Berliner Tschetschenenmord: Maas weist russische Diplomaten aus
Bundesanwaltschaft übernimmt Ermittlungen
Das Auswärtige Amt in Berlin hat heute zwei russische Diplomaten zu unerwünschten Personen erklärt. Zur Begründung dieser Maßnahme heißt es, die beiden Botschaftsmitarbeiter hätten "trotz wiederholter hochrangiger und nachdrücklicher Aufforderungen nicht hinreichend bei der Aufklärung des Mordes" an Selimchan Changoschwili mitgewirkt.
Changoschwili wurde am 23. August wurde im Kleinen Tiergarten in Berlin-Moabit mit einer schallgedämpften Neun-Millimeter-Glock 26 durch einen Kopfschuss getötet. Der 41-jährige war georgischer Staatsangehöriger, aber ethnischer Tschetschene aus dem Pankissital. Im zweiten Tschetschenienkrieg hatte er eine Separatisteneinheit in dieser russischen Teilrepublik kommandiert.
2016 stellte Changoschwili in Deutschland einen Antrag auf Asyl, den er damit begründete, dass ihm der russische Staat nach dem Leben trachte und ihn sein Heimatland Georgien nicht schützen könne. Das Bundeskriminalamt stufte ihn nach der Sichtung seiner Angaben zwei Jahre lang als islamistischen Gefährder ein. Fragen, warum sie diese Einstufung änderte, lässt die Behörde unbeantwortet.
Bislang schwache Indizien
Der Mann, der Changoschwili mutmaßlich erschoss, wurde bereits kurz nach der Tat gefasst, weil Teenager beobachteten, wie er sein zweirädriges Fluchtfahrzeug in der Spree versenkte. Er besaß einen russischen Pass, der auf den Namen "Vadim S." ausgestellt war und schwieg gegenüber den Ermittlungsbehörden, die bislang keine persönliche Verbindung zwischen ihm und dem Tschetschenen fanden. Mit diesem Pass bekam er trotz einer falschen Adressangabe ein Schengen-Visum.
Bereits unmittelbar nach der Festnahme dieses Verdächtigen spekulierten Medien, ob es sich bei der Tat um einen russischen Staatsauftrag handeln könnte. Die russische Staatsführung wies diese Spekulationen zurück.
Die diplomatische Betreuung des Untersuchungshäftlings durch russische Konsulatsangehörige, auf die die Wochenzeitung Die Zeit in ihren Mutmaßungen verwies, war für einen russischen Staatsauftrag ein eher schwaches Indiz. Sie ist international üblich und wird auch deutschen Verdächtigen im Ausland gewährt. Ähnlich wenig aussagekräftig waren eine in seinem Schengen-Antrag angegebene Telefaxnummer, die zu staatsnahen Energiefirmen führen soll, und der Erstverkauf der Tatwaffe nach Estland, das damals - 1986 - noch zur Sowjetunion gehörte.
[Update: Die Zeit hat inzwischen richtiggestellt, dass die Tatwaffe erst 1996, und nicht schon 1986 nach Estland verkauft wurde.]
Achtzigprozentige Ähnlichkeit
Nun hat die deutsche Bundesanwaltschaft die Ermittlungen übernommen. Berichten des Nachrichtenmagazins Der Spiegel und der Süddeutschen Zeitung nach leitet sie ihren "Anfangsverdacht" einer ausländischen staatlichen Beteiligung an der Tat aus einem neuen Indiz ab: Einer angeblich achtzigprozentige Wahrscheinlichkeit, dass es sich bei Vadim S. um einen aus Kasachstan kommenden ethnischen Russen namens Vadim K. handelt, nach dem in Russland zwischen 2013 und 2015 gefahndet wurde.
Ein mögliches Motiv für einen staatlichen russischen Auftrag zur Tötung Changoschwilis ist das Ausschalten einer Person, von der man glaubte, dass von ihr weiterhin eine Terrorgefahr ausgeht. Ein anderes wäre eine Bestrafung für in der Vergangenheit begangene Delikte auf dem "kurzen Rechtsweg". Und ein drittes behauptete ein georgischer Informant gegenüber dem US-Portal Daily Beast. Ihm zufolge war der Tschetschene als georgischer Agent tätig und lieferte in diesem Rahmen neben Informationen über kaukasische Islamisten auch solche über russische Aktivitäten.
In diesem Zusammenhang soll er einen vorher für die Russen tätigen georgischen Tschetschenen zu einem heimlich für die CIA tätigen Doppelagenten "umgedreht" haben. Sollte das tatsächlich zutreffen, ist unwahrscheinlich, dass der Fall noch von Polizisten - und nicht erst von Historikern - aufgeklärt wird. In so einer Konstellation hätten nämlich alle beteiligten Akteure potenziell andere und vorrangigere Interessen als das öffentliche Präsentieren einer objektiven Wahrheit.