Benötigen wir nur mehr Wohnungen oder auch andere Formen des Wohnens?
Seite 2: Wohnen neu denken
Sieht man einmal vom Problem der quantitativen Verfügbarkeit von Unterkünften ab, so lautet eine entscheidende Frage: Woher wollen wir wissen, wie man in Zukunft wohnen will? Der an der Hafencity-Universität Hamburg lehrende Architekt Bernhard Kniess wies jüngst darauf hin, dass sich bei diesem Thema Zukunft nicht nur daran zeige, wie die Wohnung unseren gegenwärtig praktizierten Lebensweisen entsprechend angeeignet wird, sondern was sie ermöglicht und begünstigt.
Das habe zur Folge, dass wir uns über die Wohnung selbst Gedanken machen müssen und nicht einfach nur gängige Modelle reproduzieren. Dabei gelte es auch, die demografische Entwicklung einer überalternden Gesellschaft mitzudenken. Das heißt nicht nur bestehende Wohnungstypologien mit Haushaltsgrößen quantitativ abzugleichen, sondern auch unsere Praktiken des Wohnens mitzubetrachten.
Aber die zunehmend in Bündnissen zwischen Politik und Wohnungswirtschaft verfolgten Lösungsansätze fokussieren vorrangig bloß quantitative Ziele. Wenn es um die Qualität zukünftigen Wohnens gehe, seien für ihn nicht allein Lage, Größe oder Ausstattung maßgeblich, sondern insbesondere die Frage nach einer neuen Sozialität im Wohnen – und zwar jenseits der Kernfamilie.
Eine naheliegende Lösung sieht Kniess etwa in der Gestaltung eines reduzierten persönlichen Rückzugbereichs in Verbindung mit gemeinschaftlich geteilten Lebensbereichen und eingebettet in eine erweitert zu denkende städtische Infrastrukturlandschaft. Ein Verständnis von Wohnen also, das sich in die Stadt erweitert und nicht von ihr geschützt (gated) abgrenzt.
Das freilich ist leichter gesagt als getan. Denn die Träger des Wohnungsbaus sind – oder verstehen sich als – Teil eines Milieus, das Wohnen habituell buchstabiert. Sie folgen vermeintlich abgesicherten und tendenziell retroaktiven Vorstellungen von Behausung. Sie sind damit in den wenigsten Fällen die Träger von Innovation.
Und da treffen sie sich, andererseits, mit den Bewohnern und Nutzern: Mag man das bürgerliche Familien- und Wohnmodell auch als ein hegemoniales Kulturkonzept werten, so muss man doch sehen, dass die in diesem Modell implizierten Vorstellungen von Lebensqualität sich de facto bis heute als außerordentlich attraktiv erwiesen haben.
Auch die Produktion der Wohnungen selbst – die Art, wie gebaut wird – ist unbefriedigend. So rasant Gebäudehüllen oder technische Ausrüstung sich auch verändert haben mögen, einen Einfluss auf den Prozess der Herstellung von Wohnbauten übten sie kaum aus. Die Fabrikation von Häusern erfolgt auch heute meist noch altbacken, indem die Konstruktion direkt auf der Baustelle (als Mauerwerk oder in Ortbetonbauweise) erstellt wird.
Neubauten werden für gewöhnlich als Unikate geplant und erzeugt. Vorgefertigte Bauteile kommen in großen Stückzahlen allenfalls vereinzelt zum Einsatz. Selbst Fenster oder Aufzüge werden zumeist individuell für die jeweilige Baumaßnahme in ihren Abmessungen hergestellt.
Und auch beim Innenausbau von Wohnungen sieht es kaum besser aus. Die Folge: Der geringe Grad der Standardisierung erschwert während des gesamten Lebenszyklus spätere Modernisierungsmaßnahmen, da für jedes Projekt wiederum maßgeschneiderte Lösungen zu entwickeln sind. Und das ist teuer, langwierig und kompliziert.
Schon vor 150 Jahren befasste sich Friedrich Engels bekanntlich mit der Wohnungsfrage. Die Erklärungen des Wuppertaler Fabrikantensohns, warum sich das Finanz- mit dem Immobilienkapital für die Wohnungsspekulation verbindet, ist auf die derzeitige Wohnraumentwicklung übertragbar.
Immobilien werden aufgrund des historisch niedrigen Zinsniveaus verstärkt als rentable Anlagemöglichkeit angesehen. Maßgeblich beschleunigt wurde die Spekulation auf dem Wohnungsmarkt durch verschuldete Kommunen, die in der Privatisierung ihrer Wohnungsbaugesellschaften den Ausweg aus der chronischen Unterfinanzierung der öffentlichen Haushalte sahen.
Deshalb kann man es nur begrüßen, wenn derzeit wieder von Gemeinnützigkeit die Rede ist. Denn augenscheinlich ist doch eine über das reguläre Instrumentarium zur Sicherung von preiswertem und gebundenem Wohnraum hinausgehende Intervention notwendig. Denn der Umfang der vorhandenen gebundenen Wohnungsbestände reicht nicht aus, um ein wirksames Marktkorrektiv zur Dämpfung der Preise zu bilden und um die Bedarfsgruppen angemessen zu versorgen.
Der soziale Wohnungsbau muss gewissermaßen wiederbelebt, vielleicht sogar neu erfunden werden. Denn zur Erhaltung oder Wiederherstellung des gesellschaftlichen Friedens braucht es Wohnraum und Wohnumfelder mit menschlichen Proportionen.
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