Björn Höcke droht mit "Dunkeldeutschland"
Seite 4: Widersprüche
Einerseits findet Höcke den "NS-Imperialismus, der eine Missachtung des Selbstbestimmungsrechts der Völker war", aus ungenannten Gründen nicht gut. (283) Andererseits hebt er die seines Erachtens positiven Leistungen der Kolonialmächte hervor. "Möglicherweise besteht die größte Schuld der Kolonisten in ihrem oft kampflosen Rückzug." (190f.)
Der AfD-Politiker kritisiert die Moderne, andererseits bezieht er sich positiv auf "faustische Menschen". (272) Höcke benutzt wie betriebsblinde Mitwirkende der "Erlebnisgesellschaft", die keine Unterschiede zwischen Geltungsmaßstäben der Erkenntnis, der Praxis und des Krimis kennen, den Begriff "spannend": "Letztlich ist das Vorhandensein von Grenzen auch die Voraussetzung für das äußerst spannende Abenteuer, diese zu überschreiten. Das sollten wir uns nicht nehmen lassen. Als faustische Menschen sind wir Europäer dafür prädisponiert." (272)
Der Hinweis auf Widersprüche, in die sich ein Denken nicht verwickeln sollte, gilt Höcke als äußerst unromantisch. Zugleich beklagt er die "finale Auflösung" aller "Identitäten". (261)
Einerseits beschreibt Höcke die Gegenwart apokalyptisch. Er möchte tabula rasa schaffen, um dann 'Tischlein deck dich' spielen zu können. "Wir erleben die finale Auflösung aller Dinge: von den Identitäten der Geschlechter und Ethnien, den Familien, den religiösen Bindungen über die kulturellen Traditionen." (261)
Andererseits hat "die finale Auflösung aller Dinge" Höcke zufolge den Kyffhäusermythos und den deutschen "Volkscharakter" verschont. "Die Sehnsucht der Deutschen nach einer geschichtlichen Figur, welche einst die Wunden im Volk wieder heilt, die Zerrissenheit überwindet und die Dinge in Ordnung bringt, ist tief in unserer Seele verankert, davon bin ich überzeugt." (161)
Die "Vergangenheitsbewältigung"
Auf die Behauptung, man relativiere den Holocaust nicht, folgt in Höckes Gesprächsprotokoll eben diese Relativierung. Höckes Gesprächspartner Hennig meint: "Ohne etwas zu relativieren, müssen wir uns vergegenwärtigen, dass damals in Kriegszeiten überall haarsträubende Dinge passiert sind." (71)
Diese Andeutung lässt glauben, alle Kriegsparteien hätten sechs Millionen Juden in industriellem Massenbetrieb ermordet. Höcke rückt dieses Verbrechen in die Nähe von Fehltritten, die im Leben nun einmal unvermeidbar seien: "In der irdischen Welt sind Licht und Schatten wild miteinander verwirbelt." (62)
Wenn Höcke an 1933-45 denkt, gilt seine Aufmerksamkeit zunächst und zumeist der "katastrophalen Niederlage von 1945". (63) Schlimm am NS sei also gewesen, dass er den Weltkrieg verloren hat. Aber: "Es gibt neben all dem Elend und Schrecken auch einen 'Vorsprung der Besiegten'." (64) Höckes Gesprächspartner bringt eher der Pflicht als der Neigung gehorchend den naheliegenden Einwand: "Es fällt nicht leicht, angesichts der Millionen Toten und der gigantischen Zerstörungen einen 'Vorsprung' zu erkennen." (64)
Höcke zeigt, wem seine Empathie gilt. Anlässlich des Themas "Millionen Tote" durch Holocaust und deutsche Angriffskriege kommt Höcke gleich wieder auf "den Verlierer". Und das sind für ihn natürlich … die schwer geprüften Deutschen. (64)
Auch an dieser Stelle weiß Höcke einen seiner salbungsvollen Kalendersprüche anzubringen: "Carl Gustav Jung hat einmal gesagt: 'Da, wo wir stolpern, finden wir reines Gold'." (63) Höcke lehnt jede Vergangenheitsbewältigung ab, die "unser nationales Selbstwertgefühl unterminiert". (69) Er teilt mit, wie die Deutschen stattdessen die erlittenen "schweren Prüfungen" beantworten sollen: mit "elementaren Reifungsschüben" (63) und "innerer Stärkung". (69)
Höckes drei Botschaften
Höcke vertritt drei Botschaften. Erstens die üblichen rechten Positionen (zur Migration als vermeintliche "Mutter aller Probleme" und zur "Vergangenheitsbewältigung"). Zweitens das Plädoyer für kollektives überkompensatorisches Selbstbewusstsein. Höcke wartet zusätzlich mit dem Protokoll seiner individuellen Versuche auf, sein Selbstbewusstsein zulasten seines Bewusstseins zu steigern.
Die Menschen sollen nicht wahrnehmen, wie es ihnen infolge der Umsetzung von Höckes Vorschlägen schlecht ergehen wird, sondern sich der grandiosen Vorstellung hingeben, Teil eines Volkes voller Macht und "Herrlichkeit" zu sein.
Selbst die überwiegende Mehrheit der AfD belächelt Höckes Kyffhäuserfimmel. Er tut in dem Gespräch - wie gezeigt - auch einiges dafür, nicht ernst genommen zu werden. Anders verhält es sich mit Höckes Agitation für einen Umsturz. Höcke tritt ein für den gewaltsamen Ausschluss aller Opposition aus der von einer Elite mit "starker Hand" geführten Nation ein. Er befürwortet die Umerziehung der Bevölkerung zum "deutschen Volkscharakter" durch die "Zuchtmeister".
Dieses brutale politische Projekt bildet die dritte Botschaft von Höcke. Es formuliert eine trotz allen verquasten Überbaus unmissverständliche Ansage. Höcke macht bekannt, was die Bevölkerung zu erwarten hat, wenn er und seinesgleichen nicht nur an die Regierung, sondern an die Macht kommen.