Bitcoins: Irrationaler Überschwang

Seite 2: Bitcoins und die Schürfer

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Bei Bitcoins wird die doppelte Ausgabe der "Münzen" durch eine massive kollektive Kontrolle ersetzt. D.h. alle Teilnehmer im Bitcoinnetz sehen alle Transaktionen. Die offizielle Buchführung des Systems ist in jedem Computer untergebracht und es gibt keinen ausgezeichneten Knoten im Netz, wie bei Digicash.

Die Doppelausgabe von Bitcoins wird dadurch verhindert, dass bei jeder Transaktion arbeitswillige Knoten (die Schürfer) überprüfen, ob eine Doppelausgabe vorliegt. Ist dem nicht so, wird diese Transaktion in die allgemein akzeptierte Buchführung übernommen (als zusätzlichen Block, zusammen mit anderen gerade getätigten Transaktionen), der Verkäufer erfährt die Annahme der Zahlung durch das Netz und händigt dem Käufer die Ware aus. Alles anonym. Der Knoten, der einen Block von Transaktionen als erster überprüft hat, erhält als Gegenwert 25 nagelneue Bitcoins. Um eine Explosion der Anzahl der zirkulierenden Bitcoins zu verhindern, ist die Überprüfung der Transaktionen und der Einbau in die Buchführung rechnerisch aufwendig. Ohne spezielle Hardware oder ohne, dass man Mitglied in einer Cloud von Schürfern ist, geht man heutzutage sehr selten als Gewinner aus einer solchen Lotterie hervor.

Das Protokoll für die Erzeugung und Verwendung von Bitcoins hat damit die Zentralinstanz erfolgreich abgeschafft. Es ist deswegen kein Wunder, dass die ersten Bitcoin-Anhänger eher ideologisch motiviert waren. Sie wollten zeigen, dass Anonymität bei Zahlungen (wie bei Digicash) und ohne zentralisierte Buchführung (wie bei Tauschringen) möglich ist. David Chaum meets Silvio Gesell.3

Widersinn der Bitcoins

Das Protokoll für die Generierung der Bitcoins ist zweifellos geistreich, jedoch reine Rechenzeit- und Stromverschwendung. Durch die stochastische Natur des Verfahrens sind jene Knoten des Netzes im Vorteil, die mehr Rechenzeit zur Verfügung stellen können. Man könnte auch von Anfang an die Rechenleistung aller Knoten im Netz messen (von Knoten, die Transaktionen überprüfen) und die neuen Bitcoins per Lotterie verteilen, und zwar proportional zur eingesetzten Rechenleistung. Das Ergebnis wäre, statistisch gesehen, dasselbe: rich gets richer. Das mutet aber "nicht gerecht" an, und deswegen wird die Lotterie indirekt, über die Schwere des Überprüfungsalgorithmus, ausgetragen. Kostet einige Megawatt mehr an Strom als eine einfache Lotterie mit einfachem Überprüfungsalgorithmus, ist aber eher "akzeptabel" für die Netzteilnehmer.

Über die Anonymität der Bitcoins ist viel geschrieben worden. Wie wir wissen, ist diese ziemlich problematisch. Man muss bei den Wechselstuben ein Konto besitzen und in einigen Ländern muss man dafür einen Ausweis oder Bankkontodaten vorlegen. Nach und nach verlangen die Behörden solche Kontrollen, um den internationalen Geldfluss beobachten zu können. Die Anonymität ist im Netz vielleicht gegeben, diese hört aber bei den Wechselstuben auf.

Naive Internetbenutzer (wie wir fast alle sind) wissen nicht, wie groß ihr digitaler Fingerabdruck ist. Wenige Bitcoin-Benutzer verwenden Anonymisierungsdienste für IP-Adressen bzw. für ihre Geldbörsen. Man braucht kein Edward Snowden zu sein, um zu wissen, dass Nachrichtendienste in der Lage sind, solche Fingerabdrücke zu verwerten. Wenn etwas überrascht nach der Verhaftung des Besitzers von "Silk Road", der Webseite bei der Waffen bzw. Drogen mit Bitcoins gekauft werden konnten, dann nur, dass die Behörden in den USA sich so viel Zeit damit gelassen haben. Vielleicht wollten sie erst noch einige tausend Kunden beobachten, bevor sie zugegriffen haben.4

Von der Ideologie zur Spekulation

Während die Kindheit der Bitcoins von Ideologie geprägt war, ist ihr heutiges Leben durch reine Spekulation gekennzeichnet. Bitcoins haben keinen intrinsischen Wert, es sind weder Edelmetalle noch haben sie eine sonstige Deckung. Keine Bank gibt eine Wertgarantie dafür. Sie leben davon, dass sie von einer Community als Zahlungsmittel akzeptiert werden. Man kann nur wenig damit kaufen, obwohl einige Kneipen PR-Aktionen veranstalten und Bitcoins akzeptieren.

Bitcoins sind im täglichen Leben umständlich: Während Kneipenbesitzer und Kunden noch an den Handys hantieren und auf die Überprüfung der Transaktion minutenlang warten, haben zehn andere Kunden längst mit ein paar Münzen bezahlt - alles schneller und anonymer als mit Bitcoins. Angebote im Internet sind zu finden, bilden aber die Ausnahme im Vergleich zu allem, was mit einer Kreditkarte gekauft werden kann. Preise kann man nicht in Bitcoins angeben: durch die Änderung des Wechselkurses Minute für Minute müsste man eigens einen Zähler dafür einbauen. Bitcoins als Wertmaßstab sind ein Witz.

Was kann man also mit Bitcoins tun? Durch die Analysen von engagierten Wissenschaftlern wissen wir nun, dass, wie vermutet, ein beträchtlicher Teil der Bitcoins gar nicht ausgegeben wird. Sie schmoren in der digitalen Matratze als Ersparnisse bzw. Spekulationsobjekt. Der jetzige "Run" auf die Bitcoins ist aber fast zu 60% durch die neue digitalen Kasinos im Internet zu erklären.5 Anbieter wie "Satoshi Dice" nehmen Wetten in Bitcoins an und zahlen auch Gewinne darin aus. Mehr als die Hälfte der Bitcoins wird in Wechselstuben gekauft und sofort in solchen digitalen Wettstuben ausgegeben. Nach den heutigen Preisen für Bitcoins hat Satoshi Dice im Jahr 2012 mehrere hundert Millionen Dollar in Wetten angenommen.

Eine solche Entwicklung war am Anfang der Bitcoins nicht so einfach vorherzusagen. Schließlich ging es nur darum, eine anonymere Zahlungsmethode als Kreditkarten verwenden zu können. Dass dadurch auch zweifelhafte Geldtransfers ermöglicht werden könnten, hat die Zentralbanken in Europa und in den USA auf den Plan gerufen. Auch das FBI beschäftigt sich intensiv mit Bitcoins und verwandten Verfahren und hat bereits seit 2012 eine Arbeitsgruppe über "Virtual Currency Emerging Threats" eingerichtet.6 Bei einem Hearing neulich im US-Senat gab es Statements von allem was Rang und Name im Bereich der finanziellen Sicherheit hat: Homeland Security, Department of Justice, Federal Reserve, Securities and Exchange Commission und Treasury.

Als die Wettstuben Bitcoins entdeckten, fanden sie auch sofort die richtig eingestellte Kundschaft. In Satoshi Dice wettet man doppelt: einmal weil man Bitcoins kauft und auf eine günstige Wechselkursentwicklung hofft. Ein anderes Mal, weil man die Wette gewinnen will. Doppelte Wette, doppeltes Kitzeln.

Die "Wettwirtschaft" setzt 182 Milliarden Dollar im Jahr um, mehr als die Hälfte davon in Asien. Es wird auf alles gewettet, Fußball, Pferde oder rollende digitale Würfel. Warum in Asien so viel Geld in Wetten verschwendet wird, wäre eine soziologische Analyse wert. Tatsache ist nur, dass durch die Umarmung der Bitcoins durch die Wettstuben, der Wechselkurs einen neuen Schub bekommen hat, der so lange anhalten wird, bis die Illusion des schnell und mühelos verdienten Geldes nachlässt.

Ich verfolge digitale Währungen sehr aufmerksam seit jenem Treffen mit David Chaum, der übrigens auch ein sehr politischer Mensch ist und auf seine kryptographischen Verfahren über ein allgemeines Interesse für Privatheit kam.

Bitcoins waren am Anfang liebenswert, da sie auf eine solche liberale Grundlage aufbauten. Aber Bitcoins wurden jetzt durch die reale Welt der dubiosen Wechselstuben, der Wettanbieter, der Erzeuger von Trojanern, die Computer versklaven, um Bitcoins zu generieren, überrannt. Bitcoins-Banken und Bitcoins-Wäschedienste verschwinden über Nacht mit den Ersparnissen der Kunden.7 Bitcoins sind zu Spekulationsobjekten degradiert worden.

Zwei Worte von Alan Greenspan beschreiben die jetzige Situation am treffendsten: "irrational exhuberance". Der irrationale Überschwang hat nun die Bitcoins erfasst und die Fata Morgana des schnellen Reichtums, so ureigen verknüpft mit jedem Pyramidenschema, hat gesiegt.