Big Brother für jeden
Die kleinen Brüder für den Hausgebrauch: Überwachungskameras mit Internet-Anschluss als Babysitter oder Detektiv
IP-Kameras erobern zunehmend den Markt. Mit ihrer Hilfe übertragen Kirchen ihre Gottesdienste ins Internet, Fernuniversitäten unterrichten ihre Studenten virtuell oder sie ermöglichen problemlose Videokonferenzen. Vor allem sind sie aber der neue Verkaufsschlager in der Überwachungstechnik.
Kameras mit Internet-Protokoll-Fähigkeit, kurz IP-Kameras sind weit mehr als schlichte Webcams, denn sie haben bereits kleine Computer in sich integriert, die die Bilder in netzkompatible Protokolle umsetzen: Über Telefon- oder Funkverbindungen geben sie autonom ihre bewegten Bilder direkt an Netzwerke, ins Intranet oder Internet weiter, wobei Standard-Browser genutzt werden.
Mit einer solchen Kamera und einer Internetverbindung kann jeder von überall sein Zuhause, das Büro oder auch den Hühnerstall überwachen. Sobald er die Adresse der Kamera anwählt und eventuell noch sein Passwort eingegeben hat, strömen die Videobilder in Echtzeit auf seinen Bildschirm.
Viele Millionen Euro
Das Sicherheitsbedürfnis der Menschen ist groß in diesen unsicheren Zeiten (Überwachung? Ja, bitte!). Die digitalen Augen liegen voll im Trend, ob nun in Kaufhäusern, öffentlichen Plätzen, Schulen oder Parkgaragen (Wie eine Seuche). Aber auch im privaten Bereich wächst das Interesse an Sicherheitstechnik, ob nun eine Firma ihren Eingangsbereich überwacht oder der Besitzer einer Villa sein Eigentum.
IP-Kameras sind einfach zu handhaben, kommen ohne aufwändige Verkabelung aus und sie liefern hochauflösende Bilder. Das macht sie auch für Besitzer kleiner Firmen oder Privatleute attraktiv. Entsprechend verkaufen sie sich immer besser. Nach Angaben des Marktforschungsinstituts IMS Research sollen die IP-Kameras bald einen Anteil von 20 Prozent im Überwachungsmarkt haben (heute liegt er noch bei 5 Prozent) und bis 2008 Jahresumsätze von mehr als 375 Millionen Euro einfahren. Gegenüber dem Magazin Wired erklärte Simon Harris, ein IMS-Analyst:
"Das wird ohne Zweifel einer der größten Trends im Überwachungsmarkt in den nächsten Jahren. Die Firmen, die keine guten Produktangebote für die (Internet-) Netzwerküberwachung haben, werden Marktanteile verlieren."
Marktanalysen von Frost & Sullivan oder J.P. Freeman setzen schon für 2005 die Jahresumsätze der Netzwerk-Kameras auf mehr als 420 Millionen Euro an. Das umfasst natürlich alle Einsatzmöglichkeiten der Technologie. Für viele Käufer steht Sicherheit aber deutlich im Vordergrund des Interesses. Pablo Gomez von Teletime in New York erläutert:
"Die meisten unsere Kunden nutzen die Netzwerk-IP-Kameras für Sicherheitsanwendungen. Wir haben sogar Immigranten, die hier leben und die Kameras kaufen, um Familienläden und Geschäfte im Ausland zu beobachten."
Babysitter oder digitaler Detektiv
Die Anwendungsmöglichkeiten für IP-Kameras im Sicherheitsbereich sind sehr unterschiedlich. Eltern können sie als digitalen Babysitter einsetzen: In Verbindung mit einem Geräuschsensor schlägt das System Alarm, wenn das Kleinkind anfängt zu schreien und auf dem Bildschirm wird sofort sichtbar, ob es aus dem Bett gefallen ist oder nicht. Genauso gut kann ein ganzer Gebäudekomplex mit Innen- und Außenkameras überwacht werden, Bewegungsmelder sorgen dann für Alarm, wenn ein Einbrecher die Treppe hinauf schleicht. Falls die Videobilder zeigen, dass es doch nur eine Katze war, braucht kein Wachmann auszurücken.
IP-Kameras können natürlich überall verwendet werden, wo heute schon analoge Überwachungskameras im Einsatz sind. Der Vorteil ist, dass sie ihre Daten problemlos in Echtzeit auch rund um die Welt transportieren, solange dort ein Internetanschluss vorhanden ist. Zunehmend sollen die Videobilder auch mit PDAs und Handys abrufbar sein. Wenn also Herr Müller zukünftig am Ballermann auf Mallorca sitzt, kann er trotzdem seine Angestellten ständig über sein Funktelefon beobachten oder Frau Schulze kann per Laptop von Rimini aus kontrollieren, ob ihre Kinder pünktlich aufstehen und zur Schule gehen. Wer allerdings nicht für die Videoüberwachungssoftware bezahlt hat, sollte sich hüten, sie zu nutzen, sonst überführt er sich ganz schnell selbst per Liveschaltung (Wer anderen eine Videogrube gräbt...).
Mit zunehmender Internet-Nutzung und Akzeptanz steigt auch das Interesse an IP-Kameras. Auf dem Markt sind bereits eine Vielzahl von Modellen, Marktführer weltweit ist nach eigenen Angaben immer noch die schwedische Firma Axis, die schon 1996 die erste direkt in ein Netzwerk einbindbare Farbkamera für Internet oder Intranet-Systeme anbot. Es gibt aber auch viele kleine Anbieter und wer sich eine dieser Überwachungskameras anschaffen will, ist ab etwa 150 Euro dabei.
Die neuen Kameras haben natürlich die gleichen Tücken wie klassische Webcams, beispielsweise wenn die User vergessen, sie rechtzeitig abzuschalten (Sex-Unfall mit der Webcam). Außerdem bieten sich immer noch die gleichen Missbrauchsmöglichkeiten wie bei der herkömmliche Videoüberwachung; Beispiele dafür sind das Ausspionieren der Beschäftigten in einer Firma, oder die Aufnahme von Bildern aus Umkleidekabinen in Warenhäusern, die sich dann auf einschlägigen Seiten im Netz wiederfinden.
IP- und Funknetze sind komfortabel, doch nicht sicher vor "Schwarzsehern"
IP-Kameras kommen allerdings ohne den herkömmlichen Aufwand der CCTV-Systeme (closed circuit television systems) aus, sie sind kostengünstiger und mobiler, was sicher in Zukunft noch zu bisher ganz ungeahnten und auch illegalen Einsatzsituationen führen wird. Es besteht zum Beispiel heute schon die Möglichkeit, sie irgendwo aufzustellen und das Live-Video über einen drahtlosen Adapter oder ein Funktelefon ins Netz einzuspeisen.
Durch die Übertragung der Videobilder über Funk und in Netzwerke ist zudem mit Abhör- und Hackerangriffen zu rechnen, im Zweifelsfall schaut dann der Einbrecher selbst schnell nach, wo die Kameras in der Villa genau installiert sind und ob die Luft rein ist.