Benvenuto Presidente!

Seite 2: Höhepunkt einer Entwicklung, an deren Ende die Aufklärung in ihr Gegenteil verkehrt ist

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Es gibt viele kluge Annäherungen an das, was da am Dienstag über Amerika und die ganze Welt gekommen ist. Und natürlich gibt es Gründe, warum 60 Millionen Amerikaner einen Mann wählen, der vielleicht ihre Sprache spricht, von ihren Sorgen aber so gut wie nichts weiß und auch gar nicht wissen will. Dabei sollte man jedoch nicht außer Acht lassen, dass die eigentliche Bedeutung dieses historischen Wahlgangs jenseits politischer Parolen, wohlfeilen Maulheldentums und nie dagewesener Chuzpe zu suchen ist.

Wenn es stimmt, wie der amerikanische Kritiker Frederik Jameson Anfang der neunziger Jahre mutmaßte, dass postindustrielle Gesellschaften zunehmend von einer allgemeinen, empathiebefreiten Seichtigkeitkeit ("depthlessness") befallen werden, dann kann Trumps Kampagne um die Präsidentschaft kaum singulär erscheinen. Vielmehr bildet sie den vorläufigen Höhepunkt einer Entwicklung, an deren Ende das Projekt der Moderne, nämlich die Aufklärung, der Glaube an die Macht des Wissens und ihrer stetigen Vermehrung, in ihr Gegenteil verkehrt ist.

Wir sind nicht, weil wir wissen oder weil wir versuchen, Wissen zu erlangen, sondern wir sind, weil wir nicht (mehr) wissen. Schaut man in die Gesichter vieler, die Trump offen unterstützten und ihm zum Sieg verholfen haben, dann sieht man vor allem eines: grenzenlose Unwissenheit darüber, wie es mit ihnen und der amerikanischen Gesellschaft insgesamt so weit hat kommen können.

Natürlich ist es auch eine Unwissenheit, die davon gespeist wird, nicht mehr wissen zu wollen, da Wissen allein, so die Erfahrung vieler, eben nicht mehr weiterhilft. Was also ist zu tun in einer Welt, in der zwar einerseits immer mehr Wissen zur Verfügung steht, in der aber andererseits von immer mehr Menschen immer weniger gewusst wird?

In Ashbys "Being There" bleibt diese Frage unbeantwortet. Der unwissende Gärtner schlafwandelt als Vertriebener aus seinem Garten Eden durch eine Gesellschaft, die nach Erlösung schmachtet und sich ihm gerade deshalb an die Fersen haftet. Und dann sind da noch die ruchlosen Vertreter des Kapitals, als deren Marionette Chance in die Präsidentschaftswahl geschickt wird.

Hinter dem Narren, so lehrt die Geschichte, versteckt sich meist ein König, dessen Untertanen zwar belustigt, niemals jedoch über die Hintergründe des diabolischen Spiels aufgeklärt werden. Mit Blick auf den Ausgang der amerikanischen Präsidentschaftswahl fällt die Entscheidung schwer, wer hier Narr und wer König ist. So bleibt lediglich die Erkenntnis, dass es trotz der übervollen Blogs, der zahllosen Kommentare, Stellungnahmen und Einschätzungen am Ende keine Erkenntnis mehr geben kann. Benvenuto, Presidente Trump — willkommen in der Mitte der Gesellschaft!

Klaus Benesch ist Professor für Amerikastudien an der LMU München.