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Seite 4: Eine Menschenmühle
Lucien hat großen Erfolg. Er wird zum gefragtesten Autoren der Saison. Er merkt nicht, wie die Gesellschaft die er nach wie vor naiv bewundert, ihn heimlich verachtet. Wie sie ihn benutzt.
Er versteht nicht, dass die, von denen er glaubt, sie liebten ihn, sich über ihn lustig machen. Und die, die in wirklich liebt, deren Liebe erkennt er erst spät. Eine Tragödie. Eine Komödie. Eine universale, zeitlose Geschichte. Die doch zugleich auch viel erzählt aus der Zeit, als Paris die Hauptstadt des 19 Jahrhunderts war.
Dieser Film erzählt davon, wie ein Landei zum Zyniker wird. Wie ein junger Mann erwachsen wird, und alle seine Illusionen verliert. Und nicht nur das. Lucien verliert auch seine Moral. Und am Ende verliert er seine Liebe und sein Geld.
Was überlebt, das sind die Gesellschaft und ihre Gesetze. Das ist die Metropole Paris und ihre Medien, die beide auch eine Menschenmühle sind, und die immer wieder neues Frischfleisch brauchen, Menschen wie Lucien.
Viel wichtiger als die Bebilderung, wie sie hier mit einigem Aufwand im Kostümdepartment und viel Dreck auf den Straßen die Welt von vorvorgestern darstellt, sind daher die Kamerabewegungen und der Blick der Kamera.
Wichtiger als dass auf Kulissen geschaut wird, ist der Blick, mit dem auf diese Kulissen geschaut wird. Dieser Blick ist ständig in Bewegung. Er ist dynamisch, wachsam, er ist nicht allein an Beobachtung interessiert, sondern auch daran, Beziehungen herzustellen, oder Beziehungen zu durchtrennen. Es ist der Blick einer Gesellschaft, es ist ein Anteilhaben an ihrem Blick.
Dieser Film ist tatsächlich eine solche menschliche Komödie. Zum Lachen und zum Weinen.
Literatur:
Honoré de Balzac: "Verlorene Illusionen. Roman" (neu übersetzt von Melanie Walz); Hanser, München 2018.
Theodor W. Adorno: "Noten zur Literatur" I. und III. diverse Ausgaben, Suhrkamp Frankfurt 1965 ff.
Wolfgang Pohrt: "Honoré de Balzac. Der Geheimagent der Unzufriedenheit" (Einzelband zuletzt 2012, vergriffen); zur Zeit in: Wolfgang Pohrt "Gesamtausgabe Bd. III"; edition Tiamat, Berlin 2018, 144 Seiten.