Biopanik

Medien schüren gegenwärtig die Angst vor Angriffen mit biologischen Waffen

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Wenige Wochen nach den terroristischen Anschlägen in den USA wird deutlich, wie weit das Netzwerk der Al-Quaida von Usama bin Ladin reicht. Erst in den vergangenen Tagen nahm die deutsche Polizei drei vermeintliche Mitglieder der ominösen Organisation in Wiesbaden fest, weitere Festnahmen gab es in London. Fehlende Informationen über die Breite des Netzwerkes und die ihr zur Verfügung stehenden Ressourcen schüren Ängste. Am vehementesten halten sich die Warnungen vor Attacken mit biologischen und chemischen Waffen.

Die Gefahr solcher Anschläge bestand durchaus schon vor dem 11. September und bot darüber hinaus schon Stoff für zahlreiche Hollywood-Drehbüchern. Die neue Sensibilität für das Thema ist rational kaum nachzuvollziehen. Als eine der ersten Reaktionen hatte die US-Luftfahrtbehörde am Montag vergangener Woche die Verwendung von Agrarflugzeugen zur Schädlingsbekämpfung verboten. Zuvor war bei einem der vermeintlich Beteiligten an den Terroranschlägen ein Handbuch über solche Flugzeuge gefunden worden. Zudem sagte ein Fluglehrer aus Kalifornien aus, einige der Beschuldigten hätten sich Monate zuvor bei ihm über die Handhabung kleinen Maschinen zur Schädlingsbekämpfung erkundigt. US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld schloss daher nicht aus, dass Angriffe mit chemischen oder biologischen Waffen geplant gewesen seien, oder noch geplant sind.

Die Reaktion in Deutschland folgte prompt. Das Bundeskriminalamt dehnte die bundesweit laufende Rasterfahndung auch auf Beschäftigte in Biolaboren aus. Eines der Kriterien sei die arabische Herkunft, hieß es dazu bei der Behörde in Wiesbaden. Aus Angst vor Anschlägen auf die Trinkwasserdepots seien auch bei Wasserversorgungsunternehmen Personendaten angefordert worden.

Experten indes bezeichnen die Reaktionen als unkoordiniert und sinnlos. Um einen wirkungsvollen Schutz zu gewährleisten, müsse in erster Linie der Zivilschutz verbessert werden. Für Bundesinnenminister Otto Schily dient die vermeintliche Gefahr indes als ein Grund mehr, die Ausländergesetze zu verschärfen. Dem Nachrichtenmagazin "Focus" gestand der Geschäftsführer der Ständigen Konferenz Katastrophenschutz, Thomas Kaspari ein, dass ein systematischer Notfallvorrat mit Medikamenten gegen chemische oder biologische Angriffe in Deutschland nicht existiere. Es sei unklar, ob im Ernstfall schnell genug ausreichend Medikamente beschafft werden könnten. Beim "Arbeitskreis Bevölkerungsschutz und Gegenabwehr" des Bundes in Bonn erklärte man, für den Fall von atomaren Unfällen gut gewappnet zu sein. Im Bereich der B- und C-Waffen existiere aber "eine lange Liste von Defiziten".

Ein systematisches Vorgehen ist in diesen Tagen aber kaum zu erkennen. Besonders die Verfechter schärferer Richtlinien zur inneren Sicherheit benutzen die Unsicherheit über unkonventionelle Waffen, um ihren Belangen stärkeres Gewicht zu verleihen. Die tatsächliche Gefahr aber ist lange nicht so groß, wie prophezeit wird.

Beispiel Biowaffen: Fast auszuschließen ist eine großflächige Verseuchung mit biologischen Kampfstoffen. Bei nicht oder nur schwach ansteckenden Erregern kann eine epidemische Wirkung nur durch eine gleichzeitige und massenhafte Ausbringung des Erregers gewährleistet werden. Das müsste tatsächlich über ein Aerosol geschehen, also durch Versprühen des Giftes aus der Luft. Praktisch gesehen ist das für eine terroristische Zelle kaum möglich, denn die Herstellung eines solchen Bakterienstaubes ist ein technisch höchst anspruchsvoller Vorgang. Sind die Teilchen zu groß, gelangen sie nicht tief genug in die Atemwege, um die Menschen wirkungsvoll zu infizieren. Sind sie zu klein, verteilen sie sich in der Luft und werden zu stark ausgedünnt. Hinzu kommt, dass eine Attacke in Anbetracht der Bevölkerungsdichte in urbanen Bereichen stattfinden müsste. Ein Kleinflugzeug in den Straßenschluchten von New York etwa würde aber wohl nicht unbemerkt bleiben.

Ein Angriff hätte jedoch nur dann den gewollten Effekt, wenn die Infizierten zunächst nicht behandelt werden, der Angriff also zunächst unbemerkt bleibt. Wird die Infektion unmittelbar behandelt, könnten Gesundheitsschäden mit hoher Wahrscheinlichkeit gebannt werden. Das beste Beispiel sind die Anschläge der Aum-Shinrikyo-Sekte in Japan, einem Weltuntergangskult, zu dessen erklärten Methoden die massenhafte Vernichtung von Menschen zählte. Trotz milliardenschwerer Rücklagen und einer Gruppe erfahrener Wissenschaftler samt Laboren scheiterte die Aum-Gruppe vor wenigen Jahren mit einer Attacke in der Tokioer U-Bahn. Zwar waren 19 Tote zu beklagen, das Ziel wurde glücklicherweise aber deutlich verfehlt. Das heißt natürlich nicht zwingend, dass auch das Bin-Ladin-Netzwerk an den technischen Problemen scheitern würde, die Schwierigkeiten sind aber enorm hoch.

Experten sind sich darin einig, dass nur ein Staat oder ehemals staatliche Strukturen überhaupt in der Lage wären, Giftgas herzustellen. Umso wichtiger ist es nun für die USA, die Außenstaaten der ehemaligen Sowjetunion in die internationalen Verträge einzubinden. Auf diese Konsequenz drängen zunehmend auch die wissenschaftliche und sicherheitspolitische Institutionen in den USA.

Nicht auszuschließen sind allerdings kleinflächige Attacken. So hätte ein Erreger in geschlossenen Räumen mit großer Menschendichte gute Chancen, sich zu verbreiten. In Anbetracht der am 11. September bewusst gewählten symbolischen Ziele sollte also etwa an Börsen erhöhte Alarmbereitschaft bestehen. Eine weitere, nicht unwahrscheinliche Option ist ein auf nationale Ökonomien zielender Biowaffenangriff. Dabei muss man sich nur an die Umsatzeinbußen nach den Meldungen über Fälle von Maul- und Klauenseuche (MKS) erinnern. Das Ausbringen von Erregern von Tierkrankheiten gehört zu den eher wahrscheinlichen Gefahren, zumal ökonomische Interessen offensichtlich auch bei den Anschlägen am 11. September durch sogenannte Termingeschäfte im Börsenhandel bestanden haben (Der biologische Krieg könnte zuerst in der Landwirtschaft stattfinden).