Blackwater Topmanager: "Ich könnte Sie töten..."
"... und weil es der Irak ist, kümmert sich keiner darum". Zum Prozess über das Blackwater-Massaker im Irak 2007 enthüllt ein Dokument Brisantes über das Selbstverständnis der Vertragspartner der US-Regierung
Könnte man den damals Neunjährigen, dessen Gehirn seinem Vater vor die Füße fiel, als der die Wagentüre öffnete, um zu sehen, wie es um seinen Sohn steht, wieder zum Leben erwecken, so müsste man dem heute 16-Jährigen berichten, dass kein kleiner Teil seines Landes neuerdings zum Kalifat erklärt wurde. Der Junge, der, wie sein Vater erzählt, begeistert von den USA und ihren Soldaten war, würde staunen darüber, was aus der von ihm freudig aufgenommenen Befreiung des Irak geworden ist. Danach hätte man ihm zu erklären, wie der Fall seiner Ermordung durch amerikanische Söldner in den USA juristisch aufgearbeitet wird...
Der Junge war das jüngste von 17 irakischen Opfern des Massakers, das sich am 16. September 2007 am Nisur-Platz in Bagdad ereignete. Dass sämtliche tödlichen Schüsse von Mitarbeitern des "Sicherheitsunternehmens" Blackwater abgegeben würden, steht außer Zweifel, allerdings haben die Anwälte des Unternehmens, das seither mehrmals den Namen und auch den Besitzer gewechselt hat, bislang ihre Sache so gut verfochten, dass es zu keiner Anklage gekommen ist.
Sabotagevorwürfe gegen das US-Außenministerium
Im Gegenteil: Im Dezember 2009 ließ ein US-Bundesgericht die Anklage gegen fünf frühere Blackwater-Angestellte fallen, weil die Staatsanwaltschaft Fehler gemacht hatte. Richter Ricardo M. Urbina warf den Staatsanwälte und dem Außenministerium vor, die Angeklagten vor Gericht mit Aussagen belastet zu haben, die sie von den Mitarbeitern nur mit dem Versprechen bekommen hatten, dass sie nicht zu ihren Ungunsten vor Gericht verwendet würden.
"Wenn es das Außenministerium und der diplomatische Dienst darauf angelegt hätten, die Anklage zu sabotieren, hätten sie es nicht besser machen können" - der Fall scheint den Irrealis beinahe zwangsläufig hervorzurufen. Die Aussage stammt von Richter Lamberth, der nun, vier Jahre später, einem neuen Strafprozess gegen die früheren Blackwater-Angestellten vorsitzt.
Bis dato hatte das seit Juni laufende Verfahren kaum öffentliche Aufmerksamkeit gefunden. Die Sache ist zu lange her, Blackwater firmiert jetzt unter Constellis Holdings und der Irak ist in der Wahrnehmung mehr ein IS- als ein US-Problem.
"Ich könnte Sie töten" - ein Blackwater "Top-Manager" bedroht den Chefermittler des Außenministeriums
Ein von der New York veröffentlichtes Dokument sorgt nun für neue Aufmerksamkeit in einer größeren Öffentlichkeit. Es handelt sich um den Bericht eines Mitarbeiters des US-Außenminsteriums, der vor dem Blackwater-Massaker 2007 nach Bagdad geschickt wurde, um die Tätigkeiten der Sicherheitsfirma zu überprüfen, die angeblich bis zu einer Milliarde Dollar mit Staatsverträgen verdient hat.
Der Mann wurde von einem höherrangigen Blackwater-Söldner mit dem Tod bedroht - im Konjunktiv, wie zum Fall passend: Der "Top-Manager" des Sicherheitsunternehmens beschied dem "government’s chief investigator", dass er ihn töten könnte und "keiner könnte oder würde irgendetwas in der Sache unternehmen, da man sich im Irak befindet". Das bestätigt, wie sehr sich Blackwater im Irak als "über dem Gesetz stehend" verstand.
Dazu bietet der Zeitungsbericht jedoch auch eine anderen, nicht minder interessanten Hintergrund: die daran anschließenden Aktivitäten des Außenministeriums, das nicht den Prüfer, den das Ministerium geschickt hat, unterstützt hat, sondern das Unternehmen Blackwater. Der Mann wurde wieder nach Hause geschickt. Er störe den Ablauf im Irak, wurde über ihn berichtet.
Persilschein für Blackwater?
Über das Motiv der Veröffentlichung des Dokuments kann man spekulieren; auszugehen ist davon, dass sie nicht zufälligerweise zu einem Zeitpunkt passiert, an dem der neue Prozess anläuft. Außer Frage steht, dass das Dokument ein unvorteilhaftes Bild von Blackwater zeichnet, sicher nicht zum Vorteil der Angeklagten und der Firma. Was die Rolle des State-Department betrifft, so wird deutlich, wie eng die Bush-Regierung mit Blackwater kooperierte.
Nach der Schießerei im September 2007 war die Rede davon, dass Blackwater von der US-Regierung ein "Persilschein" ausgestellt worden war. Dass die Mitarbeiter tun und lassen konnten, was sie wollten, auch Nicht-Amerikaner erschießen, ohne dafür zur Rechenschaft gezogen zu werden.
Das hatte nicht nur exemplarischen Charakter für das selbstherrliche Vorgehen der USA im Irak und prägte das Bild des Befreiers nachhaltig. Die Schießerei hatte auch konkrete Konsequenzen zur Folge, die bis heute gelten.
Die irakische Regierung weigert sich seither, Abkommen mit den USA zu unterzeichnen, die Personen, die im Dienste der US-Regierung im Irak tätig sind, rechtliche Immunität einräumen, indem für sie die Gerichtsbarkeit in den USA gilt. Dies spielte eine Rolle bei den Vereinbarungen über den Status der verbleibenden US-Truppen im Irak nach dem Abzug - und auch kürzlich bei der Frage nach dem rechtlichen Status der 300 Militärberater, die die irakischen Truppen beim Kampf gegen die Dschihadisten unterstützen sollen.
Blackwater-Mitarbeiter reklamieren Notwehr als Grund für den Blutrausch
Was den Prozess angeht, so ist ein Einfluss des Leaks nur spekulativ einzuschätzen. Auf jeden Fall ist die Aufmerksamkeit für den Prozess wieder da, mit geschärftem Blick auf die früheren von der US-Regierung maßgeblich zu verantwortenden Verhältnisse. Auf das gesetzlose Agieren von Blackwater und die Rolle des US-Außenministeriums, das eng an der Seite des Vertragspartners positioniert war. Doch regiert nicht mehr Bush, sondern Obama.
Die Weitergabe des Dokuments an einen Medienpartner - die New York Times hat sich in mancher Beziehung dieses Namen "verdient" - bietet die Möglichkeit, sich deutlich von der früheren Regierung zu distanzieren und auch von deren Machenschaften im Irak. Diese Distanzierung ist angesichts der gegenwärtigen Probleme im Irak kein unwichtiges Signal.
Wird den ehemaligen Blackwater-Angestellten ein Prozess gemacht, der zur Verurteilung führt, so würde dies auch im Irak wahrgenommen und die US-Regierung von der verbreiteten Auffassung freisprechen, die man sich dort über die US-Justiz und das Massaker gemacht hat.
Allerdings ist der Weg zu Verurteilung juristisch schwierig. Dabei es geht nicht nur um die Rolle des State-Department unter Bush, das den Wert der Zeugenaussagen hintertrieben hat und obendrein Blackwater unter seine Schutzfittiche genommen hatte, sondern um Aussagen, die bisher schwer zu widerlegen waren, obwohl die Berichte vieler Zeugen ihnen eindeutig widersprechen: die Verteidigung der früheren Blackwater-Angestellten behauptet nämlich, dass diese in Notwehr gehandelt haben, dass sie mit ihren Gewehrsalven, die alles rund um den Platz durchsiebten, auf Schüsse oder eine wahrgenommene Bedrohung von Aufständischen reagiert haben.
Liest man den Bericht des Vaters des damals neunjährigen Sohnes dazu, wie er vom Blackwater-Experten Jeremy Scahill übermittelt wird, so hat keiner der überlebenden Anwesenden irgendwelche Aufständischen beobachtet, vielmehr wird der Eindruck bestärkt, dass die Blackwater-Söldner willkürlich geschossen haben wie im Rausch.
Das Gericht hat es mit einer Menge von Zeugen zu tun und einer chaotischen, unüberschaubaren Situation, die sich vor sieben Jahren ereignete, widersprüchliche Aussagen wären keine Überraschung, sie könnten den Angeklagten nutzen. Die Sache bleibt vertrackt.