Bezeichnung "politischer Islam": Für eine konstruktive Debatte zu diffus
In Österreich sorgt die Ankündigung einer neuen Dokumentationsstelle zu religiös motivierten politischen Extremismus für Diskussionen
In Österreich sorgt die Ankündigung einer neuen Dokumentationsstelle für Skepsis. Integrationsministerin Susanne Raab von der ÖVP kündigte an, dass es das Ziel der Dokumentationsstelle sei, "Informationen über religiös motivierten politischen Extremismus" zu sammeln und wissenschaftlich zu erforschen, wobei sie explizit dem "politischen Islam" den Kampf angesagt hat.
Die Islamische Glaubensgemeinschaft in Österreich (IGGÖ) hat hierzu eine kritische Haltung: Einerseits ist die IGGÖ der Meinung, dass in einer solchen Dokumentationsstelle jeglicher religiös motivierte Extremismus betrachten werden sollte (nicht ausschließlich der Extremismus von Muslimen) und andererseits liege vonseiten der Regierung und den Mitwirkenden der Dokumentationsstelle keine klare Definition für die Bezeichnung "politischer Islam" vor.
Auch von nichtmuslimischer Seite gibt es Kritik. So betont der Grazer Religionswissenschaftler Franz Winter die Wichtigkeit einer genauen Definition, da sonst die Gefahr bestehe, dass man Muslime pauschal verunglimpfen könne.
Zwischen Kritik und Mutmaßungen
Der islamische Theologe Mouhanad Khorchide, Leiter des Zentrums für Islamische Theologie an der Westfälischen Wilhelms-Universität in Münster, wirkt als Berater beim Aufbau der Dokumentationsstelle mit. Auch er gibt zu, dass die Bezeichnung "politischer Islam" präzisiert werden müsse. Gleichzeitig betont er jedoch die Gefahr, die von den Vertretern des politischen Islam ausgehe.
Es handele sich hierbei jedoch nicht um die islamische Religion, die im Forschungs-Fokus der neuen Einrichtung stehe, sondern um eine "menschenfeindliche Ideologie, die die Herrschaft im Namen des Islam anstrebt", wie Khorchide in einem Interview sagt.
Unlängst hat Khorchide sein neues Buch mit dem Titel "Gottes falsche Anwälte: Der Verrat am Islam" veröffentlicht, wo er davor warnt, dass der politische Islam sogar gefährlicher als der gewaltbereite Dschihadismus sei, da dessen Vertreter subtiler agieren würden. Anhand von zahlreichen Beispielen versucht er ein Bild davon zu zeichnen, was er unter "politischen Islam" versteht, wobei hier deutlich wird, dass er den Begriff nicht wirklich eingrenzen kann oder will.
Die Konsequenz ist, dass man so gut wie jeder Muslima/jedem Muslim vorwerfen könnte, ein Anhänger/eine Anhängerin des "politischen Islam" zu sein, um sie/ihn zu diffamieren. Im Buch wird zwar betont, dass die Ideologie sich in unterschiedlichen Formen zeigen würde, jedoch ist stets vom "politischen Islam" im Singular die Rede, der das Ziel habe, die Menschen und die Gesellschaft zu kontrollieren.
In diesem Zusammenhang soll nicht abgestritten werden, dass es Menschen gibt, die sehr wohl ein solches Verständnis vom Islam haben und die islamischen Quellen selektiv dafür missbrauchen, um andere zu unterdrücken. Selbstverständlich muss ein solches Vorgehen abgelehnt werden. Das Problem ist jedoch, dass Khorchide seine Argumentation teils auf Mutmaßungen aufbaut.
Unter Verdacht: Integration als bloße "Fassade"
Er beschreibt, dass die Anhänger des politischen Islam (im Gegensatz zum Klischeebild des Salafisten) häufig gut integriert, gut ausgebildet und zivilcouragiert sind, wobei sie sich auch zu Europa bekennen und sich vom Extremismus abgrenzen würden. Doch all diese Eigenschaften seien Khorchide zufolge lediglich eine Fassade, um den Machteinfluss zu erweitern. Bewusst oder unbewusst stellt Khorchide Muslime hierdurch unter Generalverdacht. Ihre Partizipation in der Gesellschaft sei lediglich ein Mittel zum Zweck.
Oftmals wird von Muslimen verlangt, dass sie sich klar und deutlich positionieren und sich vom Extremismus abgrenzen sollen. Wenn sie dies dann tatsächlich tun und sich in der Gesellschaft sozial engagieren, zeigt sich Herr Khorchide immer noch skeptisch und spekuliert, ob diese Positionierung tatsächlich ernst gemeint ist. Dadurch, dass er davon absieht, konkrete Namen oder Institutionen zu nennen, bei denen er seine Skepsis für gerechtfertigt hält, fördert der Theologe aus Münster das Misstrauen gegenüber Muslimen im Allgemeinen.
Dabei ist dies genau jene Herangehensweise, die er bei den vermeintlichen Vertretern eines "politischen Islam" in seinem neuen Buch kritisiert. Diese würden nämlich vermehrt in ihrer Rhetorik pauschale Begrifflichkeiten wie "der Westen" oder "der weiße Mann" verwenden, um die europäische Mehrheitsbevölkerung als Täter und Unterdrücker zu Brandmarken. Für eine konstruktive Debatte ist die Verwendung von solchen Begrifflichkeiten tatsächlich nicht zielführend.
Pauschalisierung und Mangel an Differenzierung
Weiters stellt sich die Frage, ob Khorchide durch seine Thesen die Veränderung im islamisch-theologischen Denken bewirkt, die er sich erhofft, wenn er behauptet, dass die meisten Muslime in der Gegenwart einer manipulierten Version des Islam angehören, die von den ursprünglichen Vorstellungen des Propheten Muhammad gänzlich abweicht.
Die meisten Ausprägungen des Islam seien demnach ein Resultat der muslimischen Herrscher und Gelehrten, die die Macht bereits unmittelbar nach dem Tod des Propheten an sich rissen und den Islam hauptsächlich dafür eingesetzt haben sollen, um ihre Herrschaft zu festigen.
Zweifelsohne ist dies eine interessante These, die Khorchide hier aufstellt und allgemein äußert er in seinem Buch in vielerlei Hinsicht auch berechtigte Kritik, wenn es beispielsweise darum geht, dass es in vielen österreichischen und deutschen Moscheen zu wenig um die Subjektorientierung und Spiritualität geht. Doch die berechtigten Kritikpunkte drohen, so befürchte ich, durch Pauschalisierung und einem Mangel an Differenzierung vonseiten des Autors unterzugehen.
Aus diesem Grund verwundert auch die Skepsis gegenüber der Dokumentationsstelle nicht besonders. Zu diffus ist die Bezeichnung "politischer Islam". Da nützt es auch nichts, wenn man andauern betont, dass nicht die islamische Religion im Fokus der Einrichtung liege. Denn Khorchide behauptet ja selbst, dass die meisten Muslime Irrlehren folgen würden, die mit dem eigentlichen Islam nicht zu tun haben.
Insofern kann man (um es provokant zu sagen und die Nutzlosigkeit der Bezeichnung auf den Punkt zu bringen) auch Khorchide selbst vorwerfen ein Anhänger eines "politischen Islam" zu sein, denn er behauptet ja selbst, dass er zu den Wenigen gehört, die den "eigentlichen Islam" verstanden haben und entscheidet somit gemeinsam mit Integrationsministerin Raab darüber, welche Handlung als religiös-politischer Extremismus zu werten ist und welche nicht.
Nun kann jeder dem anderen vorwerfen Anhänger des "politischen Islam" zu sein, wodurch letztendlich keine konstruktive Diskussion zustande kommen kann, um Missstände zu beheben.