Bildungspolitik in der Sackgasse
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Dass die Hochschulräte mit dem Gesetzesvorhaben wenig bis gar nichts anfangen konnten, war absehbar. Das Protestschreiben ihrer Vorsitzenden ging sicherheitshalber nicht nur an die "sehr verehrte Frau Ministerin Schulze", sondern zeitgleich auch an die "sehr verehrte Frau Ministerpräsidentin Kraft". Die Gremienleiter der Universitäten und Fachhochschule prophezeiten hier dramatische Folgen für das Bildungssystem und machten eine folgenschwere Verlustrechnung auf.
"Wird der Gesetzentwurf umgesetzt, führt er für die Hochschulen zum:
- Verlust der planerischen Autonomie (…)
- Verlust der internen Gestaltungsfähigkeit (…)
- Verlust der Handlungsfähigkeit durch Zunahme von Bürokratie ohne Möglichkeit der personellen Kompensation (…)
- Verlust der Finanzautonomie in wesentlichen Bereichen (…)
- Verlust der Wettbewerbsfähigkeit im administrativen Bereich (…)
- Verlust der Wettbewerbsfähigkeit im wissenschaftlichen Bereich mit negativen Folgen für die Wettbewerbsfähigkeit des Wirtschaftsstandortes NRW."
Die Argumentation ähnelt in Wortwahl und Impetus den Lamenti der Arbeitgeber über die Einführung des gesetzlichen Mindestlohns: Auch die Hochschulen verlieren in der Projektion wettbewerbsentscheidende Arbeitskräfte und Auftraggeber und damit die Aussicht auf Profil und Profit.
Unsere Hochschulen werden Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler verlieren, die in anderen Ländern der Bundesrepublik Deutschland forschungsfreundlichere Bedingungen vorfinden, sie werden private Drittmittelgeber verlieren, die ihre berechtigten Firmeninteressen an Vertraulichkeit anderenorts besser gewährleistet sehen. Der Schulterschluss der Hochschulen mit Industrie und Wirtschaft ist ein wesentlicher Baustein für Innovation und wirtschaftlichen Erfolg.
Offener Brief der Hochschulräte der Universitäten und Fachhochschulen in NRW
Warum die Hochschulräte sich so wortreich um die unternehmerische Hochschule sorgen, liegt auf der Hand. Hier sitzen Führungskräfte der Bayer AG, der SIGNAL Versicherungen, der Miele & Cie. KG, der KIRCHHOFF Gruppe, des Verbandes der forschenden Pharmaunternehmen, der Hüttenwerke Krupp Mannesmann GmbH oder der T-Systems International GmbH.
Die Wissenschaftler sind in den Räten deutlich in der Überzahl. Hier und da finden sich auch Künstler, Menschen mit sozialem Engagement, der Chefredakteur der WAZ oder der Vorsitzende des Deutschen Studentenwerks. Ob sich in der Bewertung des Hochschulzukunftsgesetzes alle Mitglieder oder nur alle Vorsitzenden einig sind, ist dem Schreiben nicht zu entnehmen.
Schon der Gesetzentwurf droht, Aufbruchstimmung, Engagement und Leistungsbereitschaft auf allen Ebenen der Hochschulen zu beschädigen und ihren Rang in Forschung und Lehre zu senken. Er behindert auf das Empfindlichste die Zusammenarbeit mit Industrie und Wirtschaft.
Offener Brief der Hochschulräte der Universitäten und Fachhochschulen in NRW
Rückendeckung der Gewerkschaft und offene Fragen
"Es war ja klar, dass es Proteste gegen das Hochschulzukunftsgesetz geben wird", postete Svenja Schulze auf ihrer Facebook-Seite. Doch die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft wollte die Kritik der Hochschulräte nicht unkommentiert lassen. Schließlich habe sich die unternehmerische Hochschule Marke Pinkwart "nicht erfolgreich gegen schlechte Studienbedingungen, übervolle Hörsäle und unzureichende Arbeitsbedingungen" gestemmt. Die GEW begrüßte deshalb den Gesetzentwurf, wertete die arbeitsrechtlichen Neuerungen aber noch als "unzureichend".
Trotzdem werden sich auch die Befürworter der Reform und vor allem die Ministerin selbst fragen lassen müssen, warum weder Online-Dialoge noch zahllose Konsultationen mit Vertretern der Universitäten und Fachhochschulen ausgereicht haben, um eine auch nur halbwegs konsensfähige Novellierung auf den Weg zu bringen.
Der nächste Landtag wird aller Voraussicht nach erst 2017 gewählt. Aber wenn die Opposition den Urnengang für sich entscheidet, ist die Reform der Reform der Reform bereits absehbar. Planungssicherheit und Nachhaltigkeit sind nach wie vor - und nicht nur in Nordrhein-Westfalen - Fremdwörter für die deutsche Bildungspolitik.
Pinkwart im Einsatz oder: Wie die private unternehmerische Hochschule von öffentlichen Geldern lebt
Wenn Vorgänger die Arbeit ihrer Nachfolger kommentieren, kommt selten Erhellendes zutage. Zurückhalten mochte sich aber auch Andreas Pinkwart nicht. "Die Ministerin erkennt zwar an, dass die vergangenen Jahre erfolgreiche Jahre waren, aber den Hochschulen sollen jetzt die Freiheiten genommen werden, die sie national und international in den vergangenen Jahren so sehr nach vorne gebracht haben", monierte der Ex-Minister schon Anfang Dezember 2013.
Als Rektor einer privaten Business School könnte Pinkwart den Kollegen in der Praxis zeigen, wie eine Hochschule erfolgreich geleitet und der "Schulterschluss mit Industrie und Wirtschaft" perfektioniert wird. Die HHL, die seit Jahren rote Zahlen schreibt, obwohl ein Vollzeitstudium rund 27.000 Euro Gebühren kostet, wird stattdessen massiv vom Freistaat Sachsen unterstützt. Der gewährte seiner Elite-Hochschule schon 1994 ein zinsloses Darlehen über 25 Millionen Mark, das auf Antrag der HHL bis 2020 verlängert wurde.
Außerdem verzichtet die Staatskasse Jahr für Jahr auf Mieteinnahmen, die der Sächsische Rechnungshof auf 343.000 Euro (Tendenz steigend) beziffert. Die Hochschule darf die landeseigenen Liegenschaften auf dem Campus Jahnallee der Universität Leipzig nämlich unentgeltlich nutzen. Erhaltungsaufwendungen zahlt ebenfalls die Staatskasse. Der Jahresbericht des Rechnungshofes enthält aber noch weitere interessante Details. Dabei geht es beispielsweise um die zweifelhafte Verwendung einzelner Zuwendungen und die Vergütung der Geschäftsführung:
Die Vergütung der Geschäftsführung lag 2012 bereits deutlich über dem Niveau an staatlichen Universitäten. Der Freistaat Sachsen trug diese Kosten anteilig aus dem Darlehen im Rahmen der Verlustdeckungszusage.
Jahresbericht 2013 des Sächsischen Rechnungshofs
"Angesichts der Unterfinanzierung der staatlichen Hochschulen in Sachsen ist eine derartige Privilegierung einer privaten Hochschule nicht hinnehmbar", meint Gerhard Besier, der wissenschafts- und hochschulpolitische Sprecher der Fraktion DIE LINKE. Die schwarz-gelbe Landesregierung und auch die zuständige Staatsministerin Sabine von Schorlemer (parteilos) sehen das völlig anders und verweisen - wie ihr Ex-Kollege Pinkwart - auf das nationale und internationale Renommee der HHL.