Berlin - das neue und das alte
Als Gentrifizierer zwischen den Zufriedenen und den Verbitterten
Schön ist es hier in meinem gentrifizierten Kiez in Berlin-Mitte. Die sanierten Häuser, die modebewussten Menschen auf der Straße, sogar einen Wasserspielplatz gibt es.
Gut, die Mieten sind teurer als woanders. Dafür kreuzt nun ein Oldtimer mit geöffnetem Verdeck meinen Weg. Ich betrete das Café bei mir um die Ecke. Überall sitzen schöne Menschen und trinken diverse Kaffeespezialitäten ab 2,90 Euro aufwärts.
Ich frage mich, ob man in diesem Kiez noch einen Kaffee für 1,80 bekommt. Eine Straße weiter entdecke ich ein Kiosk. Das alte Berlin ist noch nicht tot. Es gibt Kaffee für einen Euro pro Becher. Allerdings auf die altmodische Art durch den Filter getröpfelt. Der Gentrifizierer in mir schnaubt verächtlich. Filterkaffee? Na, dann doch lieber gleich ein Sterni.
Heute tätige ich keinen Kauf aus Verlegenheit, sondern gebe vor meine Börse vergessen zu haben. Der Verkäufer im Kiosk ruft mir hinterher: "Könn’se ooch morgen zahlen!" Doch ich bin schon draußen. Lasse das Kiosk und den Verkäufer mit Berliner Dialekt hinter mir. Wie lange dauert es noch, bis das alte Berlin tot ist?
Also sitze ich wieder im Café und trinke einen Cortado für drei Euro. Mein innerer Spanier zeigt mir den Vogel. Ich versuche zu entspannen, belausche die Gespräche der anderen Leute an den Nebentischen. Allerdings verstehe ich nicht viel. Denn mein Englisch ist zu schlecht. Die offizielle Sprache in diesem Café scheint Englisch zu sein. Ich schaue mir die Leute näher an. Alle Hautfarben dieser Welt sind vertreten. Die meisten sind jünger als ich. Und sie scheinen alle zufrieden zu sein. Ist dies das neue Berlin? International, jung, zufrieden?
Ich spüre Angst in mir aufkommen. Wenn niemand mehr meine Sprache spricht. Wenn alle jünger und attraktiver sind als ich. Was wird dann aus mir? Eines Tages werden sie über mich lästern. Über den alten Sack, der kein Englisch spricht und von dem alten Berlin schwärmt, in dem es noch Kaffee für einen Euro gab.
Gehört Berlin nicht mehr zu Deutschland?
Das kann nicht meine Heimat sein. Gehört Berlin nicht mehr zu Deutschland? Niemand interessiert sich für mich, für meine Ängste. Jeder tut so, als gäbe es keine Probleme. Die Zukunft sieht düster aus. In dem neuen Berlin. Für mich.
Was ist aus meiner Heimat, aus der deutschen Sprache geworden? Bin ich jetzt gegen Ausländer? Vielleicht demonstriere ich nächste Woche auf der anderen Seite. Die Farben Schwarz, Rot, Gold durch die Luft schwenkend und ein Schild in die Höhe haltend: "Heimatliebe ist kein Verbrechen!"
In meinem Kiez wird viel gelacht. Zahlreiche Familien schlendern durch die Gegend, immer steht irgendwo ein Kinderwagen im Weg. Doch niemand ärgert sich darüber. Alle scheinen gute Laune zu haben.
Alle? Nein, meine Laune wird immer schlechter und ich habe das Gefühl am Rand zu stehen.
Ein grausamer Verdacht kommt in mir auf. Möglich, dass die Sehnsucht nach dem alten Berlin eigentlich etwas anderes ist? Mich verlangt es nach einer Veränderung. Am liebsten wäre mir ein Erdrutsch, der all diese glücklichen Menschen verschluckt. Doch ich kann den Boden unter meinen Füßen nicht aufreißen. Trotzdem habe ich das Gefühl zu versinken.
Hier klingt und schmeckt es wie im alten Berlin. Proletarisch, bodenständig, echt
Ich setze mich in die S-Bahn und fahre raus aus dem Zentrum. Bloß weg von diesen Dauergrinsern, die einen im Supermarkt an der Kasse vorlassen und für die Bio so eine Art Religion zu sein scheint. Die Bahn fährt durch Berlin, vorbei an den fünfstöckigen Häusern, weiter, immer weiter hinaus, bis sie zu zwei Stockwerken schrumpfen. Wiesen und Felder machen den Horizont frei.
An der letzten Station vor Brandenburg steige ich aus. Es gibt zwei Bahnsteige, ein junger Mann mit seinem Kind geht vor mir. Sympathisch sieht er aus, der Papa: Schwarz gefärbte Haare fallen fluffig über die Ohren, Piercing in der Augenbraue. Auf seinem T-Shirt lese ich etwas von "Heimat", "Volk" und "Front". Soso. Leicht irritiert gehe ich weiter. Auf dem Vorplatz befindet sich einer der Billigläden, in denen es Socken, Kugelschreiber und Batterien für einen Euro gibt. Daneben ein Supermarkt, ein Imbiss, eine Pizzeria.
Am Stehtisch esse ich eine Currywurst. Die anderen Leute um mich herum reden Berlinerisch. Hier klingt und schmeckt es wie im alten Berlin. Proletarisch, bodenständig, echt.
Auf der Suche nach einem Café frage ich einen Mann in den Fünfzigern. Seinen Hund an der Leine führend, beschreibt er mir den Weg: "Da hinten an dem Asylantenheim vorbei. Vier ha’m wir jetzt davon hier." Dann gibt er ein Lachen von sich - ohne Verständnis für das, was ist. Ohne Hoffnung. Ein wenig irre. Ist das der Grund, warum die Menschen an diesem Ort teilweise zu 30 Prozent AfD wählten?
Ich schleiche um eine Unterkunft mit Asylbewerbern. Container, die in langen Reihen übereinander stehen. An einigen Fenstern hängen Tücher und Decken, umfunktioniert zu Gardinen. Hinter einem geöffneten Fenster sind Kinderstimmen zu hören. Angst habe ich keine. Noch nicht.
In einer Bäckerei bestelle ich einen Kaffee und ein Stück Kuchen. Setze mich damit neben einen Tisch mit Rentnern. Und lausche. Gut gelaunt reden sie über eine Ausstellung von Bildern. Wieder lauter Zufriedene, deren Gesellschaft ich meiden will. Ich verschlinge meinen Kuchen, trinke den Kaffee aus. Bevor ich gehe, frage ich die Gruppe, in welcher Richtung das Asylantenheim liege. Als Antwort bekomme ich ein freundliches: "Die nächste Flüchtlingsunterkunft befindet sich immer die Straße runter und dann zu rechter Seite." Dankend verabschiede ich mich. Hier ist für mich nichts zu holen. Als Unzufriedener brauche ich anderen Input.
Vor einem Lokal sitzen drei Männer, deren Durst größer als ihr Hunger ist. Gegen 14 Uhr schmücken bereits fünf leere Flaschen Bier den Tisch. Ich setze mich zwei Tische weiter und bestelle ein alkoholfreies Weizen. Die ersten kritischen Blicke treffen mich und ich weiß, dass ich hier richtig bin. Zunächst langweilen sie mich mit Gesprächen über Fußball. Als endlich zwei junge bärtige Männer an uns vorbei schlendern, ändert sich die Stimmung schlagartig. "Jetz‘ aber schnell zur Moschee", sagt einer. "Aber Messer an der Tür abgeben!", meint der andere. "Und die Bomben auch!" Lachen. Pause. Erstmal ein Schluck aus der Pulle.
Ich suche das Gespräch, frage die Männer, ob es schon Probleme mit den Flüchtlingen gab. Zwei zögern, einer erzählt, hier um die Ecke hätte tatsächlich ein Terrorist gewohnt. Einer mit echtem Sprengstoff. Doch als die Polizei seine Wohnung durchsuchte, hätte sie nichts gefunden. "Da war'n se wieder zu spät, die Bullen."
Schnell kommen sie wieder auf Fußball zu sprechen. Sie vertrauen mir nicht. Wer trinkt schon alkoholfreies Weizen? Der Gentrifizierer in mir weiß, dass für den Altberliner ein Bier ohne Alkohol ein Paradoxon an sich sein muss. Deprimierter als zuvor trolle ich mich.
Am Bahnhof sehe ich die zwei jungen Männer mit Bärten wieder. Sie sprechen Arabisch, was schon verdächtig genug klingt. Diese harten ch-Laute, tief aus der Kehle heraus, klingen schon nach Vergewaltigung und Mord. Sie rauchen auf dem Bahnsteig, ich huste und gehe ein paar Schritte weiter. Nein, diesen Typen wollte ich nicht bei Nacht begegnen. Die Sorge um die allgemeine Sicherheit wächst bei mir. Angst habe ich noch keine.
Angst vor der Angst
Wieder in Mitte versuche ich zu verstehen. Hier im neuen Berlin gibt es nicht die Probleme wie im alten. Ich habe noch keine Container für Asylbewerber gesehen. Allerdings sehe ich hier mittags auch keine Männer Bier trinken. Die Menschen im neuen Berlin wählen überwiegend Rot und Grün. Weil es politisch korrekt ist? Weil sie nicht die Sorgen der vom Aussterben bedrohten Altberliner haben?
Auch ich fühle mich vom Aussterben bedroht. Auch ich ärgere mich über die Leute von außerhalb, die in meinem Kiez die Mieten in absurde Höhen treiben. Muss ich mich jetzt auch noch vor den Asylbewerbern, vor Terroristen und deren Bomben fürchten?
Am Kiosk kaufe ich mir ein Bier und setze mich auf die Bank im Park. Zwei junge Männer sitzen auf der Bank gegenüber. Auf der Lehne, die Schuhe auf die Sitzfläche gestellt. Bärte bedecken ihr Gesicht. Sie rauchen Gras und verteilen ihren Speichel über den Boden. Die Gesichter in die Handys vertieft, knistern ihre Jogginghosen bei jeder Bewegung. "Sind die jetzt überall?", frage ich mich. Vielleicht ist was dran an der Überfremdung, der Islamisierung Deutschlands. Die überall beschriebene Flüchtlingskrise und die Flüchtlingskatastrophe - jetzt spüre ich sie erst. Doch woraus genau bestehen die Krise und die Katastrophe? Sind es die Menschen selbst oder die Organisation des Staats? Ich habe keine Angst, jedoch murrt der besorgte Bürger in mir.
Vielleicht ist es möglich, Menschen wie diese beiden kiffenden Bartträger zu integrieren. Doch ich weiß nicht, wie. Plötzlich blicken sie mich an. Ich habe sie angestarrt und sehe beschämt zur Seite. Ob sie ein Messer in der Tasche haben? Sie scheinen sich zu beraten, nicken in meine Richtung. Ich überlege aufzustehen und zu gehen. Aber ich bin wie versteinert. Einer der beiden Typen steht auf und kommt auf mich zu. Bleibt vor mir stehen: "Do you have any tobacco?" Ich verneine, versuche ruhig zu bleiben. Er bedankt sich und verabschiedet sich freundlich. Mit seinem Begleiter spricht er in breitestem amerikanischen Englisch über die Möglichkeit einen Späti aufzusuchen.
Ich schnaufe durch. Wie einfach es ist, das eine Feindbild gegen ein anderes auszutauschen. Jetzt habe ich Angst. Es ist die Angst vor der Angst, die mich für einen Tag in einen Verbitterten ohne Verstand verwandelt hat.
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