Bergkarabach: Russland als Friedensstifter?
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Armenien und Aserbaidschan einigten sich schon nach kurzen Verhandlungen am Freitag in Moskau auf einen Waffenstillstand. Die Chancen für eine dauerhafte Friedensvermittlung durch Russland stehen jedoch nicht allzu gut
Ein wirksamer Vermittler in einem militärischen Konflikt zwischen zwei Staaten sollte zwei Voraussetzungen erfüllen. Zum einen eine Verbundenheit mit beiden Parteien, zum anderen eine beiderseitige Anerkennung als neutrale Instanz. Alternativ - wie beim "Normandieformat" im Donbass - gibt es in Ermangelung eines wirklichen Neutralen das Modell, dass sich "Schutzmächte" beider Seiten in das Vermittlungsgeschehen mäßigend einschalten.
Russland als einflussreicher Vermittler
Die Voraussetzung der Verbundenheit mit beiden Seiten erfüllt Russland bei Armenien und Aserbaidschan wie kein anderer Staat. Es pflegt mit beiden umfassende und langjährige wirtschaftliche und politische Beziehungen - im wirtschaftlichen Bereich sogar noch umfangreichere mit Aserbaidschan als mit Armenien.
In Russland lebt aus beiden Staaten eine umfangreiche Diaspora, allein in der Hauptstadt Moskau sind es über 100.000 Armenier und fast 60.000 Aserbaidschaner. In beiden Ländern gibt es wiederum russische Minderheiten, in der aserbaidschanischen Hauptstadt Baku waren 2009 fünf Prozent der Einwohner ethnische Russen.
Es besteht eine große Bereitschaft Russlands, bei der Beilegung des Konflikts eine aktive Rolle zu spielen. Außenamtssprecherin Sacharowa hat erst vor wenigen Tagen ein konkretes Gesprächsformat vorgeschlagen, das sehr schnell zu einem vorläufigen Waffenstillstand nach Wochen heftiger Kämpfe führte. Der in Oxford ansässige Ostexperte Thomas de Waal sieht den russischen Außenminister Lawrow als aktivsten Vermittler zwischen den Kriegsparteien und als einzigen mit Überzeugungskraft nach beiden Seiten - er verlas auch die gemeinsame Erklärung zur Waffenruhe.
Mittlerweile gibt es gegenseitige Beschuldigungen der Kriegsparteien, dass sie nicht eingehalten wird. Welche Chancen hat die Vermittlung Russlands?
Kremlsprecher Peskow hatte bereits zuvor die Möglichkeit der Entsendung russischer Friedenstruppen nach Karabach in Aussicht gestellt - wenn diese auf OSZE-Ebene beschlossen und sowohl von der armenischen als auch von der aserbaidschanischen Seite unterstützt wird.
Dass Russland nicht bereits früher zur Vermeidung des Krieges tätig geworden ist, liegt nach Ansicht des bekannten Moskauer Politologen Andrej Kortunow daran, dass man längerfristige Kriegsvorbereitungen Aserbaidschans und die dortige Entschlossenheit zu einer militärischen Lösung nicht rechtzeitig erkannt hat. Weiterhin habe man im Kreml nach seiner Auffassung die Angewohnheit, eingefrorene Konflikte in Bezug auf neue Eskalationsmöglichkeiten zu wenig zu beobachten - aus den Augen, aus dem Sinn, bis zur nächsten Explosion.
Friedensangebot von Aserbaidschan zielt auf Sieg
Generell wird Russland als Vermittler auch von Aserbaidschan akzeptiert, wie die schnellen Verhandlungen in Moskau zeigen. Die Darstellung westlicher Medien von Russland als Schutzmacht Armeniens dient vor allem der schlagzeilenträchtigen Stilisierung des Karabach-Konflikts zu einem Stellvertreterkrieg zwischen Putin und Erdogan, hat aber mit dem russischen Selbstverständnis und den Ursachen der Kämpfe wenig zu tun.
Russland sieht sich im "nahen Ausland", wie man dort die frühere Sowjetunion inklusive der beiden Kriegsgegner bis heute bezeichnet, vor allem als Ordnungsmacht, der an einer Eskalation hier nicht gelegen war.
In Bezug auf russische Friedenstruppen sieht es aber mit einer Zustimmung Aserbaidschans schlecht aus. Hier gibt es Erfahrungen im Nachbarland Georgien, die für eine solche Bereitschaft nicht förderlich sind. Russische Friedenstruppen wurden dort in militärischen Konflikten mit den abtrünnigen Provinzen Abchasien und Südossetien in den 1990er Jahren stationiert. Von dortiger Regierungsseite werden sie inzwischen mehr als Besatzer gesehen, als dass sie zwischen den Fronten schlichten.
Die georgische Regierung unterstellt ihnen eine Schutzfunktion für die gegnerischen Separatisten. Aserbaidschan hat aber gerade das Ziel, die Autonomie Karabachs zu beseitigen und russische Friedenstruppen wären hier kontraproduktiv, die aktuell ganz andere Verhältnisse zementieren.
Aserbaidschan befand sich zuletzt militärisch im Vorteil und auch deswegen ist es zweifelhaft, ob die Waffenruhe hält, wenn Armenien nicht weitreichende Zugeständnisse macht. Bisher wurde von Baku eher ein militärischer Sieg als ein Verständigungsfrieden angestrebt. Auch die armenische Seite gab zu, dass das Kampfgeschehen für Aserbaidschan besser lief, zitierte kurz vor dem Waffenstillstand die russischen Zeitung Kommersant den armenischen Premier Nikol Paschinjan. Die Aserbaidschaner hatten nach eigenen Angaben die jahrelang festgefahrene Frontlinie durchbrochen.
Das einzige echte Friedensangebot von Aserbaidschan lief dementsprechend unter der Bedingung des Abzugs aller armenischer Truppen aus Karabach. Da dies die Konfliktregion ist, kommt so ein "Angebot" eher einer Forderung nach Kapitulation der anderen Seite gleich. Auch am Rande der Gespräche in Moskau hat Aserbaidschans Präsident Alijew seine Forderung nach einem Abzug aller armenischen Truppen aus dem umstrittenen Gebiet, das traditionell zu 75 % von Armeniern bewohnt wird, bekräftigt, vor dem es keinen dauerhaften Frieden geben könne.
Was kann Moskau anbieten?
Eine andersartige Konfliktbeendigung wäre eine eindeutige Niederlage für Aliew, auf die er schon aus innenpolitischen Gründen nicht eingehen wird. Ähnlich verhängnisvoll könnten zu große Zugeständnisse für sein armenisches Gegenüber Paschinjan sein, der nach einem hoffnungsvollen Start 2018 im eigenen Land anderweitig inzwischen stark unter Kritik steht. Hier ist es die Frage, was Moskau als Vermittler anbieten kann, was wirklich von beiden Seiten akzeptiert wird. In der Vergangenheit ist jeder Vermittlungsplan gescheitert.
Im Moskauer Interesse, wäre eine Niederlage der Armenier nicht, mit denen man in verschiedenen Bündnissen partnerschaftlich verbunden ist. Dennoch wird Russland auf armenischer Seite nicht in den Konflikt eingreifen, glaubt der Moskauer politische Analyst Dmitri Drise. Ein offenes Eingreifen würde das ebenfalls wichtige Verhältnis zu Aserbaidschan beenden und jede Vermittlungsmöglichkeit.
Würde Moskau zu verdeckten Methoden greifen, etwa der Unterstützung durch private Sicherheitsfirmen, bestünde die Gefahr eines neuen Schlachtfeldes wie in Libyen oder Syrien, doch dieses Mal in unmittelbarer Nachbarschaft der eigenen Grenze und mit langwieriger Dauer. Militante Gegner könnten dann ins nahe Russland eindringen, glaubt Drise, was der Kreml nicht riskieren wird.
Frieden über Schutzmächte Türkei-Russland?
Ein Versuch der Konfliktlösung unter Einbeziehung von "Schutzmächten" beider Seiten ist im Karabach-Krieg weitgehend ausgeschlossen. Nicht nur weil Russland sich nicht als Schutzmacht Armeniens begreift. Sondern vor allem, da die Türkei als Verbündeter von Aserbaidschan aktuell kein Interesse an einer Beendigung des Konflikts zeigt.
Ankara wolle im Kaukasus dauerhaft eine wichtige politische Rolle spielen, meint Kortunow und unterstütze aktuell zielgerichtet die aserbaidschanische Seite. Hier bestehen zahlreiche Indizien - bestätigt durch den Chef des russischen Auslandsgeheimdienst Sergei Naryshkin -, dass diese Unterstützung offen militärisch erfolgt.
Dazu passen Äußerungen des türkischen Außenministers, Aserbaidschan sowohl am Verhandlungstisch als auch "auf dem Schlachtfeld" zu unterstützen. Die offene Unterstützung der Türkei anstelle einer früheren Zurückhaltung macht Thomas de Waal mit dafür verantwortlich, dass die Kämpfe gerade jetzt ausgebrochen waren - sehr widersinnig erscheint dadurch der Gedanke einer Friedensbemühung mit türkischer Hilfe.
All das führt auch dazu, dass das Außenministerium der nicht anerkannten armenischen Republik Bergkarabach jede Vermittlung der Türkei in Verhandlungen ablehnt, da diese als Kriegsgegner betrachtet wird.