Bitcoin und Co: Kryptische Perspektiven für die Finanzsysteme

Seite 2: Die Attraktion eines staatlichen Cybergelds

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Die Regierungen sind also allmählich aufgewacht und entschlossen, die Kryptomärkte zu regulieren. Selbst in der verschlafenen EU soll demnächst darüber geredet werden. Es geht darum, den Handel mit Kryptowährungen, die Transaktionen und die Dienstleistungen darum herum Regeln und Kontrollen zu unterwerfen, den Kundenschutz zu verbessern und den Missbrauch für Geldwäsche und Steuerhinterziehung zu verhindern.

Ob und wie weit das gelingen kann, wird sich zeigen. Die Wege des Kryptogeldes sind tatsächlich schwer zu kontrollieren, nicht nur wegen der Verschlüsselung, sondern auch, weil es von Anfang an global und im Internet zuhause ist. Staatliche Regulierung kann dazu führen, dass sich der Handel einfach in weniger regulierte Länder verlagert.

Doch es gibt noch einen zweiten Grund, weshalb die Vision vom "Geld ohne Staat" wenig Zukunftschancen hat. Er könnte die Welt der Cyberwährungen auf den Kopf stellen. Viele Staaten und ihre Zentralbanken sind nämlich längst dabei, die Innovation der Kryptowährungen für sich zu entdecken.

In Großbritannien wurde im Auftrag der Zentralbank bereits ein Konzept für eine eigene digitale Parallelwährung entwickelt. Dubai plant die Einführung einer staatlichen Kryptowährung namens emCash. Die Zentralbank von Singapur will ebenfalls eine eigene Cyberwährung auf den Markt bringen.

In Russland wird über die Einführung eines Krypto-Rubel als Parallelwährung nachgedacht. Und am eiligsten hatte es der wankende venezolanische Präsident Nicolás Maduro. Er hatte im Dezember die Einführung einer staatlichen Kryptowährung angekündigt, als Alternative zum praktisch wertlos gewordenen Bolívar. Und schon Ende Februar, rechtzeitig vor den anstehenden Präsidentschaftswahlen, startete Maduro seine auf der Ethereum-Plattform entwickelte Digitalwährung "Petro" - stolz darauf, als erster Regierungschef eine staatliche Kryptowährung präsentieren zu können. Dazu später mehr.

In all diesen Plänen handelt es sich um digitale Parallelwährungen. Es geht also nicht - wie manche mutmaßen - darum, über die staatliche Cyberwährung handstreichartig das Bargeld abzuschaffen. Die konventionellen Finanzsysteme mit Zentral- und Geschäftsbanken, Bar- und Giralgeld würden nach diesen Plänen nicht gänzlich durch ein neues, Blockchain-basiertes Finanzsystem verdrängt. Um das Bargeld abzuschaffen, braucht man außerdem keine staatliche Kryptowährung.

Der Markt der Kryptowährungen würde aber entscheidend gedreht. Denn staatliche Kryptowährungen könnten sich mit hoher Wahrscheinlichkeit sehr viel schneller durchsetzen und zu einem Durchbruch des Cybergeldes führen. Auch das hat etwas mit Vertrauen zu tun, nur anders als von den Bitcoin-Erfindern gedacht. Die meisten Bürger und Unternehmen würden - jedenfalls in demokratisch regierten Ländern - einer von ihrer Zentralbank herausgegebenen Cyberwährung mehr Vertrauen schenken als den schwer durchschaubaren und mit unkalkulierbaren Risiken verbundenen nicht-staatlichen Kryptowährungen, die gemessen am Gesamtmarkt bis heute eine Randerscheinung geblieben sind und überwiegend für spekulative oder kriminelle Zwecke genutzt werden.

Ein spezieller Fall ist die Eurozone. Hier haben die teilnehmenden Staaten ihre Währungssouveränität an die EZB abgegeben. Neben dem Euro dürfen sie deshalb keine eigenen staatlichen Währungen haben. Als Estland ankündigte, mit dem "Estcoin" eine eigene Cyberwährung einzuführen, ließ die Reaktion von EZB-Chef Mario Draghi nicht lange auf sich warten. "Die Währung in der Eurozone ist der Euro", stellte er klar. Kein Mitgliedsstaat dürfe eine eigene Währung einführen, auch keine Digitalwährung.

Estland gab daraufhin zunächst klein bei. Doch ein paar Monate später startete der Leiter der estnischen e-Residency-Programms einen neuen Versuch. Der Estcoin, erklärte er, sei zunächst für Ausländer gedacht, die in Estland online ein Unternehmen gründen wollen. Später könnte er dann auch auf Börsen gehandelt werden. Das Thema bleibt also auf dem Tisch. Und spätestens in der nächsten Finanzkrise könnten noch mehr Euroländer ihr Interesse an einer eigenen Kryptowährung entdecken.

Eigene staatliche Cyberwährungen würden den Euroländern ein Stück mehr politische Autonomie und alternative Wege der Staatsfinanzierung eröffnen. So verwundert es nicht, dass einer der ersten Europäer, der sich darüber systematisch Gedanken machte, einen griechischen Namen hat: Yanis Varoufakis. Bereits 2014, also noch vor seiner Zeit als griechischer Finanzminister, entwickelte er auf seinem Blog die Idee einer digitalen staatlichen Parallelwährung für Griechenland.

Sie sollte formal auf Euro lauten, aber weder von der EZB noch durch die Geldschöpfung der Geschäftsbanken reguliert werden können. Auf der Basis eines Bitcoin-ähnlichen Algorithmus würde sie durch eine "von der Regierung unabhängige Institution" überwacht werden. Die Geldmenge sollte in derselben Rate zunehmen wie das Bruttosozialprodukt.

In der dramatischen Krise und den eskalierenden Konflikten mit EU-Institutionen im Jahr 2015 konnte Varoufakis sein Konzept schließlich nicht realisieren. Seinen "Traum von einer monetären Rekonfiguration der EU" [15] mit nationalem, Blockchain-basiertem Cybergeld unter dem Dach eines von der EZB regulierten Krypto-Euro, verfolgt er aber weiter, wie er kürzlich in einem Interview erklärte.

Die Idee hat einen gewissen Charme. Manche mögen in ihr wieder einmal den Anfang vom Ende des Euro sehen. Tatsächlich könnten nationale Cyberwährungen dem Euro eine realistische Zukunftsperspektive zurückgeben. Sie würden den Mitgliedsstaaten mehr politische Gestaltungsmöglichkeiten eröffnen, ohne den Euro und die damit verbundenen wirtschaftlichen Verflechtungen insgesamt in Frage zu stellen. Mit Hilfe eigener Digitalwährungen könnten die Euroländer nicht nur von den neoliberal dominierten Brüsseler Institutionen und den Vorgaben irgendwelcher Troikas unabhängiger werden, sondern auch von den Anleihemärkten und damit von spekulativen Attacken, beispielsweise durch Hedgefonds.

Letzteres gilt selbstverständlich nicht nur für Euroländer. Alle Staaten können sich mit Hilfe eigener Kryptowährungen von den Finanzmärkten und den Geschäftsbanken unabhängiger machen. Über die Blockchain können auch Kredite abgewickelt werden. Damit entfällt nicht nur ein wichtiger Teil des Geschäftsmodells privater Banken. Diese würden auch ihre Möglichkeiten zur Geldschöpfung zumindest teilweise einbüßen.

Einen ähnlichen Effekt haben natürlich auch nicht-staatliche Kryptowährungen. Auch sie machen Banken tendenziell überflüssig und drängen sie aus ihren Geschäftsfeldern. Doch staatliche Cyberwährungen könnten sich in ganz anderen Dimensionen durchsetzen. Und während nicht-staatliche Kryptowährungen die Politik weiter schwächen, würde das Aufkommen staatlicher Cyberwährungen die Machtverhältnisse zwischen der Politik und den Märkten wieder zugunsten der Politik verschieben, nach Jahrzehnten, in denen der private Finanzsektor durch die Globalisierung einen immensen Machtzuwachs verzeichnete.

Auch Regionen könnten ihre Unabhängigkeit von Zentralstaaten durch Kryptowährungen vergrößern. Im Oktober, als der Konflikt mit dem spanischen Staat eskalierte, hatte die katalanische Regionalregierung die Idee, eine eigene Cyberwährung einzuführen. Ähnlich wie der Estcoin sollte es eine Parallelwährung zum Euro sein, die im Rahmen einer einseitig erklärten Unabhängigkeit eingeführt werden sollte. Offenbar hatten die Katalanen bereits Kontakte mit Estland geknüpft.

Letztlich kam es weder zur staatlichen Unabhängigkeit, noch zu einer eigenen Kryptowährung. Im Sinne einer größeren Autonomie könnte eine regionale Kryptowährung jedoch auch ohne eigenen Nationalstaat eingeführt werden. Sie würde die wirtschaftliche Autonomie der Katalanen und vor allem ihre Unabhängigkeit von den spanischen Banken deutlich erhöhen, ohne in Jahrzehnten gewachsene gesellschaftliche und staatliche Strukturen zu zerreißen.