Belgische Uralt-AKWs: Zeitbomben der Grenze
Die belgische Atomaufsicht, deren Unabhängigkeit von Politik und Wirtschaft nach einem Bericht unabhäniger Prüfer in Frage gestellt wird, gerät zunehmend unter Kritik
Eigentlich sind die merkwürdigen Vorgänge in belgischen Atomkraftwerken kaum anders als mit mangelnder Kontrolle und politischer Einmischung zu erklären. Denn es ist hanebüchen, wenn im Hochsicherheitsbereich von Atomkraftwerken bekannte Islamisten arbeiten können, es schon unaufgeklärte Sabotageakte im Inneren eines Meilers gab und gefährliche Uraltmeiler nicht einmal so lange abgeschaltet werden, bis definitiv geklärt ist, ob tausende Risse im Reaktordruckbehälter im Betrieb oder schon bei der Fertigung entstanden sind.
Eigentlich sollte es diese Risse ohnehin nicht geben, denn sie beeinträchtigen die Sicherheit der gefährlichen Reaktoren weiter. Sie wären nur noch viel schlimmer, wären sie erst im Betrieb entstanden. Deshalb hatte letzte Woche sogar die Bundesumweltministerin die Abschaltung der Riss-Reaktoren gefordert, denn auch die Betreiber können die Frage nicht definitiv beantworten. Wären sie im Betrieb entstanden, könnten sich "spontan ausbreiten", erklären die Kritiker.
Schon jetzt fänden sich bis zu 18 Zentimeter lange Risse im wichtigsten Bauteil des Reaktors. Das könnte ohne "Vorwarnung" den "Reaktordruckbehälter zum spontanen Bersten bringen", erklärte Jörg Schellenberg vom Aachener Aktionsbündnisses gegen Atomenergie in einer interessanten Reportage am vergangenen Wochenende im Deutschlandfunk. Dass da eine Zeitbombe an der Grenze zu Deutschland stehen dürfte, daran sollte erinnert werden, nachdem sich vor genau 30 Jahren die Katastrophe in Tschernobyl ereignete (Und ewig strahlt das Plutonium).
Angesichts der merkwürdigen Vorgänge in belgischen Atomkraftwerken konnte längst vermutet werden, dass die Risse-Reaktoren Tihange 2 oder Doel 3 nur deshalb noch am Netz sind, weil Belgien weiterhin völlig abhängig vom Atomstrom ist. Eine Neuausrichtung der Energiepolitik wird seit Jahren verschlafen.
Eigentlich will auch dieses Land bis 2025 aus der Atomkraft aussteigen. Und das wurde nicht erst 2011 mit der Fukushima-Katastrophe beschlossen, sondern schon 2003. Geschehen ist seither wenig, weshalb Tihange 1 im Jahr 2012 eine Laufzeitverlängerung um zehn Jahre mit der Begründung erhielt, sonst drohten Engpässe in der Stromversorgung. Da die Laufzeit der Reaktoren nur für 40 Jahre ausgelegt ist, bildet auch Tihange 1 seit 2015 eine zunehmende Gefahr. Beim "Bröckelreaktor", wie Tihange 2 auch genannt wird, läuft die Laufzeit 2019 ab.
"Die Atomaufseher bringen uns in Gefahr"
In der Entscheidung, ob gefährliche Meiler abgeschaltet oder Laufzeiten verlängert werden, ist die Atomaufsicht von zentraler Bedeutung. Und die gerät nun auch in Belgien unter massive interne Kritik. "Es herrscht der Eindruck, dass sich die Unabhängigkeit der Kontrollbehörde gegenüber der Politik und der Wirtschaft Schritt für Schritt verringert", heißt es in einem Kontrollbericht, der am Freitag im Aufsichtsrat vorgestellt werden soll.
Die Zeitung "Le Soir" hatte den Bericht, den unabhängige Wirtschaftsprüfer erstellt haben, zugespielt bekommen. Das Editorial zum Themas in der Zeitung hat einen klaren Titel: "Die Atomaufseher bringen uns in Gefahr". Ausführlich hatten die Wirtschaftsprüfer Leitungsmitarbeiter, Beschäftigte in der Kommunikationsabteilung und externe Experten befragt, die ständig mit der Behörde zu tun haben.
Insgesamt bezeichneten die Befragten das Betriebsklima als "vergiftet". Und auch in der FANC fragen sich Beschäftigte, ob "die Führung der Behörde nicht von außen unter Druck gesetzt werde, bei bestimmten Fragen Kompromisse zu machen". Denn auch Aufseher verstehen offensichtlich einige Entscheidungen der Behörde nicht. So weit wie in Spanien, wo die Beschäftigten der Atomaufsicht sogar schon auf die Straße gingen, sind die FANC-Beschäftigten aber noch nicht. Die Spanier forderten im Januar eine "Sicherheitskultur. Entscheidungen zu Atomfragen sollten stets nach "technischen Kriterien" und nicht nach politischen entschieden werden.
Die Deutschen würden "wohl auf der Stelle Material bestellen, um eine Schutzmauer zwischen unseren beiden Ländern zu bauen", schreibt Le Soir sarkastisch, wenn die Informationen über die Zustände in der Atomaufsicht beim Nachbar bekannt würden. Dazu ist zu sagen, dass Tihange nur 60 Kilometer von Aachen entfernt liegt und von einer Katastrophe in dem Atomkraftwerk vermutlich besonders stark betroffen wäre.
Und auch in Belgien sehen sich Kritiker durch den Kontrollbericht bestärkt. Für den Grünen-Politiker Jean-Marc Nollet bestätigt der Bericht schwarz auf weiß, was seine Partei immer wieder angeprangert habe: "Die FANC lässt sich durch Druck der Regierung und Electrabel [Betreiber] beeinflussen." Die Atomaufsicht hat inzwischen schon auf den Zeitungsbericht reagiert. Sie zeigt sich "überrascht", da ihr der Kontrollbericht angeblich noch nicht vorläge. Doch sei man sich in der FANC "bewusst" darüber, dass man die Kommunikation verbessern könne. "Das ist genau der Grund, warum das Audit bestellt wurde", schreibt die FANC.
Auf die eigentliche Kritik geht sie nicht ein, sondern beschränkt das Problem auf die Kommunikation. Angeschossen versucht sie, zum Gegenangriff überzugehen. Es sei "nicht hinnehmbar", dass der Bericht "überhastet" ausgeschlachtet werde, womit öffentlich die Mitarbeiter und die gesamte Behörde beschädigt würden. Vielleicht sollte die FANC noch einmal in Betracht ziehen, dass es führende Mitarbeiter ihrer Behörde sind, die diese Kritik aus profunder Kenntnis der Vorgänge geäußert haben. Und, wie die Le Soir erinnert hat, "man spricht über Atomkraftwerke und nicht über Erbsen…"