Bis das Öl uns scheidet
Die USA errichten permanente Militärbasen im Irak
Entgegen aller öffentlicher U.S.-Rhetorik im Irak-Krieg, auf einen baldigen Truppenabzug hinzuarbeiten, verdichten sich die Hinweise, dass sich die USA auf einen unbegrenzten Aufenthalt im Irak einrichten. Mehrere Militärbasen sind im Ausbau. Die Absicht, die der Gefahr von Anschlägen ausgesetzten patrouillierenden Truppen zu reduzieren und deren Aufgaben so bald wie möglich auf irakische Einheiten abzuwälzen, muss dazu nicht im Widerspruch stehen. Die permanenten Militärbasen sind durch eine Guerilla-Kriegsführung praktisch nicht verwundbar und stellen Investitionen für eine andauernde politische und strategische Machtprojektion im Nahen Osten dar.
Die frühen Dokumente der Neocons, die zur Irak-Invasion führten, können auch heute noch, sechs Jahre nach ihrer Veröffentlichung, nicht oft genug zitiert werden. Sie stehen immer noch im Netz. Man kann sie noch immer als ideologischen Masterplan, zumindest für die Genese der US-amerikanischen Irak-Politik betrachten, auch wenn sich mit Zähneknirschen ein gewisser Realismus durchgesetzt hat und manche von ihnen einsahen, dass sie ihre Ziele nicht erreichen konnten. Oder vielleicht doch? Wollte man behaupten, es wäre in der komplexen Motivlage der verschiedenen Interessengruppen vorwiegend um "das Öl" gegangen, so ist dies eine deutliche Vereinfachung, genauso wie die These und die immer wieder aufgestellten Behauptungen von Bush, Blair, Rumsfeld und Konsorten, der Irak-Krieg habe mit "Öl" überhaupt nichts zu tun, das seien schlicht und einfach "Verschwörungstheorien".
Es soll hier in diesem Beitrag vorläufig nicht mehr gezeigt und dokumentiert werden, als dass für das US-Militär die Region des Persischen Golfes und die "Energieversorgungssicherheit", wie dies vornehm ausgedrückt wurde, schon immer eine zentrale Rolle spielte und weiterhin spielen wird und dass aufgrund dessen die Errichtung von permanenten Militärbasen im Irak sehr wahrscheinlich ist. Und zwar auf unbegrenzte Zeit. Zumindest solange, wie dort eine Ölförderung stattfindet oder sich die Energiepolitik der USA nicht grundlegend verändern wird. In weiterer Folge werden Artikel zur gegenwärtigen Situation der irakischen Erdöl-Ökonomie folgen.
Im September 2000 - noch vor der Wahl der Regierung George W. Bushs - wurde vom "Projekt für das neue Amerikanische Jahrhundert" (PNAJ) die Studie Rebuilding America's Defenses veröffentlicht. In dieser wird die globale militärische Vorherrschaft, gegen welche Macht auch immer, verlangt1 und die Verhinderung des "Aufstiegs" irgendeiner Macht als Rivale der USA als notwendig erachtet.2 Als Projektmitarbeiter, bzw. Autoren3 traten damals in Erscheinung: Vizepräsident Dick Cheney, dessen ehemaliger Stabschef Lewis Libby, Verteidigungsminister Donald Rumsfeld, sowie dessen ehemalige Staatssekretäre Paul Wolfowitz, Stephen A. Cambone und Dov Zakheim.
Von Bedeutung bei dieser Studie ist die bereits angedachte Idee einer gesamten Neuordnung des Nahen Ostens, inklusive des Irak. Es heißt: Die amerikanische Vorherrschaft basiere u. a. auf der Energieproduktion des Nahen Ostens und angrenzender Regionen. Die USA hätten schon seit Jahrzehnten eine dauerhaftere Rolle im Bereich der Sicherheit der Golf-Region angestrebt. Die "unmittelbare Rechtfertigung" für eine dauerhafte Machtprojektion lasse sich aus dem Regime des Saddam Hussein ableiten, führe jedoch weit darüber hinaus4:
Tatsächlich haben die Vereinigten Staaten über Jahrzehnte versucht, eine beständigere Rolle in der regionalen Sicherheitsarchitektur am Golf einzunehmen. Während der ungelöste Konflikt mit dem Irak eine unmittelbare Rechtfertigung liefert, geht das Bedürfnis für eine substantielle amerikanische Militärpräsenz in der Golfregion über den Fall Saddam Hussein hinaus.
Obgleich die Motive der U.S.-Militärintervention im Irak sicher komplex waren und auch auf Selbsttäuschungen und bewusster Irreführung über die vorhandenen Massenvernichtungswaffen basierten, so ist doch das strategische Motiv der militärischen Machtprojektion in der Region und das energiepolitische Motiv ebenso in Rechnung zu stellen. Das sog. Downing-Street-Memo vom 23. Juli 2002, veröffentlicht in der Londoner Times am 1. Mai 2005, ist die bisher härteste "smoking gun evidence", dass der Irak um jeden Preis und völlig unabhängig von eventuellen Massenvernichtungswaffen angegriffen werden sollte (Hinter der Theaterbühne). Bei Wikipedia gibt es bereits eine vollständige und exzellente Dokumentation des Downing-Street-Memos.
Vor diesem Hintergrund ist es wirklich erfrischend, einen Gastkommentar von Ted Koppel in der New York Times vom 24. Februar 2006 lesen zu können. Er war "anchor" und Herausgeber des ABC-Magazins "Nightline". Nachdem dieser Kommentar bei der NYT nur für Abonnenten zugänglich ist, sei hier auf eine andere Quelle verwiesen. Herr Koppel bezeichnet den freien Fluss an Öl aus der Golfregion als "Urgestein" der Nahostpolitik der USA:
... in Iraq "because of oil"? Now that's curious. Keeping oil flowing out of the Persian Gulf and through the Strait of Hormuz has been bedrock American foreign policy for more than a half-century.
Man kann der NYT alles Mögliche vorwerfen, eine Realitätseintrübung nach 9/11 und eine unkritische Übernahme der Kriegsargumente vor dem Angriff auf Irak, aber wohl kaum eine verschwörungstheoretische Blogosphäre. In der Besprechung einer Neuerscheinung, nämlich des Buches "American Theocracy" von Kevin Phillips vom 19. März 2006, heißt es, ebenfalls in der NYT:
And while this argument [gemeint sind einzig und alleine die Ölinteressen für die Irak-Invasion] may be somewhat too simplistic to explain the complicated mix of motives behind the war, it is hard to dismiss Phillips's larger argument: that the pursuit of oil has for at least 30 years been one of the defining elements of American policy in the world; and that the Bush administration - unusually dominated by oilmen - has taken what the president deplored recently as the nation's addiction to oil to new and terrifying levels. The United States has embraced a kind of "petro-imperialism," Phillips writes, "the key aspect of which is the U.S. military's transformation into a global oil-protection force," and which "puts up a democratic facade, emphasizes freedom of the seas (or pipeline routes) and seeks to secure, protect, drill and ship oil, not administer everyday affairs.
Die langfristigen strategischen Interessen in der Golfregion
In dem von der Kommission für die Neubewertung der überseeischen Militärstützpunkte der USA ersten vorgelegten Entwurf für den US-Kongress heißt es ganz deutlich:
Our access to energy sources remains an imperative, as does open trade, access to the routes of commerce, and unfettered international exchange.
Noch deutlicher machte das Central Command (CENTCOM) in diesem Dokument, das schon seit den 1980er Jahren für die "militärische Absicherung" der Ölversorgung am Persischen Golf zuständig ist, worum es bei der weiteren Standortpolitik und Truppenstationierung in dieser Region eigentlich geht. Im Appendix G unter der Überschrift "Gegenwärtige Stationierungspolitik" heißt es:
At that time, U.S. strategy toward the region centered on the uninterrupted flow of Arabian Gulf oil ... USCENTCOM supported this strategy by maintaining a forward presence, through exercises, and security assistance programs. A resurgence of U.S. military intervention in the region underwent a strategic shift following the terrorist attacks against the U.S. on September 11, 2001.
... the U.S., in March 2003, launched OPERATION IRAQI FREEDOM (OIF), to effect a regime change, eliminate Iraq's WMD and gain intelligence on the global network of illicit WMD, to drive terrorists out of Iraq and collect intelligence on the global terror network, to secure Iraq's oil fields ..."
In einer von der BBC ausgestrahlten Dokumentation von Greg Palast wird Ariel Cohen von der ultrarechten Heritage Foundation mit der Idee zitiert, die irakische Erdölwirtschaft zu privatisieren und die OPEC zu spalten. Ebenso kommt der Leiter der Arbeitsgruppe "State Department Future Iraq Project 2002-2003", Robert E. Ebel zu Wort:
... It is about getting rid of Saddam Hussein. The morning after it is about oil.
Eine langfristige US-Truppenpräsenz mit "special forces" sowie mit Luftwaffenstützpunkten zur Machtprojektion am Persischen Golf ist somit im Irak mit Sicherheit zu erwarten, trotz aller anderslautenden Dementis. Der im Irak kommandierende Oberbefehlshaber General Abizaid hat dies vor dem Repräsentantenhaus vor kurzem indirekt bestätigt.
Darüber hinaus war diese Machtprojektion vom Irak Richtung Iran von Anfang an vorgesehen und Teil der militärischen Strategie.
Die Planung und der Bau der Militärbasen
Bereits kurz nach Beendigung der Kampfhandlungen berichtete die New York Times am 19. April 2003 von der Absicht, vier langfristige Militärbasen im Irak zu errichten.
Ein Jahr später sprach der Chicago Tribune vom geplanten Bau von vierzehn langfristigen Militärbasen im Irak, was u. a. mit dem Rückzug aus saudischen Basen und dem "Export von Demokratie" begründet wurde. Im Mai 2005 verdichteten sich die Hinweise zum weiteren Ausbau von vier großen Militärbasen.
Darüber hinaus dürfte es einen Zehn-Jahresplan des Pentagon geben, nach dem schon allein die außerhalb des Irak im Nahen Osten und in Zentralasien gelagerten Waffen, das Kriegsgerät und die Munition sich - gemessen vom heutigen Stand aus - verdoppeln sollen. In permanenten und gut abgesicherten Militärbasen. Im Haushaltsjahr 2005-2006 wurden vom Pentagon etwa eine Milliarde US-Dollar alleine für den Ausbau von Militärbasen im Irak verplant.
Einen guten Überblick über die gegenwärtigen Militärstützpunkte im Irak findet sich auf Global Security.
Balad Air Base
Die Balad Air Base befindet sich etwa 70 km westlich von Bagdad, beherbergte im Februar 2006 ca. 25.000 US-Truppen, ca. 200 Helikopter und um die 50 taktische Kampfflugzeuge, die von dort sehr schnell für Luftunterstützung im sunnitischen Dreieck zur Verfügung stehen und auch in nur wenigen Minuten Flugzeit in den nordwestlichen Iran eindringen können. Es gibt keinen US-Stützpunkt in der Region, der den Nordwesten des Irans intensiver bedrohen könnte.
Der Kommandeur der Air Base, Brigade General Frank Gorenc, wurde am 4. Februar 2006 in der Washington Post, in einem der wenigen Artikel in den US-Mainstream-Medien, mit seiner Antwort auf die Frage über die Zukunft der US-Truppenstationierung dort folgendermaßen zitiert:
Balad will be here, I believe, to the very end ...
Das Areal umfasst zwei Landebahnen mit etwa 4 km Länge, insgesamt 25 km2 Fläche und 20 km Sicherheitsabsperrungen. Der Flugverkehr dürfte enorm sein, da offenbar die gesamte Truppenrotation und der Logistiktransport über diesen Stützpunkt abgewickelt wird. Die Balad Air-Base beherbergt auch die CJSOTF, die Combined Joint Special Operations Task Force.
Al Asad Air Base
Die Al Asad Air Base, bzw. das dazugehörige Militärcamp befindet sich etwa 180 km nordwestlich von Bagdad, in der Unruhe-Provinz Anbar. Es gibt dort einen „Subway“5, die üblichen US-Fast-Food-Ketten, ein Swimmingpool, ein Kino und die Niederlassung einer Leihwagenfirma. Dieser Stützpunkt ist der wichtigste im Nordwesten des Irak und Ruhe- und Rückzugsraum der dort stationierten Marines.
Der London Daily Telegraph berichtet auch im Fall der Al Asad Air-Base davon, dass man sich hier schon auf ein suburbanes kleinstädtisches Leben eingestellt hätte, wobei schon die Nennung des Ortes der Preisgabe eines Staatsgeheimnisses gleichkomme. Die für diesen Artikel recherchierten Satellitenfotos des Stützpunktes sind offenbar älter und geben nicht den aktuellen Zustand wieder, sind jedoch mit Methoden von Open Source Intelligence (OSINT) zusammengetragen worden. Sie ermöglichen jedoch zumindest einen Einblick in die Dimension und Größe der Anlage.
Al Taji Air Base
Die Al Taji Air Base und das zugehörige Militärcamp befinden sich etwa 30 nordwestlich vom Stadtkern Bagdads in dicht verbautem Gebiet. Es dürfte der wichtigste Stützpunkt im Großraum Bagdad für US-Bodentruppen der Army sein. Gleichzeitig handelt es sich um ein Trainings- und Ausbildungszentrum für Rekruten der irakischen Armee. Ein ähnlich moderner Ausbaugrad mit zivilisatorischen Annehmlichkeiten wie Klimaanlagen und Fitness-Centern scheint bereits stattgefunden zu haben. Gratis Internet, Telfon- und Video-Verbindungen für die Truppe existieren offenbar auch.
Tallil Air Base
Tallil Air Base befindet sich ca. 300 km südöstlich von Bagdad, unmittelbar neben der historischen Stätte von Ur. Die angeschlossen Militärcamps dürften sowohl für die Army wie auch für die Marines der Hauptstationierungsort im Südirak sein.
Mit dem Ausbau dieser vier Militärbasen zu permanenten Stützpunkten verfügen die USA zunehmend über die Möglichkeit, ihre eigenen Truppen zu entlasten, ihnen Ruhe- und Rückzugsräume zur Verfügung zu stellen, die tägliche hochriskante Patrouillen-Tätigkeit im öffentlichen Raum möglichst an die irakischen Truppen zu delegieren. Das wird zwar die Sicherheitslage im Irak generell nicht verbessern, da die religiös und ethnisch motivierte Gewaltbereitschaft eher noch zunehmen wird, jedoch - aus der Sicht des Pentagon - die Anzahl der getöteten und Verwunden US-Truppen einigermaßen begrenzen.
Wie hieß es doch so schön in einem der ersten Planungspapiere der Neocons:
Over the long term, Iran may well prove as large a threat to U.S. interests in the Gulf as Iraq has. And even should U.S.-Iranian relations improve, retaining forward-based forces in the region would still be an essential element in U.S. security strategy given the longstanding American interests in the region.
Georg Schöfbänker ist Politikwissenschafter und betreibt das Österreichische Informationsbüro für Sicherheitspolitik und Rüstungskontrolle in Linz.