Bereichert Euch, digitalisiert Euch!

Seite 2: Live-Schaltung in den Kulturzirkus der Gegenwart

Der Film ist schwelgerisch, leidenschaftlich und dabei immer mehr als beflissenes Bebilderungskino. Immer wieder zeigt Giannolis Film Tempo und Ruhe im Wechsel. In einer Szene da verweilt man ein bisschen, dann zack zack geht es zum nächsten Punkt.

Und es stellt sich heraus, dass diese 180 Jahre alte Geschichte eine ganz moderne ist. Und wie! Nichts von dem, was Balzac beschreibt, hat sich geändert. Der Roman ist wie eine Live-Schaltung in den Kulturzirkus der Gegenwart.

Geschildert wird darin, wie Lucien die gesellschaftliche Leiter hinaufstolpert, ohne zu wissen, wie ihm geschieht. Das schildert Balzac und dieser Film schildert es mit einem Erzähler, dessen leicht ironischer Ton uns die Haltung vermittelt, mit der man dies nur ansehen kann: "Guter oder schlechter Geschmack, also die Eleganz hängt von unzähligen Details ab, die manche Frauen sofort verstehen andere hingegen nie."

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"Die Konkurrenz war hart, die Methoden skrupellos, Erpressung war geläufig"

Oder bei der Schilderung des sogenannte "Boulevard des Crimes", dem "Boulevard der Verbrechen", der Rue du Temples, die aus drittklassigen Theaterhäusern bestand:

Die Verbrechen fanden auf der Bühne statt, in Dutzenden Theatern, die sich aneinander reihten. Das Theater war unglaublich beliebt und profitabel geworden. Die Konkurrenz unter dem Theaterdirektoren war hart, die Methoden skrupellos. Für ein neues Stück brauchte man Kritiker, um sich zu schützen. Das machte alles so. Eine Frage des Überlebens. Erpressung war geläufig. Der Boulevard war ihr Pflaster, ihr Jagdrevier und sie scheffelten Geld.

Wolfgang Pohrt

Verisse kosteten bis zu 150 Francs, Lobeshymnen gar 200 pro Artikel.

Und es gab noch andere Methoden:

Die Claqueure, die von Profis verkauft wurden. Der berühmteste von allen war Singali. Er ruinierte Stücke, demütigte Schauspielerinnen und Autoren. Er wurde von allen gefürchtet, und das zu Recht.

Zum Ausschalten eines Konkurrenten bezahlte man Singali. Für einen Triumph bezahlte man Singali. Er bildete seine Leute vor der Vorstellung aus, sie mischten sich unter das Publikum, wo sie nicht auffielen, bevor die Katastrophe geschah. Man konnte alles kaufen: Applaus, leichten Applaus, stehenden Beifall oder Pfeifen und Buhrufe, selbst faulige Tomaten und Gemüse. Man musste nur zahlen.

Geld war der neue Adel. Und den wollte niemand köpfen.

Wolfgang Pohrt

Diese Presse ist wert, dass sie zugrunde geht

"Ich brauche Arbeit, Monsieur. Ich habe enormen Respekt vor der Arbeit eines Journalisten."
"Und was genau für eine Art Metier ist das?"
"Sie klären Leute auf. Über die Kunst. Über die Welt."
Lachen, und dann: "Unser Metier ist es, die Geldgeber reich zu machen."

Dialogausschnitt

"Wir sind keine Aufklärer – unser Metier ist es, unsere Geldgeber zu bereichern." – Balzac machte sich keine Illusionen über den Journalismus und die Medien. Sein Buch und dessen Verfilmung sind brennend aktuell, in Zeiten von Fake News, in Zeiten der berechtigten wie unberechtigten Kritik an Medien und ihrer Moral, in Zeiten in denen auch die Öffentlichkeit sehr bereit ist, der Ansicht zuzustimmen, dass Medien nicht dazu da sind, der Demokratie und Erziehung der Menschen zum Besseren zu dienen, sondern nur noch dazu, auf möglichst billige und einfache Art zu unterhalten.

Balzac kritisiert genau diese Vorstellungen, nennt süffisant die skrupellosen Mechanismen des Zeitungswesens beim Namen. Seine Geschichte des Scheiterns aller Träume und Ambitionen macht diese aber nicht für das Scheitern verantwortlich. Er trauert über die allumfassende Desillusionierung, die er selbst erlebt hat.

Er klagt Dekadenz und Verlogenheit an, aber ihn interessieren die Tiefenstrukturen, sein Blick ist politisch, nicht moralisch. Und voller durchaus menschlicher Anteilnahme an denen, die das Falsche tun. Aber er redet nicht herum, er färbt Dekadenz und Verlogenheit nicht ein in die wohlfeilen Floskeln des "gesunden Menschenverstands" und der Moral, in die Sonntagsreden, die von der Bedeutung der freien Presse schwafeln, "gerade heute". Nein – diese Presse ist wert, dass sie zugrunde geht.

Balzac blickt ungerührt in seine Welt, und sein Blick zeigt uns Zeitungen, die im Verein mit Markt und Kapital, mal behindert, mal gefördert von der Politik, im Leser die Gewissheit erzeugen wollen, eine Zeitenwende, einen Epochenbruch zu erleben – so wie in unserer Gegenwart die Digitaltechnik die Öffentlichkeit durchdringt, Zeitungen durch "Neue Medien" und "Soziale Netzwerke" ersetzt und mit dem Teufelspakt aus Modernismuseuphorie und ökologischem Moralismus die Bindung des Publikums an Druck und Papier und sogar an das Geld selbst verabschiedet – digitalisiert Euch!