Bewaffnete prorussische Kräfte besetzten Regierungsgebäude der Krim

Geschäftsführender Präsident der Ukraine kündigt Gegenmaßnahmen an. Russland gewährt dem abgesetzten Präsident Viktor Janukowitsch persönlichen Schutz

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

"Sie kamen um 4:30 oder 4:35 Uhr, ohne zu schießen", sagte ein Augenzeuge gegenüber dem ukrainischen Fernsehkanal TV 5. 30 Männer in Tarnanzügen hätten das Gebäude besetzt, in dem die Regierung und das Parlament der Krim ihren Sitz haben. Das Gebäude befindet sich im Zentrum von Simferopol, der Hauptstadt der Krim. Nachdem die Besetzer die Polizisten, welche das Gebäude bewachten, auf die Straße gedrängt hatten, sei noch ein Bus mit weiteren 30 bewaffneten Männern vorgefahren. Sie hätten eine große Zahl von Taschen mit Waffen, Pistolen, Kalaschnikows, Scharfschützen-Gewehre und Granatwerfern ausgeladen und in das Gebäude gebracht.

"Das waren bestimmt Desantniki (Landetruppen)", meinte ein weiterer Augenzeuge gegenüber dem Fernsehkanal. Ein Mann, der sich mit Freunden vor dem Gebäude befand, erklärte freudestrahlend, die Besetzer seien "Russen". Er und seine Freunde hätten den Besetzern geholfen, die Waffen in das Gebäude zu tragen. Als Journalisten in das Gebäude gehen wollten, um Kommentare einzuholen, sei eine Lärmgranate explodiert, berichtete das Nachrichtenportal Korrespondent.net.

Der geschäftsführende Präsident der Ukraine, Aleksandr Turtschinow, erklärte in Kiew, er habe den Befehl gegeben, die Blockade des Regierungsgebäudes auf der Krim zu beenden. "Jeder Versuch, Regierungsgebäude zu besetzen, wird als Verbrechen gegen den ukrainischen Staat gewertet", erklärte Turtschinow.

Unterschiedliche Berichte über Hoheitsabzeichen

Unterschiedliche Angaben gibt es darüber, ob die Besetzer in Simferopol an ihren Tarnuniformen Hoheitszeichen trugen oder nicht. Während das ukrainische Nachrichtenportal Korrespondent.net berichtet, die Besetzer hätten das russische Wappen auf ihren Tarnanzügen gehabt, hieß es bei Radio Echo Moskau, es seien keine Hoheitsabzeichen zu sehen gewesen.

Die Besetzer des Regierungsgebäudes stellten keine Forderungen und ließen mittags Parlamentarier zu einer Sitzung in das Gebäude. Der Ministerpräsident der Krim, Anatoli Mogilew, hatte am frühen Morgen in einer Fernsehansprache mitgeteilt, dass das Regierungsgebäude von unbekannten bewaffneten Personen besetzt wurde. Mogilew rief die Bürger auf Ruhe zu bewahren und bat, sich dem Regierungsgebäude nicht zu nähern.

Zwei Tote bei Auseinandersetzungen zwischen Russen und Krim-Tataren

Am Mittwoch war es vor dem Gebäude zu Gedrängel und Schlägereien zwischen Tausenden prorussischen Demonstranten auf der einen und Krim-Tataren auf der anderen Seite gekommen. Die Krim-Tataren, die von Stalin 1944 nach Zentralasien deportiert wurden und 1989 auf die Halbinsel zurückkehrten, stellen heute mit 12,1 Prozent die drittgrößte Bevölkerungsgruppe auf der Krim. Auf der Halbinsel leben heute zwei Millionen Menschen. Der Anteil der Russen an der Gesamtbevölkerung liegt bei 58,5 %, der Anteil der Ukrainer bei 24,4 %. Bei dem Gedrängel am Mittwoch starben zwei Menschen. 35 Personen wurden verletzt.

Das Oberhaupt der moslemisch geprägten russischen Teilrepublik Tatarstan, Rustam Minnichanow, rief die Krim-Tataren auf, alles für das friedliche Zusammenleben mit den Russen zu tun.

Am frühen Vormittag kam es auf der Krim noch zu einem weiteren Zwischenfall. Ukrainische Internetmedien berichteten von sieben Schützenpanzerwagen ohne Hoheitsabzeichen, die Richtung Simferopol unterwegs seien. Angeblich sollten die Schützenpanzer den Schutz von Objekten der russischen Schwarzmeerflotte sicherstellen, drehten dann aber nach Gesprächen mit Vertretern von nicht näher genannten Sicherheitsstrukturen um.

Der geschäftsführende Präsident der Ukraine, Aleksandr Turtschinow, der jetzt auch Oberkommandierender der ukrainischen Streitkräfte ist, rief die Angehörigen der in Sewastopol (Krim) stationierten russischen Schwarzmeerflotte auf, das Territorium des Flottenstützpunktes nicht zu verlassen. "Jede Bewegung von Militärs außerhalb der Grenzen dieses Territoriums wird als militärische Aggression bewertet." Die Ukraine sei in der Lage ihre Unabhängigkeit zu schützen.

Viktor Janukowitsch bittet Russland um persönlichen Schutz

Unterdessen meldete die russische Nachrichtenagentur Interfax, dass der abgesetzte Präsident der Ukraine Viktor Janukowitsch Russland um persönlichen Schutz gebeten habe. In einer persönlichen Erklärung erklärt der abgesetzte Präsident, dass er und seine Berater bedroht würden. Er sei deshalb "gezwungen", Russland um "persönlichen Schutz vor den Handlungen von Extremisten" zu bitten.

Heute Mittag berichtete die Nachrichtenagentur unter Berufung auf "eine Quelle in der russischen Macht", dem Gesuch von Janukowitsch sei "auf dem Territorium der Russischen Föderation" stattgegeben worden. In einer weiteren Erklärung von Janukowitsch, bekundete der abgesetzte Präsident, er werde alles dafür tun damit die Ukraine über einen Kompromiss einen Weg aus der schweren politischen Krise findet.

In den letzten zwei Wochen wurden im ukrainischen und russischen Internet mehrere Videos veröffentlicht, die Akte von Selbstjustiz gegen Mitglieder der Partei der Regionen auf öffentlichen Plätzen in der Westukraine dokumentieren. So war am 19. Februar in der Stadt Luzk der amtierende Gouverneur Aleksandr Baschkalenko, der auch Mitglied der Partei der Regionen ist, auf einem Platz in der Stadt auf die Knie gezwungen und danach in Handschellen gelegt worden. Baschkalenko sollte seinen Rücktritt unterschreiben, weigerte sich aber.

Am 26. Februar veröffentlichte die Moscow Times eine Video auf dem zu sehen ist, wie aus Kiew zurückgekehrte Polizisten der Spezialeinheit Berkut in Lviv (Lemberg) auf einer öffentlichen Veranstaltung mit gesenkten Köpfen und auf den Knien Abbitte für die Unterdrückung der Demonstranten auf dem Maidan leisteten. Der Vorsitzende der russischen Partei "Gerechtes Russland", Sergej Mironow, erklärte am Dienstag, man solle den Polizisten der - inzwischen aufgelösten - Spezialeinheit Berkut die Eingliederung in die russische Polizei anbieten.