Berliner Polizei im Silvester-Einsatz: Wenn Neukölln plötzlich überall ist

Die Berliner Stadtreinigung hatte am Morgen viel zu tun. Symbolbild: Pixabay Licence

300 Festnahmen in Berlin. "Gebashter" Bezirk erfüllte schlimmste Erwartungen nicht. Wo er anfängt und aufhört, war der Polizei scheinbar nicht ganz klar.

Der Berliner Bezirk Neukölln und vor allem die Sonnenallee waren schon Wochen vor Silvester zu Synonymen für bevorstehende schwere Ausschreitungen geworden.

Polizeipräsidentin Barbara Slowik hatte den größten Silvester-Einsatz "der letzten Jahrzehnte" mit rund 4.000 Beamten angekündigt. Berlins Regierender Bürgermeister Kai Wegner (CDU) hatte eine "Nacht der Repression" angedroht.

Ein Teil der Sonnenallee war zur Böllerverbotszone erklärt und zeitweise abgesperrt wurden – wer den Bereich passieren wollte, wurde auf Feuerwerkskörper durchsucht.

Schwere Zwischenfälle in anderen Bezirken

Die erste schwere Verletzung durch Feuerwerk nach dem diesjährigen Verkaufsstart in der deutschen Hauptstadt wurde allerdings schon am Vorabend von Silvester und nicht aus Neukölln, sondern aus Marzahn-Hellersdorf gemeldet – und die Böllerschlacht mit den meisten Beteiligten am Silvesterabend fand nach Polizeiangaben im Bezirk Mitte statt.

Am Samstagabend hatte demnach ein 40-jähriger Mann in Marzahn-Hellersdorf seine Hand verloren, indem er eine Signalrakete der Kategorie F4 gezündet hatte, die daraufhin noch in seiner Hand explodiert war.

Am Sonntagabend hätten sich dann rund 500 Personen – auf entsprechenden Videos waren vor allem junge Männer zu sehen – am Neptunbrunnen gegenseitig mit Pyrotechnik beworfen, meldete die Polizei kurz vor 21 Uhr aus Berlin-Mitte.

Man habe die Gruppe auseinandergetrieben und kontrolliert. Aus einer rund 200-köpfigen Gruppe in den Rathauspassagen seien dann die Einsatzkräfte mit Pyrotechnik beschossen worden.

Berlinweit mindestens 27 Schwerverletzte

Aus mehreren Bezirken, darunter Charlottenburg, Lankwitz und Adlershof, wurde gemeldet, dass Passanten oder vorbeifahrende Autos mit Böllern beworfen würde. Auch Einsatzkräfte der Feuerwehr und der Polizei wurden zum Teil gezielt angegriffen.

Bis zum Neujahrsmorgen meldete das Berliner Unfallkrankenhaus 27 Schwerverletzte durch Feuerwerk. Zwei jeweils 18-jährige Tote durch Böllerunfälle gab es unterdessen nicht in Berlin, sondern laut Medienberichten im bayerischen Landkreis Cham und in Koblenz.

Dass es wegen teils stark alkoholisierter Böllerfans auch in Neukölln nicht möglich war, sich entspannt im Freien zu bewegen, gehört seit vielen Jahren zum "Normalwahnsinn" der Berliner Silvesternacht – nicht nur in diesem Bezirk und nicht erst seit 2015, wie es auf rechten Social-Media-Kanälen kolportiert wird, weil dies das Jahr der sogenannten Flüchtlingskrise war.

Rassismus oder Mangel an Ortskenntnis?

Im Vorfeld der diesjährigen Silvesternacht hatte das Social-Media-Team der Berliner Polizei Kritik auf sich gezogen. Der Vorwurf: Neukölln-Bashing. Kollegen, darunter Zivilfahnder, seien am Vorabend "durch Neukölln" gestreift, hieß es in dem Tweet. In 18 Fällen sei unerlaubte Pyrotechnik beschlagnahmt worden. Von den neun genannten Einsatzorten lagen allerdings nur zwei tatsächlich in Neukölln.

Da in dem Bezirk sehr viele türkisch- und arabischstämmige Menschen leben, was auch immer wieder im Zusammenhang mit Straftaten thematisiert wird, warf die Bundestagsabgeordnete Clara Bünger (Die Linke) der Polizei vor, ein rassistisches Feindbild aufzubauen.

Ihr Parteifreund Ferat Kocak kritisierte zudem, dass es "Gefährderansprachen" nicht nur bei Personen gegeben hatte, die in der letzten Silvesternacht auffällig geworden waren, sondern laut einem RBB-Bericht auch bei "Angehörigen der sogenannten Migrantifa", also "Mitgliedern linksradikaler Gruppen mit Migrationshintergrund". Insgesamt war von "knapp 100 potenziellen Randalierern" die Rede.

Polizei "mit der Einsatzkonzeption zufrieden"

Die Berliner Polizei zog am frühen Neujahrsmorgen eine aus ihrer Sicht positive Bilanz. Die Zwischenfälle seien nicht so gravierend gewesen wie in der Silvesternacht vor einem Jahr, sagte Polizeisprecherin Anja Dierschke dem RBB. "Wir sind mit der Einsatzkonzeption zufrieden." Der Unterschied sei, "dass wir aufgrund der hohen Einsatzkräftezahl unmittelbar einschreiten konnten".

Berlinweit gab es demnach mindestens 300 Festnahmen, überwiegend wegen gefährlichen Missbrauchs von Feuerwerk – unklar blieb zunächst, wie viele lediglich wegen Verstößen gegen das Versammlungsrecht festgenommen wurden, da im Bereich der Sonnenallee auch das Verbot einer propalästinensischen Demonstration durchgesetzt wurde.

Einige Menschen hatten sich trotzdem dort versammelt und entsprechende Parolen gerufen und Kufiya-Tücher geschwenkt.