Bilder von Kriegsopfern unerwünscht
Nach Ansicht der "Freiwilligen Selbstkontrolle der Multimedia-Diensteanbieter" dürften, wie es in einem Brief an Telepolis wegen eines beanstandeten Fotos eines Kriegsopfers heißt, keine "Gewaltdarstellungen" veröffentlicht werden
Krieg ist die organisierte Tätigkeit von vielen dazu ausgebildeten, mit der besten verfügbaren Technik ausgestatteten Soldaten, um im Dienste eines Landes die jeweiligen Gegner in einem Angriffs- oder Verteidigungskrieg zu töten, um den Widerstand zu brechen. Seit Guernica und dem Zweiten Weltkrieg werden dabei auch Städte bombardiert. Dabei werden unvermeidbar auch Zivilisten, also Kinder, Frauen und Männer, die keine Waffen tragen und nicht kämpfen, zum Opfer der Bomben - wirklichkeitsverzerrend "Kollateralschaden" genannt. Das ist auch der Fall, wenn Präzisionsbomben eingesetzt werden. Berichte über den Krieg können und müssen über die Opfer berichten, um ihrer Informationspflicht nachzukommen. Und damit die Menschen, die sich, egal ob als Kriegsbefürworter oder -gegner, über den Krieg informieren, kein falsches oder beschönigtes Bild erhalten, müssen sie zumindest gelegentlich auch die Folgen sehen können.
Das aber, so meint die "Freiwillige Selbstkontrolle der Multimedia-Diensteanbieter" (FSM), geht zu weit und sei nach deutschem Gesetz verboten. Man darf offenbar zwar Kriege führen, wobei Menschen getötet, verstümmelt und verletzt werden, aber man darf keine Bilder darüber veröffentlichen, da sie "Gewaltdarstellungen" enthalten. Sollen also, wenn schon Kriege stattfinden, wenigstens die deutschen Online-Medien eine heile Welt bleiben?
Ein Krieg ist, wie gesagt, staatlich oder gesellschaftlich organisierte Gewalt. Und der Zweck der Kriegsführung ist neben der wie immer auch gezielten oder großflächigen Zerstörung von gegnerischen Stellungen oder der gegnerischen Infrastruktur die Tötung von Menschen. Dass bei einer Bombardierung von Städten die Menschen - Zivilisten oder Soldaten -, die deren Opfer werden, nicht durch saubere Einschusslöcher wie in vielen Krimis oder Kriegsfilmen sterben, sondern grausam und zerstümmelt oder zerfetzt werden können, ist schrecklich. Aber es ist eine Folge des Kriegs, wird von den Kriegsparteien in Kauf genommen und muss von freien und unabhängigen Medien in freien Ländern berichtet und gezeigt werden können. Nicht um Gewalt zu verherrlichen, sondern schlicht um darüber aufzuklären, was die Folge von Kriegen ist. Das gehört zu einer Berichterstattung, die wahrheitsgetreu zu sein versucht. Und manchmal müssen wir etwas sehen, um uns auch etwas vorstellen und damit eine angemessene Einschätzung von realen Ereignissen machen zu können.
Das aber scheint nicht die Ansicht der "Freiwillige Selbstkontrolle der Multimedia-Diensteanbieter" (FSM) zu sein, die ein Beschwerde über ein einziges (!) Bild in einem Telepolis-Artikel (Bombenzensur oder "Kollateralschaden"?) über den Krieg im Irak erhalten hat, "auf dem ein Junge mit Kopfschuss" abgebildet ist. Der Beschwerdeführer, so die FSM, wirft Telepolis deswegen "die Verbreitung und Veröffentlichung von Gewaltdarstellungen über die Online-Dienste vor". Die FSM schreibt, dass "eine erste Sichtung" ergeben habe, "dass Sie möglicherweise Gewaltdarstellungen veröffentlichen. Auch wenn man das Berichterstattungsprivileg von § 131 Abs. 3 StGB miteinbezieht, dürften hier die Grenzen überschritten worden sein." Nun also soll, was hiermit geschieht, Telepolis dazu Stellung nehmen "oder der Beschwerde von selbst abzuhelfen, indem Sie das Bild aus dem Angebot nehmen".
Der Verein FSM wurde 1997 von Verbänden gegründet, die Unternehmen repräsentieren, die im Internet und anderen Netzen Dienstleistungen anbieten. Auch der Heise-Verlag ist Mitglied. Zweck des Vereins ist, die "Verbreitung rechtswidriger und jugendgefährdender Inhalte in Online-Diensten" zu verhindern. Nach dem Mediendienste-Staatsvertrag müssen Online-Diensteanbieter einen "Jugendschutzbeauftragten" haben, wenn ihre Angebote jugendgefährdende Inhalte enthalten können. Um dies nicht machen zu müssen, kann sich der Anbieter einer Organisation der Freiwilligen Selbstkontrolle wie der FSM anschließen. Die FSM hat eine Beschwerdestelle, an die sich jeder wenden kann. Allerdings soll, wie es bei der FSM heißt, ein "sogenannter Vorprüfer den Sachverhalt so gut wie möglich" aufklären. Der beanstandete Anbieter erhält die Möglichkeit zur Stellungnahme. Dann kann die Beschwerde an eine unabhängige Beschwerdestelle weiter geleitet werden. Die FSM kann, sollte die Beschwerde begründet sein und der Anbieter die beanstandeten Inhalte nicht entfernt hat, Sanktionen verhängen oder den Diensteanbieter aus dem Verein ausschließen.
Gewaltdarstellungen, Kriegsbereichterstattung und das deutsche Recht
Vorneweg gesagt: Tatsächlich, das Bild ist schrecklich, und es wurde von mir nach längeren Überlegungen - und ausnahmsweise, weil wir hier sehr zurückhaltend sind - unter noch weitaus schrecklicheren Bildern von Kriegs- und Bombardierungsopfern ausgewählt. Damit sollte kein Sensationsjournalismus auf Kosten der wirklichen Opfer betrieben werden. Da es aber in dem Artikel genau über das Thema ging, dass die Veröffentlichung von bestimmten Bildern im Krieg von manchen Parteien nicht gewünscht wird - in diesem Fall von der US-Armee -, hatte ich zu den zwei umstrittenen Bildarten jeweils ein Bild ausgesucht.
Sinn der erwünschten Zensur von Medieninhalten durch eine Kriegspartei ist natürlich, dass Bilder von Opfern, die diese mit zu verantworten hat, nicht erwünscht sind, weil verständlicherweise ein sauberer Krieg mit Präzisionsbomben und weitestgehender Schonung der Zivilisten "verkauft" werden soll. Und weil man hier vermutlich so weit gegangen ist, auch den Sender al-Dschasira, der solche Bilder verbreitet hat, zu bombardieren, wie dies schon einmal im Afghanistan-Krieg in Kabul geschehen ist, um weitere Veröffentlichung derartiger Bilder durch Androhung und Ausübung von Gewalt zu verhindern, ist es meines Erachtens angemessen, den Lesern zu zeigen, weswegen der Tod eines Journalisten zumindest in Kauf genommen wurde. Wohl auch deswegen, weil Bombenopfer nicht "schön" anzusehen sind und so eine Stimmung gegen die Berechtigung des Kriegs oder gegen Krieg überhaupt entstehen kann.
Es erstaunt daher beispielsweise schon, dass die Beauftragte der FSM-Beschwerdestelle, die den Artikel "gesichtet" hat, überhaupt zu der Meinung kommen konnte, dass hier die Grenzen des "Berichterstattungsprivilegs" überschritten worden seien. Absatz 3 ist deutlich und eigentlich unmissverständlich: "Die Absätze 1 und 2 gelten nicht, wenn die Handlung der Berichterstattung über Vorgänge des Zeitgeschehens oder der Geschichte dient." Ein Krieg ist wohl doch ein Vorgang des Zeitgeschehens - ebenso wie seine Opfer.
In dem Brief wird auch nicht näher begründet, warum das Bild nicht veröffentlicht werden dürfte, sondern es wird fälschlicherweise suggeriert, als dürften überhaupt keine "Gewaltdarstellungen" veröffentlicht werden. Das würde tatsächlich das Ende von Nachrichten bedeuten, die Bilder zeigen - oder vielleicht auch nur verbal oder schriftlich darüber berichten? In dem Brief steht im Wortlaut ohne jede Einschränkung: "Sowohl nach dem neuen Jugendmedienstaatsschuztzvertrag als auch dem Strafgesetzbuch dürfen Gewaltdarstellungen nicht veröffentlicht werden werden." Man könnte fast die Vermutung erhalten, dass die Beauftragte der FSM-Beschwerdestelle ihre Aufgabe darin sieht, sicherheitshalber zu versuchen, alle beanstandeten "Gewaltdarstellungen" entfernen zu lassen, um so der "Beschwerde von selbst abzuhelfen". Würde jede Beschwerde dazu führen, sicherheitshalber schon mal die beanstandeten Inhalte zu entfernen, dann wären zumindest bei deutschen Online-Medien die Berichterstattung (und Pressefreiheit) gefährdet. Auch eine Freiwillige Selbstkontrolle erfüllt nur dann ihren Zweck, wenn sie nicht einfach Beschwerden mit Androhung von möglichen Sanktionen weiter leitet, sondern zuerst einmal prüft, ob dies auch notwendig ist. Das hat hier, wenn einfach nur auf ein angebliches Verbot der Veröffentlichung von Gewaltdarstellungen verwiesen wird, offenbar nicht stattgefunden.
Das Bild im Kontext des Artikels, der sich unter anderem eben mit den Bildern von Opfern beschäftigt, würde auch unabhängig vom "Berichtserstattungsprivileg" nicht den § 131 verletzen. Bei diesem geht es um "Schriften", "die grausame oder sonst unmenschliche Gewalttätigkeiten gegen Menschen in einer Art schildern, die eine Verherrlichung oder Verharmlosung solcher Gewalttätigkeiten ausdrückt oder die das Grausame oder Unmenschliche des Vorgangs in einer die Menschenwürde verletzenden Weise darstellt." Auch wenn angeführt werden sollte, es würde sich bei dem Bild um eine Darstellung handeln, die die Menschenwürde (des Opfers? des Lesers) verletzt, dann müssten alle Bilder von getöteten und verletzten Menschen verboten werden. Oder sollte man sagen, dass vielleicht Schusswunden, die nur eine saubere Eintrittswunde zeigen, die Menschenwürde weniger verletzen, als wenn Waffen auf furchtbare Weise den Hinterkopf zerfetzen? Das wird in diesem Bild angedeutet, ohne tatsächlich die schreckliche Wunde zu zeigen. Oder verletzt es die Menschenwürde, weil es um ein Kind geht? Aber im Krieg werden auch Kinder zu Opfern.
Auch der Jugendschutz verbietet nicht generell Gewaltdarstellungen
Auch nach dem Jugendschutzgesetz kann die Veröffentlichung eines solchen Bildes ernsthaft nicht beanstandet werden, obgleich man durchaus darüber diskutieren könnte, ob dies in jedem Fall notwendig ist. Das aber wäre das Thema einer Diskussion und kein Gegenstand einer Zensur. Laut Jugendschutzgesetz § 15 sind "schwer jugendgefährdende Trägermedien" solche, die
1. einen der in § 86, § 130, § 130a, § 131 oder § 184 des Strafgesetzbuches bezeichneten Inhalte haben,
2. den Krieg verherrlichen,
3. Menschen, die sterben oder schweren körperlichen oder seelischen Leiden ausgesetzt sind oder waren, in einer die Menschenwürde verletzenden Weise darstellen und ein tatsächliches Geschehen wiedergeben, ohne dass ein überwiegendes berechtigtes Interesse gerade an dieser Form der Berichterstattung vorliegt.
4. Kinder oder Jugendliche in unnatürlicher, geschlechtsbetonter Körperhaltung darstellen oder
5. offensichtlich geeignet sind, die Entwicklung von Kindern oder Jugendlichen oder ihre Erziehung zu einer eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit schwer zu gefährden.
Punkt 4 und 5 entfallen, Punkt 1 wurde bereits behandelt. Dass der Artikel und das Bild auch nur in entferntester Weise den Krieg verherrlichen könnten, wäre geradezu absurd zu unterstellen. Bliebe der zweite Punkt, bei dem aber der Gesetzgeber wohlweislich wiederum die Berichterstattung ausgeschlossen hat. Auch bei der FSM wird man nicht bestreiten können und wollen, dass es hier ein "überwiegendes berechtigtes Interesse gerade an dieser Form der Berichterstattung" geben kann. "Berechtigt" ist die Veröffentlichung des Bildes allein schon deswegen, weil es ein Beleg für die Kritik ist, die von amerikanischer und britischer Regierungsseite dem Sender gegenüber geäußert wurde - und möglicherweise, wenn die ohne Vorwarnung erfolgte Bombardierung des Gebäudes absichtlich geschah, ein Kriegsverbrechen darstellt.
Die Kritik warf dem Sender übrigens weder Kriegs- noch Gewaltverherrlichung und auch keine Gewaltverharmlosung vor, sondern behauptete, er würde mit diesen Bildern Propaganda im Dienste des Hussein-Regimes machen wollen. Der Streit ist also politisch. Nur im Falle der Bilder der amerikanischen Kriegsgefangenen, von denen im Artikel auch eines veröffentlicht wurde, hat das Pentagon dem Sender und allen anderen Medien, die diese zeigen, vorgeworfen, dass dies die Genfer Konvention über den Umgang mit Kriegsgefangenen verletzen soll. Das betraf zum Einen aber die vom irakischen Fernsehen gesendeten Filme über die Befragung und zum Anderen gilt die Genfer Konvention für die Kriegsparteien, nicht aber für unabhängigen Medien.
Bleibt die nicht gesetzlich und durch Zensur regelbare Antwort auf die moralische Frage, ob Medien bei ihrer Kriegsberichterstattung überhaupt und wenn ja, welche Bilder von Toten und Verletzten zeigen sollen. Dazu kann es unterschiedliche Meinungen geben, aber ein Angriffskrieg mit der Bombardierung von Städten ist allemal verwerflicher als das Veröffentlichen einer Fotografie über ein Opfer der Gewalt. Umgekehrt müsste man freilich eher den Medien vorwerfen, dass sie den Krieg verherrlichen und die Gewalt verharmlosen, wenn sie nur Bilder der Zerstörungen und von Soldaten oder funkelndem Kriegsgerät zeigen, aber nicht von den Menschen, die ihm zum Opfer fallen, unabhängig davon, ob sie Zivilisten oder Personen sind, die sich an den Kämpfen beteiligen.