Berlin: Wenn Experten prüfen, wie weit Demokratie gehen darf
Das demokratische Mehrheitsvotum für eine Vergesellschaftung großer Wohnungskonzerne wird in der Hauptstadt erst einmal auf die lange Bank geschoben
"Das ist nicht der normale Umgang mit einem Volksentscheid", sagt Moheb Shafaqyar von der Berliner Initiative Deutsche Wohnen & Co. enteignen, die bei der Abstimmung am 26. September in der Hauptstadt eine absolute Mehrheit für die Vergesellschaftung großer Immobilienkonzerne gewinnen konnte. Jetzt soll erst einmal eine Expertenkommission bis 2023 über die Umsetzung beraten - das haben SPD, Grüne und Linkspartei in ihren Koalitionsverhandlungen am Montag beschlossen, ohne dieses Gremium genauer zu beschreiben.
Die Zusammensetzung und selbst die Personenzahl sind bisher unklar: Darüber soll der neue Berliner Senat in den ersten 100 Tagen seiner Amtszeit entscheiden. Versprochen wird allerdings eine Beteiligung der Enteignungsinitiative. Ob diese das überhaupt will, hängt von mehreren Faktoren ab. "Es ist eine politische Frage, ob wir diesen Umgang mit einem Volksentscheid legitimieren, indem wir mitmachen", sagte Shafaqyar am Dienstag gegenüber Telepolis. Einigen der Aktiven käme es aber wohl auch auf die sonstige Zusammensetzung an.
Die Horrorvisionen der FDP
Während viele von ihnen befürchten, dort gegebenenfalls nur als Alibi zu dienen, ist für den Vorsitzenden der FDP-Fraktion im Abgeordnetenhaus, Sebastian Czaja, der Fall klar: Die Expertenkommission werde sich "zum Spielplatz der radikalen Enteignungsfanatiker entwickeln", befand er laut einem Bericht der BZ. Experten - wie etwa Verfassungsrechtler - würden dort in der Minderheit sein.
Tatsächlich heißt es in der um Mitternacht verschickten Vereinbarung:
Dabei setzt die Koalition auf externe fachliche Expertise.
In einem ersten Schritt soll die Kommission die Verfassungskonformität einer Vergesellschaftung, wie im Volksentscheid vorgesehen, untersuchen. Dabei sollen auch mögliche rechtssichere Wege einer Vergesellschaftung benannt und rechtlich bewertet werden.
In einem zweiten Schritt werden für diese Wege wohnungswirtschaftliche, gesellschaftsrechtliche und finanzpolitische Aspekte berücksichtigt und entsprechende Empfehlungen an den Senat erarbeitet.
Der Senat wird die möglichen verfassungskonformen Wege einer Vergesellschaftung unter wohnungswirtschaftlichen, gesellschaftsrechtlichen und finanzpolitischen Gesichtspunkten gewichten und bewerten.
Die Berliner Landesvorsitzende der Partei Die Linke, Katina Schubert, erklärte dazu angesichts erwartbarer scharfer Kritik aus den eigenen Reihen. Die Expertenkommission prüfe nicht das "Ob", sondern das "Wie" der Vergesellschaftung. Viele halten allerdings für Wunschdenken, dass dies zu einem anderen Ergebnis als "Geht leider doch nicht" oder "Wird viel zu teuer" führt.
Ein Knackpunkt ist die Höhe der Entschädigung
Denn es wird unter anderem darum gehen, ob sich die Entschädigung für die betroffenen Unternehmen mit mehr als 3000 Wohnungen am Marktwert orientieren müsste. Dazu trifft das Grundgesetz, das Enteignungen im Sinne des Gemeinwohls zulässt, nämlich keine klare Aussage. Wer aus der unantastbaren Menschenwürde nicht zwingend ein Recht auf bezahlbaren Wohnraum ableitet, kann das aber so sehen.
Gerade Menschen aus dem Umfeld der Linkspartei, die für das Volksbegehren Unterschriften gesammelt haben, sehen ihre Befürchtungen bestätigt, dass hier eine demokratische Mehrheitsentscheidung auf die lange Bank geschoben werden und letztendlich im Sand verlaufen soll. Der Schriftsteller Raul Zelik, der dem Bundesvorstand der Partei Die Linke angehört, kommentierte die Angelegenheit sarkastisch: "Berlin könnte jetzt auch eine Expertenkommission einrichten, ob man ein/e Bürgermeister/in wählen will. So eindeutig war das Wählervotum ja nicht. Vielleicht wollten die Menschen etwas anderes sagen", twitterte er.
Die SPD, die mit Franziska Giffey die designierte neue Bürgermeisterin stellt, hatte bei der Abgeordnetenhauswahl 21,4 Prozent der Stimmen erhalten, die Grünen 18,9 Prozent und Die Linke 14,0 Prozent. Letztere hatte aber in der Wohnungsfrage die Position der absoluten Mehrheit in der Hauptstadt vertreten. Warum sich das nicht in ihrem Wahlergebnis niederschlug, steht auf einem anderen Blatt und ist Gegenstand innerparteilicher Diskussionen.
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