Besuch dschihadistischer Webseiten: Französischer Verfassungsrat annulliert Strafgesetz
Die Informationsfreiheit ist wichtiger, entschieden die Verfassungsweisen
Der französische Verfassungsrat hat ein Gesetz einkassiert, das den regelmäßigen Besuch von dschihadistischen Webseiten bestraft. Die Strafen, die der Artikel 421-2-5-2 des Strafgesetzbuches für die "consultation habituelle" von Webseiten, Bildern oder Messaging-Diensten vorsieht, die "direkt zur Ausführung von terroristischen Akten" oder zur Apologie derselben animieren, sind drastisch: bis zu zwei Jahre Haft und eine Geldstrafe bis zu 30.000 Euro.
Schon wenige Wochen nach Inkrafttreten des Gesetzes gab es eine Verurteilung im vollen Strafmaß (vgl Zwei Jahre Haft für den Besuch von Dschihad-Webseiten). Die Entscheidung des Verfassungsrates hebt keine bereits gesprochenen Urteile auf, aber sie verhindert weitere.
Das Gesetz sei unnötig, unangemessen und unverhältnismäßig, entschieden die Verfassungsweisen. Woran sich das Gesetz zu orientieren habe, sei die Meinungsfreiheit, die mit der Erklärung der Menschenrechte von 1789 ein Grundrecht statuiert, das in der Gegenwart den freien Zugang im Internet impliziert, weshalb die gesetzliche Maßnahmen, die dieses Grundrecht einschränken, notwendig sein müssten, angemessen und verhältnismäßig.
Die Gesetzgeber in Frankreich hätten allerdings seit Jahren eine Reihe von Gesetzen erlassen, die das Gesetz vom Juni dieses Jahres überflüssig machen. Im Zusammenhang mit den erweiterten Befugnissen der Geheimdiensten und der Strafverfolger sei ein gesetzliches Arsenal mit beträchtlichem Umfang vorhanden.
Die Exekutive konnte schon vor Erlass dieses Gesetzes Webseiten kontrollieren, ihre Besucher überwachen und sie auch bestrafen, sobald der Verdacht stark genug war, dass sie zur Tat schreiten könnten.
Die Mitglieder des Verfassungsrats sahen das präventive Moment im neuen Gesetz als in einer unmäßigen Form derart ausgebaut, dass es nicht mehr in Übereinstimmung mit dem Grundrecht der Informationsfreiheit steht.
Der Schriftsteller und Anwalt François Sureau, der als Vertreter der Liga der Menschenrechte ein Plädoyer gegen das Gesetz hielt, das als brillant bezeichnet wurde, fasste diesen Punkt so zusammen: Es sei das erste Mal, dass in Frankreich die Vermutung einer kriminellen Intention über ein rein kognitives Vorgehen als Straftat etabliert werde.
Der Verfassungsrat fand gegenüber dieser Dimension des Gesetzes den Begriff des "guten Glaubens" zu vage. Der "gute Glaube" bildet zusammen mit bestimmten beruflichen Interessen, etwa von Journalisten, eine Ausnahme im Straftatbestand "Besuch von Webseiten, die in Zusammenhang mit Terrorismus stehen". Internetnutzer, die solche Webseiten im guten Glauben aufsuchen, sind von der Bestrafung ausgenommen.
Wie weit dieser Begriff trägt, bleibe aber völlig offen, monierte der Verfassungsrat. Der Vertreter der Liga der Menschenrechte Sureau beklagte eine Traurigkeit der gegenwärtigen Zeit: "die offensichtliche Fragilität der großen Prinzipien". Die Regierungen hätten nachgegeben, ebenso die Parlamente.
Niemand in unserer Jugend, nehme ich an, hätte sich vorstellen können, dass sie so leicht nachgeben, aus Laxheit oder aus Inkonsequenz oder kalkuliert, mit Vorbedacht.
François Sureau
Die französische Nichtregierungsorganisation für digitale Bürgerrechte La Quadrature du Net freute sich über die Entscheidung des Verfassungsrates: Es sei ein Sieg der Informationsfreiheit.