung gerichtet ist. Eine Bewegung, die keinen weiteren Präsidentschaftskandidaten will, der verspricht diese Verbrechen weiterzuführen. Es gibt also eine Bewegung von unabhängigen Leuten in den USA, die von keiner der politischen Parteien repräsentiert wird. Das zeigt Defizite des politischen Systems der USA als Demokratie an.
Der Mangel an unabhängigen online-Veröffentlichungen wie Telepolis in Deutschland oder Ohmynews in Korea, stellt ein ernsthaftes Dilemma dar, mit dem diese Bewegung konfrontiert ist. Keine der diesbezüglichen Bemühungen, etwa von Indymedia und lokalen Zeitungen wie Brooklyn Rail in New York, oder Democracy Now/WBAI im Kablefernsehen, Radio und Internet, sind breit genug angelegt, um ein weites Spektrum an Ansichten, die geäußert werden, und nötige Diskussionen zu ermuntern, die man braucht, um der Dominanz der US-Presse durch konservative Veröffentlichungen wirksam etwas entgegen zu setzen.
In den 60er Jahren begriffen die jungen Students for a Democratic Society (SDS) die Notwendigkeit für die Theorie und Praxis einer weiterreichenden Partizipation als Möglichkeit, das kreative Moment für einen sozialen Umbruch in den USA zu ermutigen. Der SDS erkannte, dass die Bevölkerung in den USA es aufgegeben hatte, auf die politischen Institutionen einzuwirken, weil diese derart uninteressiert an dem Austausch mit den Leuten waren, die sie repräsentierten. Nach Auffassung der SDS ging es, um eine Veränderung zu schaffen, nicht darum, sich darüber zu beklagen, dass die Leute apathisch seien, sondern darum, die Beharrlichkeit der Institutionen herauszufordern, die den Leuten die Möglichkeit nahm, eine Wirkung zu erzielen. Ziel war es eine Bewegung zu etablieren, die neue Institutionen, welche die Partizipation der Bevölkerung willkommen hieß, entwickeln konnte3. Dies trug dazu bei, eine Bewegung zu schaffen, an der sich Millionen von Amerikanern beteiligten, des es schließlich - mit der Unterstützung von Menschen aus aller Welt - gelang, den Vietnamesen dabei zu helfen, den Vietnamkrieg zu beenden.
Die Lektion aus den 60ern lautet, dass es einer breit angelegten demokratischen Bewegung bedarf, einer Bewegung von Menschen aus aller Welt, um die Macht und die Handlungen der US-Konzerne und der amerikanischen Regierung herauszufordern. Die Demonstration vom letzten Sonntag ist ein Hoffnungsschimmer, der einen durch den dunklen Tunnel leiten kann, in den die Welt geraten ist, seit das Bush-Regime die Tragödie vom 11.9. als Vorwand benutzt hatte, um Krieg gegen unschuldige Zivilisten in Afghanistan und im Irak zu führen - und gegen die bürgerlichen Freiheitsrechte der Amerikaner.
Das hat einen Präzedenzfall geschaffen, der mehr oder weniger stark von anderen Regierungen in der Welt nachgeahmt wird. Die republikanische Partei plante ihren Konvent in New York , um diesen Missbrauch der Tragödie fortzusetzen. Aber mehr als eine halbe Million Menschen gingen am letzten Sonntag auf die Straßen in New York, um sie wissen zu lassen, dass sie ihren Plan nicht ohne deutlichen Widerspruch durchführen kann. Widergespiegelt wird dieses Gefühl der vielen Demonstranten vom Sonntag auf einem Schild, auf dem zu lesen war: "Beendet die Besatzung des Irak und Manhattans".
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