Berliner Station 59: Vorbereitung auf den Ebola-Ernstfall
Seite 2: Die Frage des richtigen Anzuges
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"Es ist extrem anstrengend"
Einfache Overalls
Viren sind Partikel im Nanobereich: Die größten Ebola-Stäbchenviren haben eine Ausdehnung von 0,014 mm. Um solch kleine Krankheitserreger abzuhalten, müssen die Schutzanzüge extrem dicht sein. Durch moderne Kunststoffe und Fertigungsmethoden ist die Massenherstellung entsprechend dichter Anzüge wie dem DuPont "Tychem" heute kein Problem mehr.
Im Einsatzgebiet in Westafrika setzt die Weltgesundheitsorganisation solche einfachen Overalls ein. Es handelt sich um billige Wegwerfprodukte (Stückpreis ca. 17,90 Euro), die allerdings nicht tropentauglich sind. Die teuersten Ausrüstungsstücke in Westafrika sind die "Uvex"-Sportbrillen. Die Einsatzkräfte leisten sich diese Markenartikel, damit ihre Brillengläser trotz Schweißausbrüchen nicht sofort beschlagen.
Außerdem tragen die Medizinkräfte zwei Paar Handschuhe aus Latex oder Nitril. Weil dieses Gummimaterial nur in begrenztem Umfang dicht ist, werden zwei Paar Handschuhe übereinander getragen. Sollte ein Handschuh kaputtgehen, hat der Betroffene noch genügend Minimalschutz, um seine Arbeit unverzüglich einzustellen und sich aus dem unmittelbaren Gefahrengebiet zu entfernen. Allerdings fällt es den Ärzten naturgemäß schwer, mit zwei Gummihandschuhen übereinander den Puls zu fühlen oder einem Patienten einen venösen Zugang zu legen, etc..
Wegen ihrer hohen Dichte sind ABC-Schutzanzüge zugleich luftundurchlässig. Durch das Tragen eines ABC-Schutzanzuges entfällt die Hautatmung. Da diese am gesamten Atmungsaufkommen nur einen Anteil von ca. 5 Prozent hat, kann sie durch einen Atemzug mehr pro Minute problemlos ausgeglichen werden. Aber die Haut ist bekanntlich das größte Körperorgan und für den Wärme- und Feuchtigkeitshaushalt zuständig. Dieser Austausch wird über das vegetative Nervensystem quasi automatisch gesteuert und funktioniert problemlos.
Beim Überstreifen eines ABC-Schutzanzuges fällt dieser Austausch weg! Dadurch kann der ABC-Helfer nach rund 30 Minuten in ein "künstliches Fieber" verfallen und bewusstlos werden. Daher werden alle ABC-Anzüge mit einer Notöffnung konstruiert. Allerdings ist die Arbeitszeit in solchen Overalls ist in jedem Falle auf 1 bis 2 Stunden begrenzt.
Gebläseanzüge
Wegen dieser extremen körperlichen Belastung müssen sich in Deutschland alle lizenzierten Atemschutzgeräteträger regelmäßig einer arbeitsmedizinischen Zulassungsuntersuchung "G 26-3" mit Lungenfunktionsübung und Belastungs-EKG unterziehen. Da es sich beim Krankenhauspersonal aber nicht um ABC-Fachkräfte handelt, hat die Industrie schon vor Jahren so genannte Gebläseanzüge entwickelt. Sie wurden zunächst nur für das Personal von Sonderisolierstationen beschafft, in den letzten zehn Jahren werden - im Rahmen der Katastrophenvorsorge und Terrorismusabwehr auch "normale" Rettungskräfte damit vorbeugend ausgestattet.
Diese Anzüge haben auf dem Rücken ein Gebläse mit zwei bis drei Luftfiltern der Kategorie A2B2E2K2-P3, das ständig frische Luft ansaugt, durch den Anzug leitet und über Ventile am Kopf wieder ausstößt. Zwar geraten die Einsatzkräfte ins Schwitzen, aber durch den ständigen Luftzug wird eine gefährliche Überhitzung des Körpers vermieden. Vielmehr kann der ABC-Helfer mehrere Stunden "normal" arbeiten, ohne dass seine Aufmerksamkeit durch vorzeitige Übermüdung eingeschränkt wäre, was bei einem Umgang mit Ebola-Patienten tödlich wäre.
Weil der Anzug die Ohren komplett bedeckt und das Gebläse lärmt, ist eine Verständigung mit dem Patienten oder den anderen Pflegern erschwert. Daher werden Headsets eingesetzt. Nicht zuletzt benutzt die Station 59 einen hellblauen Gebläseanzug, der über eine einfache Laufsohle verfügt, so dass keine Schuhe getragen werden müssen.
Ein solcher Gebläseanzug kostet mindestens 1.000 Euro. Die Gebläseanzüge sind wie die einfachen Overalls Wegwerfartikel, lediglich das Gebläse wird wieder verwendet. Dazu müssen die Akkus für das Gebläse täglich aufgeladen werden. Diese Arbeitsanzüge erlauben eine Arbeitszeit von rund drei Stunden.
Schon beim Anziehen des noch völlig sauberen Anzuges können gravierende Fehler gemacht werden
Sowohl bei den einfachen Overalls als auch beim Tragen der Gebläseanzüge verliert man verstärkt Wasser. Daher sind alle ABC-Kräfte angehalten, vor Beginn des Einsatzes etwas zu trinken. Dies kann aber zu Problemen führen. Stationsarzt Dr. Florian Steiner berichtete über seine Erfahrungen:
Es ist extrem anstrengend. Ich kann nichts trinken oder auf Toilette gehen. Ich schwitze und kann mich nur sehr langsam bewegen. Außerdem hört man sehr schlecht.
Wer trotzdem pinkeln muss, pisst in seinen Anzug hinein. Da der luftundurchlässig ist, ist der auch wasserundurchlässig. Die Folgen kann man dann bei jedem Schritt genau hören.
Da die ABC-Kräfte sich schon mehrere tausend Mal sich morgens und abends an- bzw. ausgezogen haben, sollte man meinen, dass das Überstreifen oder Ablegen eines Schutzanzuges eigentlich kein Problem sein dürfte. Aber das genaue Gegenteil ist der Fall. Es ist wie mit dem Händewaschen: Eigentlich können sich alle die Hände waschen, aber kaum jemand reinigt seine Hände so wie ein Chirurg vor einer OP. Schon beim Anziehen des noch völlig sauberen Anzuges können gravierende Fehler gemacht werden. Nicht nur die Reißverschlüsse, sondern auch alle Übergänge (Schutzbrille-Anzug, Anzug-Handschuhe, Anzug-Stiefel/Schuhe) müssen sorgfältig abgeklebt werden, damit nach Außen nicht die winzigste Lücke bleibt.
Besonders gefährlich ist das Ablegen eines kontaminierten Anzuges am Ende eines ermüdenden Einsatzes. Allzu leicht berührt man unabsichtlich die kontaminierte "Schwarzseite" des Anzugs und überträgt die unsichtbaren Viren auf die reine "Weißseite". Vielleicht hat man seine Finger nicht unter Kontrolle und fasst irgendwo hin, wo man nicht hinfassen sollte. Man denke nur an die unbewusste Körpersprache wie "Kopfkratzen" oder "Nasefassen"; auch wundern sich Brillenträger immer wieder, welche unsichtbaren Wesen fettige Fingerabdrücke auf ihren fein geschliffenen Brillengläsern hinterlassen haben. Solche haptischen Fehlgriffe müssen unbedingt vermieden werden.
Ausziehen in 40 Schritten
Das Ausziehen eines ABC-Schutzanzuges erfolgt sukzessive in rund 40 Schritten. Um eine Kontaminationsverschleppung zu vermeiden darf man seinen Schutzanzug niemals selbst ausziehen. Vielmehr müssen ein bis zwei Personen unbedingt Hilfestellung leisten!
Auf der Station 59 in Berlin führen die Mitarbeiter der Station - soweit es der Klinikbetrieb erlaubt - alle zwei Wochen eine Übung durch, bei der vor allem das hygienisch perfekte An- und Abstreifen der Schutzanzüge immer wieder trainiert wird, um tödliche Fehler zu vermeiden. Man kann den richtigen Umgang mit dem ABC-Schutzanzug nicht im Hauruckverfahren lernen, so wie man in der Schule Englischvokabeln paukt, vielmehr ist es ein Lernprozess wie beim Erwerb eines Pkw-Führerscheins.
"Man muss einfach ein Gefühl dafür bekommen, wie das ist, damit zu arbeiten", erklärte dazu Thomas Klotzkowski von der Station 59. Die Initiative der Bundesverteidigungsministerin, freiwillige Medizinkräfte in einem Wochenendkursus auf einen Ebolaeinsatz vorzubereiten, sehen ABCisten daher mit Skepsis.
Der Autor ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter beim Berliner Informationszentrum für Transatlantische Sicherheit.