Besessenheit und Geschlechtsgemeinschaft

Über das Recht auf Beischlaf in Afghanistan und Deutschland

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"Alle sind sie besessen von der Frau" - das, so der aus Marokko stammende Schriftsteller Tahar Ben Jelloun, hätten die "raffiniertesten und perversesten Begehrlichkeiten aller fundamentalistischen Fanatiker weltweit" gemeinsam. Wohlgemerkt: Die Zugehörigkeit zu dieser oder jener Religion schließt für ihn den Fanatismus nicht aus.

In seinem Kommentar, der vor ein paar Tagen in der französischen Zeitung Le Monde erschien, macht er schon im zweiten Satz klar, dass er nicht nur diejenigen zu den Fundamentalisten-Fanatikern zählt, die eine Frau gegen ihren Willen besitzen wollen, sondern auch die anderen, die die Empfängnisverhütung und das Präservativ verbieten. Die Anspielung auf den Papst und die katholische Kirche ist ebenso deutlich wie auf die Ehegesetze, die sich auf islamische Gesetze berufen, die in der jüngsten Zeit in der westlichen Öffentlichkeit für große Erregung gesorgt haben.

Ob das nun der jüdische Glaube sei, der Katholizismus oder der Islam, alle Fundamentalisten, so der Schriftsteller und Psychotherapeut würden "vor dem Körper der Frauen zittern", "Angst vor dem anderen Geschlecht" haben und mit der Gewalt eines Frustrierten oder eines von der Sexualität Verstörten reagieren. Darum drehe sich alles.

Das Projekt der Taliban definiert sich nach seiner Auffassung wesentlich über diese Kernidee der Herrschaft von Männern über Frauen. Wenn der afghanische Präsident Karsai seine Unterschrift unter ein Ehegesetz setze, das von schiitischen Frauen verlange, dass sie sich im Zweifelsfall auch gegen ihren Willen dem Ehemann sexuell zur Verfügung stellen müssen, signalisiere Karsai, dass er von den Taliban als eine Person wahrgenommen werden wolle, die sich ihrer Sache annähern könne. Dem Westen gegenüber präsentiert sich Karsai gleichzeitig aber auch als jemand, der dessen aufgeklärte Wertvorstellungen gutheißt. Nachdem das neue Ehegesetz im Westen für Empörung gesorgt hatte, hat Karsai sein Placet zurückgezogen. Eine derartige Ambivalenz in der Haltung verbietet sich nach den Ausführungen Ben Jellouns, für Karsai und besonders für den Westen - denn die Begehrlichkeiten der Taliban ziehen zwangsläufig die Barabarei nach sich.

Der Geistliche Mohammad Asif Mohseni, der in Afghanistan immer wieder als Repräsentant der schiitischen Minderheit auftritt, bezeichnete, die Kritik aus dem Ausland glasklar als "unzulässige Einmischung". Er sprach sich erneut deutlich für das Recht des Mannes auf den Beischlaf aus:

Wenn die Frau nicht krank ist und kein anderes Problem vorliegt, dann ist es das Recht des Mannes, Sex zu verlangen.

Ein Eintrag, gefunden in einem deutschen Afghanistan-Forum, dürfte die ersten Reflexe, die man hierzulande auf solche Aussagen hin entwickelt, etwas dämpfen. Ein Moderator zitiert darin aus einer juristischen Diplomarbeit, die sich mit dem Thema "Vergewaltigung in der Ehe" beschäftigt. Herausgehoben wird aus der Arbeit ein Passus überschrieben mit "Verpflichtung zum Geschlechtsverkehr nach § 1353 BGB" (Punkt 5.2):

Eine Verpflichtung der Ehefrau zum Beischlaf wird zwar in diesem Gesetz nicht ausdrücklich erwähnt, doch wird sie traditionell dem Wesen der Ehe zugesprochen. Der BGH ging im Urteil von 1966 noch soweit, zu erklären, die Ehe fordere nicht nur die Teilnahme der Ehefrau am Geschlechtsverkehr mit ihrem Ehemann, "Vielmehr fordere die Ehe eine Gewährung in ehelicher Zuneigung und Opferbereitschaft und verbiete es, Gleichgültigkeit oder Widerwillen zur Schau zu tragen."
Weiterhin gehöre zur ehelichen Gemeinschaft "in der Regel die ständige Wiederholung der geschlechtlichen Vereinigung". Der Partner, "dem es nicht gelingt, Befriedigung im Verkehr zu finden" solle doch "die Gewährung des Beischlafes als ein Opfer... bejahen, daß er den legitimen Wünschen des anderen um die Erhaltung der seelischen Gemeinschaft willen bringt."

Zwar machen weitere Ausführungen in derselben Diplomarbeit klar, dass es in der deutschen Rechtsordnung kein erzwingbares Recht auf Geschlechtsverkehr gibt (siehe dazu auch die Juraforum-Diskussion), aber Aussagen, wie etwa jene des CDU-Politikers Wolfgang von Stetten, früher Rechtsexperte der Bonner CDU/CSU-Fraktion, offenbaren, dass es in Deutschland auch in Teilen der politischen Elite einen anderen Bewußtseinsstand gab:

Die Ehe ist eine Geschlechtsgemeinschaft und verpflichtet grundsätzlich zum ehelichen Verkehr. Die Verweigerung von Anfang an ist unter Umständen Aufhebungsgrund, die spätere Verweigerung Scheidungsgrund. Zum ehelichen Leben gehört auch, die Unlust des Partners zu überwinden. Der Ehemann ist nicht darauf aus, ein Verbrechen zu begehen - manche Männer sind einfach rabiater.

Wolfgang von Stetten, CDU, 1995 im Rahmen der Strafrechtsänderungsdebatte zur Vergewaltigung in der Ehe

Anzunehmen, dass es auch 2007 in Deutschland noch "rabiate Männer" gibt, die erzwungenen Sex mit der Ehefrau nicht als Unrecht empfinden, geht wahrscheinlich nicht an der Wirklichkeit vorbei. Andrerseits gibt es auch in Afghanistan und Pakistan Frauen, die über Unterdrückungsmuster und -mechanismen gut Bescheid wissen, die sich auf der Höhe des Forschungsstands der Genderstudies befinden und die das von Ben Jelloun beklagte Grundübel nicht weniger scharf destillieren und kennzeichnen.

So kritisiert Afiya Shehrbano, dass die Taliban einen opportunen Schutzmantel für all jene bereiten, die als moderate Verfechter des politischen Islams für ein ähnliches Grundprinzip wie die Radikalen eintreten: Die Unterordnung der Rechte und der Freiheiten der Frauen unter religiöse Normen, die die Debatte bestimmen und die zum Maßstab für das ganze Leben werden und die Herrschaft der Männer festschreiben. Die Kette der konspirativen Nutznießer solcher Festschreibungen umfasst nicht nur die Militanten, sondern auch moderate Politiker und die unscheinbaren braven namenlosen Mitläufer:

The Taliban have simply become a cover for men to hide their own misogynist tendencies and make a mockery of institutional crimes against women routine in our society.

Die Steine und die Beschimpfungen ("Huren, Hündinnen") , die den afghanischen Frauen, die gestern in Kabul gegen die Ehegesetze protestierten, entgegenflogen, machen vor allem deutlich, wie groß die Courage der Frauen ist, die mit dem Einsatz ihrer Person gegen einen gesellschaftlichen Konsens aufbegehren. Das ist stark. Derselbe Konsens, der die Rolle der von der Kontrolle der Männer abhängigen Frau mit der Gewißheit der Tradition und religiöser Wahrheiten als Selbstverständlichkeit festlegt, hat etwa Karsai dazu gebracht, die neuen Ehegesetze für die afghanischen Schiiten zunächst zu akzeptieren - bis die Entrüstungswelle aus dem Westen eine neue Sichtung notwendig machte.