Bei zu vielen Optionen bockt das Gehirn
Wissenschaftler haben untersucht, wie viele Optionen für eine Auswahlentscheidung das menschliche Gehirn am besten findet
Wenn man Menschen in Verwirrung oder Apathie stürzen will, dürfte es eine gute Strategie sein, sie mit Information zu überladen. Das könnte eines der Geheimnisse unseres kapitalistischen Systems sein, das schon während des Kalten Kriegs zwischen dem Westen und dem kommunistischen System deswegen attraktiver war, weil es mit einer Flut an Waren und Informationen die Menschen verführte. Während die Menschen in den liberalen kapitalistischen Ländern davon sediert wurden, was Herbert Marcuse etwa als affirmative Kultur der Überflussgesellschaft bezeichnete, wuchs in den realkommunistischen Ländern mit geringer Auswahl der Wunsch nach mehr Vielfalt und Buntheit.
In der kapitalistischen Warenwelt jedenfalls sind die Menschen konfrontiert mit einer Vielzahl von Möglichkeiten von der Politik über die Medien bis hin zu Waren und Dienstleistungen. Das kann mitunter dazu führen, aufgrund der Überforderung und des Zeitstresses keine Entscheidung zu treffen oder sich nach einem einfachen Kriterium für irgendetwas zu entscheiden, beispielsweise nach dem Preis, was wohl am einfachsten ist, weswegen Geiz eben geil ist. Choice overload nennt man das Problem oder auch Auswahl-Paradoxon. Das interessiert auch deswegen, weil der potenzielle Kunde aufgrund von zu viel Auswahl weniger kaufen oder den Kauf verschieben könnte, weil seine Kauflust schwindet oder er den Eindruck erhält, sich immer falsch zu entscheiden, wie wenn man in Stau steht und stets das Gefühl hat auf der falschen Spur zu fahren.
Kommt das Gehirn am besten mit 8-15 Optionen zurecht?
Wissenschaftler vom California Institute of Technology haben 19 Versuchspersonen in einen funktionellen Magnetresonanztomographen gesteckt, um zu sehen, was im Gehirn während eines Choice overload geschieht. Ein typischer Supermarkt in den USA biete mehr als 30.000 Produkte, darunter 285 Kekse an. Bei wichtigen Entscheidungen wie der Altersvorsorge sein man mit Dutzenden oder Hunderten von Optionen konfrontiert. Ist es gut oder schlecht, wollten die Wissenschaftler wissen, eine große Auswahl zu haben. Dazu wurden den Versuchspersonen im Hirnscanner 6, 12 oder 24 Landschaftsbilder kurze Zeit gezeigt, aus denen sie eines aussuchen sollten, um es auf ein T-Shirt oder eine Tasse zu drucken. Die Studie erschien in Nature Human Behaviour.
Bei der Entscheidung sind vor allem zwei Gehirnareale aktiv: der vordere Cyrus Cinguli (ACC), der zum limbischen System gehört und mit dem eine Auswahl getroffen wird, und das Striatum, das zum Belohnungssystem gehört und Reize bewertet. Wenn die Optionen mehr werden, nimmt die Aktivität der beiden Areale zu. Die Aktivität ist am höchsten, wenn die Versuchspersonen aus einem Set aus 12 Bildern eine Auswahl treffen sollen, dann sinkt sie wieder ab. Offenbar nimmt ab einer bestimmten Zahl von Optionen die Entscheidungsunlust zu oder der Entscheidungswille ab. Nach den Wissenschaftlern könnten 6 Optionen zu wenig und 24 zu viel sein.
In Verhaltensexperimenten hatte sich herausgestellt, dass 2-6 Optionen als zu wenig und über 15 als zu viel betrachtet wurden, so dass 8-15 Optionen als optimal gelten. Wobei man natürlich immer fragen muss, in welcher Hinsicht und wie die Auswahl näher aussieht. Hier geht es in der Regel um Waren oder Dienstleistungen, nicht etwa um zwischenmenschliche oder moralische Entscheidungen. Und es kommen bei solchen neuroökonomischen Entscheidungen auch individuelle Vorlieben oder unterschiedlich bewertete Belohnungen zur Geltung. Nicht zuletzt ist entscheidend, wie stark das Bedürfnis ist und wie schnell es befriedigt werden muss.
Wenn Gehirnareale über Wert und Arbeitsaufwand verhandeln
Anders ist es, wenn die Versuchspersonen selbst durch die Optionen browsen können. Dann tritt nämlich in der Gehirnaktivität diese umgedrehte U-förmige Funktion nicht auf, weil, so die Wissenschaftler, dann die Entscheidungskosten verringert werden. Sie glauben, dass die Areale gewissermaßen bei der Entscheidungsfindung verhandeln die Belohnung durch ein Bild mit der Arbeit abwägen, es in den möglichen Optionen zu finden. Ganz offensichtlich ist es auch wichtig, wie die Optionen präsentiert werden und in welchem Zeitrahmen Entscheidungen stattfinden.
Ob sich also aus solchen Untersuchungen über neuronale Entscheidungsprozesse Hinweise herauslesen lassen, wie Unternehmen die Auswahl von Waren und Dienstleistungen oder wie Regierungen Optionen für Renten- oder Gesundheitsplänen anbieten sollen, ist eher fraglich, weil zu viele andere Faktoren hereinspielen. Klar ist jedoch auf der anderen Seite, dass die Konstruktion eines Choice overload vielleicht schlecht für einen Anbieter sein kann, aber der Aufrechterhaltung des Systems dient. Wenn man "Weniger ist Mehr" verlangt, bleibt man im System, verlangt man anderes als die angebotenen Optionen, aber auch schon mehr, ist das schon gefährlicher.
Die Wissenschaftler meinen allerdings, es wäre wichtig zu erforschen, wie das Gehirn kognitive Arbeit misst, um herauszufinden, "welche Kombination aus Optionen und Denkprozessen erreicht werde muss, bis unsere Gehirne entscheiden, dass es keinen Wert mehr hat, darüber nachzudenken". Das zielt natürlich nur darauf, wie man Gehirne austricksen kann. Interessant wäre aber auch einmal zu fragen, ob und wie die Vermehrung der politischen Parteien die Wahl und die Wahlentscheidung beeinflusst, also vielleicht auch zum Anstieg der Nichtwähler beiträgt. Muss jedenfalls auch nicht sein, siehe die USA.
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